Bilanz des „Veedels-Checks“Köln ist mehr als das eigene Veedel und der Dom

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Ein Mann sitzt unter einem Baum auf einer Bank

  • Der „Veedels-Check“ geht nach acht Monaten zu Ende.
  • Eine emotionale Bilanz unserer Besuche in allen 86 Stadtteilen.

Zum Abschluss der acht Monate andauernden Serie „Veedels-Check“ ist die Zeit reif für einen Vorschlag: Zugegeben, er scheint verwegen, nährt sich die Verbundenheit fast jeden Kölners mit seiner Stadt durch die Identifikation mit seinem Veedel und die Liebe zum Zentrum mit „Dom, Rhing un Sonnesching“. Vielleicht schaut er mal zum Einkaufen oder auf ein Kölsch im Nachbarviertel vorbei. Das reicht. Und doch: Wie wäre es, mal dahin zu fahren oder gehen, wo man noch nie war? Eine Reise durch die eigene Stadt!

Als Neuehrenfelder mal nach Langel – am besten in beide, weil die meisten nicht wissen, dass es gleich zwei in Köln gibt. Als Deutzer nach Blumenberg oder Grengel, als Südstädter mal nach Brück zum Kulturaustausch. Es gibt auf der Reise viel zu entdecken: Man kann vom Hahnwald über das malerische Immendorf zum Kölnberg wandern und dabei darüber nachdenken, wo an diesen drei sehr speziellen Orten denn eher die vielzitierte Parallelgesellschaft anzutreffen ist. Wer in Sülz gut und gerne ausgeht, könnte sich mal im schönen Gremberghoven auf die Suche nach einem netten Lokal machen. Er wird keins finden.

Ein buntes Bild, das die meisten Kölner nicht kennen

Würde man alle Eindrücke und Bewertungen des „Veedels-Check“ nebeneinander legen, entstünde ein Bild, das die meisten Kölner von ihrer Stadt nicht kennen – ein buntes Puzzle, wo längst nicht alle Teile perfekt zusammen passen: Eine Stadt voller kleiner Dörfer. Und ein großes Dorf voller Städter, die gerne zusammen kölsche Hymnen auf ihre Gemeinschaft singen, während diese längst in Gruppen zerfällt, denen die Verbindung zueinander verloren geht.

Die erste Erkenntnis nach 86 Folgen „Veedels-Check“ ist recht banal: Die offizielle Einteilung des Stadtgebiets ist ziemlich unzureichend. Fingen wir noch mal an, würden wir wohl mehr Porträts planen, um dem Lebensgefühl der Kölner gerecht zu werden, für die das „Veedel“ so wichtig ist. Allein die Stadtteilbezeichnungen für die linksrheinische Innenstadt sind bestenfalls lieblos ausgedachte Namen für Kommunalwahl-Kreise. Die Kollegen, die ernsthaft versuchten, einen „Veedels-Check“ für die Altstadt-Nord oder die beiden Teile der „Neustadt“ – kein Kölner benutzt diesen Ausdruck – zu machen, standen vor einer unlösbaren Aufgabe. In jedem dieser „Stadtteile“ gibt es gleich mehrere Veedel mit eigener Identität.

Den Menschen im Kwartier Latäng, im Kuniberts- oder Severinsviertel dürfte das ziemlich egal sein. Doch außerhalb der Innenstadt hat die Bürokraten-Willkür zu Beschädigungen des Selbstwertgefühls geführt. So gehört das idyllische Rheinkassel natürlich nicht zu Merkenich. Auweiler und Esch sind kein „Doppelort“, wie es sich die Stadt ausgedacht hat, genau so wenig wie Volkhoven und Weiler. Vielleicht ist es an der Zeit, solche Dinge einmal zu ändern.

