Ärger mit Vermieter aus „Höhle der Löwen“Kölner seit Februar in Wohnung gefangen

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Jeden Tag das selbe Bild für Giovanni Sorgia

  • Im Quartier kennt man Giovanni Sorgia als den „Rollator-Opa“. Eigentlich.
  • Seit Februar hat er seine Wohnung im vierten Stock nicht mehr verlassen. So lange schon ist der Aufzug kaputt. Die 70 Stufen schafft der Gehbehinderte 80-Jährige nicht.
  • Sorgia ist verzweifelt. Die Kommunikation mit dem Vermieter schwierig. Sorgias Betreuer ist entsetzt: So etwas habe er noch nie erlebt.

Köln – Giovanni Sorgia schaut aus dem Fenster, als gäbe es da unten noch etwas Neues zu entdecken. Doch längst kennt er die Bäume am Straßenrand, die vorbeiziehenden Autos und Menschen. Er kennt jede seiner alten Musikkassetten aus seiner Nachttischschublade, er hört die italienischen Titel darauf in Dauerschleife. Sorgia, 80 Jahre alt, ist gehbehindert. Seit Ende Februar hat er seine Wohnung im vierten Stock eines Wohnhauses am Hansaring nicht mehr verlassen. So lange ist der Aufzug im Treppenhaus schon defekt – dabei ist dem Vermieter das Problem seit Monaten bekannt.

Als „Rollator-Opa“ bekannt

Im Quartier kennt man ihn als den „Rollator-Opa“. Er kaufte beinahe jeden Morgen seine Zeitung in einem nahe gelegenen Geschäft, auf dem Rückweg legte er immer eine Rast auf einer Holzbank ein und plauschte mit den Anliegern. Will man Sorgia jetzt treffen, führt der Weg durch das Haus mit dem defekten Aufzug, entlang über 70 Stufen Altbautreppenhaus, bis zu seiner Wohnung. Deren Tür öffnet Maren Dessel. Ihr gehört das Geschäft, vor dem sich Sorgia auf seinem Rückweg vom Einkaufen immer auf der Bank ausruhte.

Als der Aufzug ausfiel, half sie ihm die Stufen hoch bis zu seiner Haustür. „Das hat gefühlte Stunden gedauert, fast wäre ich daran verzweifelt“, sagt sie. Es war das letzte Mal, dass Sorgia vor der Tür war. Jetzt hat Dessel einen Schlüssel für seine Wohnung, fast täglich sieht sie nach ihm. Wenn ihm etwas fehlt, soll er einen orangenen Zettel an sein Fenster heften.

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Giovanni Sorgia hört seine Kassetten in Dauerschleife.

Sorgia, weißes Unterhemd, blaue Shorts, sitzt auf einem Bett, vor ihm sein Rollator. „Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll“, sagt er. „Ich will einfach mal wieder vor die Tür gehen. Aber die Treppe komme ich nicht mehr herunter.“ Vielleicht 20 Quadratmeter groß ist seine Wohnung, keine Küche, in einer Ecke steht ein Kühlschrank, der bis auf einige Sahnejoghurts nahezu leer ist. Auf einem Schreibtisch liegen ein Schneidebrett, ein Brot, Marmelade, einige Cocktailtomaten. „Ich ernähre mich eigentlich nur noch davon“, sagt er.

Seit einigen Wochen sollte eigentlich ein Lieferdienst den 80-Jährigen unterstützen, doch der kam bisher unregelmäßig. Denn auch der Türsummer im Haus ist defekt. Von seinem Nachttisch holt Sorgia einen kleinen Handkalender. Minutiös hat er mit Kugelschreiber eingetragen, wenn der Lieferdienst es mal wieder nicht bis zum ihm geschafft hat. Der Lieferdienst bestätigt, dass man wegen des kaputten Türöffners Schwierigkeiten hatte. Ein Nachbar, der anonym bleiben will, berichtet, dass der Türsummer seit Monaten kaputt sei, auch er habe Probleme mit den Vermietern und suche deshalb eine neue Wohnung.

