Weihnachten ohne alle(s)Warum ich mich darauf freue, allein zu sein

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Weihnachtsgans Symbolbild

Die Gans gehört zu den Klassikern an Weihnachten – Familienzank aber auch.

  • Kein Baum, keine Geschenke, keine Ofengans, kein Besuch – wunderbar, findet unsere Autorin.

Köln – Ich ärgere mich manchmal, dass ich zu den Menschen gehöre, die keine Witze behalten können. Nicht mal die besten Pointen.

Ähnlich geht es mir mit Aphorismen oder Lebensweisheiten kluger Leute. Ich kann sie mir einfach nicht merken. Als jedoch vor längerer Zeit Hubertus Meyer-Burckhardt nicht als Moderator, sondern als Gast in einer Talkshow war, sagte er einen Satz, der sich regelrecht bei mir eingebrannt hat: „Wir können nicht verhindern, dass die Vögel des Kummers und der Sorge über unsere Köpfe hinweg fliegen, aber wir können verhindern, dass sie in unseren Haaren Nestern bauen.“

An dieses Bild denke ich auch jetzt, weil genau das in meinen Augen seit jeher vor den Feiertagen passiert. Wir bauen Nester, indem wir dieses Weihnachtsfest total überhöhen; es per se mit bedenkenswerten Adjektiven garnieren und uns nun – im Corona-Jahr – nicht nur von Klerikern, sondern auch vom fragwürdigen Pathos unserer Politiker anstecken lassen.

Nicht Friede und Freude, sondern Hektik und Stress

Ich möchte keinem zu nahe treten und niemanden verhöhnen, der aufgrund der Pandemie Leid erfahren hat. Aber ich möchte die Frage aufwerfen dürfen, ob man das Gebot des Abstandhaltens nicht auch positiv sehen und das Getrenntsein-müssen als Geschenk betrachten könnte?

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Ich bin aufgrund meiner familiären Konstellation schon oft an Weihnachten allein gewesen. Zunächst gezwungenermaßen, später aus freier Entscheidung heraus. Irgendwann fiel mir auf, dass die häufigste Wortkombination im Zusammenhang mit Weihnachten nicht Freude, Friede oder Besinnlichkeit ist, sondern Stress und Hektik. Und das am meisten missbrauchte Verb im Advent lautet „muss“. Ich finde es wundervoll, jemandem aus freien Stücken heraus zu beschenken und ihn oder sie damit überraschen zu können. Aber weshalb soll ich mich zu einem kalendarisch vorgegebenen Datum zeitgleich mit Tausenden anderen durch überfüllte und überheizte Geschäfte quälen auf der Suche nach dem ultimativen Geschenk; womöglich für eine Person, die eigentlich schon alles hat?

Man muss nicht mehr essen als an normalen Tagen

Ich möchte mir das Ausmaß der Warteschlange vor den Lebensmittelgeschäften zu diesem „arbeitnehmerfreundlichen Fest“ noch gar nicht ausmalen und hoffe, dass angesichts der Infektionslage mehr Menschen als sonst auf den Gedanken kommen, dass man vom 24. bis zum 27. Dezember nicht unbedingt mehr essen muss als an vier normalen Tagen, und dass die meisten Lebensmittel eine beachtliche Haltbarkeit aufweisen.

Früher habe ich mich an Heiligabend oft geärgert, wie jemand ein liebevoll verpacktes Geschenk mit brachialer Gewalt zerfledderte. Oder wie das aufwendig zubereitete Menü achtlos in sich reingeschaufelt wurde, derweil man sich bei belanglosem Smalltalk vom Eigentlichen, dem Essen, abgelenkt hat.

Kein Baum, kein Kranz, keine Ofengans

Ich werde an Heiligabend bei einbrechender Dunkelheit mit dem Hund spazieren gehen, in weihnachtlich beleuchtete Wohnungen spähen und hoffen, dass dort Freude und Zufriedenheit herrscht und nicht Zwist, Anspannung und Gereiztheit, wie ich es aus lange zurück liegender Vergangenheit kenne. Bei mir gibt es keinen Baum, keinen Kranz und keine Ofengans. Aber brennende Kerzen, wie an jedem anderen Tag im Jahr.

Ich freue mich auf den Luxus, ein ganzes verlängertes Wochenende lang die Beine und die Seele baumeln lassen zu können. Ich werde, wenn ich Lust dazu habe, den ersten Weihnachtstag in Wohlfühlklamotten auf dem Sofa verbringen und einen alten Spielfilm nach dem anderen schauen oder 17 Folgen einer Netflix-Serie hintereinander. Ich werde die Ruhe genießen und die Tatsache, dass der Paketbote nicht wie seit zwei Wochen gefühlt 14mal am Tag bei mir klingelt, um mir eine raumfüllende Sendung für die Nachbarn unter den Arm zu klemmen.

Allein, aber definitiv nicht einsam

Ich werde zwar allein, aber definitiv nicht einsam sein. Ich glaube sowieso, dass Einsamkeit weniger ein Zustand, als eine innere Haltung ist, die man – nicht immer aber oft – mit Dankbarkeit und Demut verändern kann. Indem man sich nicht darauf fokussiert, was gerade fehlt, sondern über das freut, was man hat.

Dann haben Nester im Haar auch kaum eine Chance.

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