Die Politik hat sich von den Veedeln enfernt

Wichtiger ist aber eine andere Erkenntnis: Wenn Politiker, die Kölner Verwaltungsspitze und auch manche Journalisten über Köln sprechen, sind ihre Einschätzungen geprägt von einer sehr urbanen Sichtweise. Doch das, was die Innenstadt, Ehrenfeld, Lindenthal oder Sülz ausmacht, hat wenig mit dem Alltag in Zündorf, Dünnwald oder Lindweiler zu tun. Fast alle einflussreichen Politiker, gut vernetzte Lobbyisten und selbst ernannte Sprecher der so genannten Stadtgesellschaft kennen diesen Alltag in den Veedel kaum. Nicht wenige Mitglieder der Kölner Verwaltungsspitze wohnen noch nicht einmal mehr in Köln. Woher sollen sie wissen, wie Flittard, Holweide oder Elsdorf ticken?

Man kann auf der Reise durch die Stadt ein bisschen demütig werden. Das, was man selbst als großes Ärgernis empfindet, wird deutlich kleiner, wenn man es mal mit den Sorgen anderer vergleicht. Da lamentieren nicht wenige über Straßenbahnen, die zu selten vor ihrer Haustür halten, während Tausende Kölner ohne den Bahnanschluss leben, der ihnen seit Jahrzehnten versprochen wird. Mancherorts wird leidenschaftlich über die Auswahl des benachbarten Biomarkts debattiert; andere Kölner wären froh, irgendwann man wieder in einer einfachen Bäckerei in der Nachbarschaft ein Brot kaufen zu können. Es gibt Viertel ohne Kneipen, ohne Eisdiele, ohne Supermarkt. Nicht selten hat das mit fehlender Kaufkraft zu tun: Genau wie Mietpreise ist die Infrastruktur eines Stadtteils auch Ausdruck von sozialen Unterschieden.

Kölner Veedel schon lange nicht mehr bunt gemischt

Die Stadtplaner halten zurecht die Fahne für eine möglichst breite soziale Mischung hoch, weil diese der beste Garant für den Frieden in einer Gemeinschaft ist. So etwas wird im Rathaus debattiert, in Facebook-Foren, in der Südstadt oder im Agnesviertel, – tatsächlich ist die Stadt aber schon lange in weiten Teilen alles andere als bunt gemischt. Man kann Stadtteilen, ihren Straßen, Bürgersteigen und Plätzen ansehen, ob in ihnen viele Arme oder viele Reiche wohnen.

Den Verantwortlichen für die Stadtentwicklung fehlt nicht selten ein Blick aufs Ganze. Sonst würden längst Bahnen nach Widdersdorf, Fühlingen oder Neubrück fahren. Sonst hätten die Sorgen der Kölner in Longerich nicht weniger Gewicht als die der Sürther. Sonst würden Flüchtlingsheime oder Lehrer für Grundschulen anders verteilt. Dann wäre der Ärger über Lärm, mit dem Hunderttausende an Eisenbahntrassen leben müssen, genauso wichtig wie die Einlassungen der gut vernetzten Fluglärmgegner. Wer in Porz im Stau steht, hat schlechtere Karten als der Autofahrer, der sich auf der Rheinuferstraße ärgert. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Den Blick dafür zu schärfen, ist eine politische Aufgabe.

Wer das tut, wird nicht nur Probleme relativieren oder sehr trostlose Orte entdecken, an denen man sich fragt, warum die Stadt diese einigen zumutet, während sie woanders Millionen in schönere Plätze und Wege investiert. Er trifft auch auf die Kölner, die beim „Veedels-Check“ auf die Frage nach ihren Wünschen für den Ort auch nach langem Überlegen keine Antwort wussten. Die Zufriedenen trifft man nicht dort, wo man sie vermutet. Sie wohnen in Heimersdorf oder Mauenheim. Also, liebe Ehrenfelder und Südstädter, fahrt mal hin in die nur mental entlegenen Winkel Kölns! Ihr werdet Euch wundern!

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