Telefongespräch bricht abrupt ab

Die Vermieter sind zwei Jungunternehmer, die sich in der Start-up-Szene einen Namen gemacht haben. Einer von ihnen hatte bereits einen Auftritt in der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“. Im Telefonat mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt er, man habe sich des kaputten Aufzugs längst angenommen. „Die Problematik mit dem Herrn kenne ich außerdem gar nicht, sonst hätte ich ihm eine Wohnung im Erdgeschoss gegeben“, sagt er. Zudem habe man ihm ja bereits „relativ viel Geld angeboten“, dafür, dass Sorgia auszieht – der 80-Jährige hat noch einen alten, relativ günstigen Mietvertrag. Doch das habe mit dem Angebot nichts zu tun, sagt der Vermieter noch, dann bricht das Telefongespräch mit ihm abrupt ab. Später wird er nur noch schriftlich zu erreichen sein.

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In seinem Kalender hält Sorgia fest, wann der Lieferdienst es zu ihm schafft.

Dass die Behauptung des Vermieters, die Lage von Sorgia sei ihm unbekannt, so nicht stimmt, beweist ein Schriftwechsel zwischen Sorgias gesetzlichem Betreuer Stefan Knüppel und den Vermietern, den der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte. Aus diesem geht hervor, dass die Vermieter bereits wenige Tage nach dem Ausfall des Aufzugs über den Zustand hätten in Kenntnis sein müssen: Bereits am 26. März schickt Knüppel einen Brief an die Unternehmer, in dem er explizit auf die Situation von Sorgia hinweist. Als er daraufhin keine Antwort erhalten habe, schreibt Knüppel ihnen nochmals, am 23. Mai und am 29. Juni.

Erst in einem auf den 15. Juli datierten Schreiben – Betreff: „Rückmeldung Diverse Schreiben“ – antworten die Vermieter, verweisen darin auf die zu erwartende Montagezeit des Aufzugs. „Auf ein baldiges Ende der Misere“, steht am Schluss des Briefs, Hilfsangebote für Sorgia machen sie nicht. Auf Nachfrage erklärt einer der Vermieter: Knüppel habe „kein Treffen, kein vernünftiges Telefonat“ gesucht, sondern lediglich die Miete gemindert. Der Betreuer hat indes einen Rechtsanwalt beauftragt, der Schadenersatz für Sorgia erstreiten soll. „Ein solches Pflichtversagen eines Vermieters habe ich in meiner ganzen Berufslaufbahn noch nicht erlebt“, meint Knüppel. „Die Situation von Herrn Sorgia ist aktuell einfach nur schrecklich.“

Reparatur zieht sich weiter hin

Doch so schnell wird der Aufzug wohl nicht wieder funktionieren. Erst vor rund zwei Wochen hätten sich die Vermieter für ein Angebot entschieden, sagt Alexander Gergert, Geschäftsführer des Unternehmens, das den Lift reparieren soll. Seit März habe man „Angebote hin- und hergeschickt“. „Seitdem war der Eigentümer ständig mit uns in Kontakt und hat sich darum bemüht, die Sache möglichst kostengünstig hinzubekommen“, so Gergert. „An uns lag es nicht.“ Auch das bestreiten die Vermieter: Seit Bekanntwerden des Problems im März habe man Möglichkeiten gesucht, den Aufzug zu reparieren – das sei mangels Ersatzteilen und wegen des Alters der Anlage nicht möglich gewesen. Dann erst habe man bei verschiedenen Anbietern Angebote für einen Komplettaustausch einholen können.

Mittlerweile hängt im Hausflur der Wohnung ein Aushang der Aufzugfirma: Der Aufzug werde nun repariert – doch vor Ende Oktober werden die Reparaturen nicht abgeschlossen sein. Immerhin: Die Vermieter versprechen auf Nachfrage, dass die Kosten der Reparaturen nicht auf die Miete umgelegt werden sollen, der Türsummer soll schon in den kommenden Tage wieder funktionieren.

Derweil sitzt Giovanni Sorgia wieder vor seinem Fenster. Wie jeden Tag seit Ende Februar.

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