„Ein Stück kölsche Heimat verloren“Warum die Wirtin im Reissdorf am Hahnentor aufhört

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Gabriele Kessler serviert im Reissdorf am Hahnentor. (Archivbild)

  • Gabriele Kessler war Brauhauswirtin aus Leidenschaft und hat das Reissdorf am Hahnentor mit ihrem eigenen Stil geprägt.
  • Die Gastronomin, die nicht nur für Karnevalisten und FC-Fans eine Instanz war, hat im August nach fast 15 Jahren den Schlüssel an die Brauerei zurückgegeben.
  • Wir haben mit ihr über die Gründe und die Veränderung in ihrem Leben gesprochen und gemeinsam mit ihr auf ihre Zeit in Köln zurückgeblickt.

Köln – Wie fühlt es sich an, das Leben ohne Brauhaus, Flönz und Kölsch?

Gabriele Kessler: Mir geht es gut. Es ist ja eine lange gewachsene Entscheidung gewesen. Ich bin 60 Jahre alt und habe 45 Jahren so gearbeitet, wie das meinen Naturell entspricht: Was ich tue, das tue ich mit Haut und Haaren. Das zehrt natürlich und man muss sich fragen, wann ein guter Zeitpunkt ist, Schluss zu machen und neue Freiräume zu erschließen.

Und die Liebe hat ja durchaus auch eine Rolle gespielt...

Ich habe meinen zweiten Ehemann 2008 hier im Reissdorf kennengelernt. Ein Schwabe, der eines Tages hier am Stehtisch stand. 2012 haben wir geheiratet und sind in den Hunsrück gezogen.

Zur Person

Gabriele Kessler (60) übernahm 2005 das Reissdorf am Hahnentor. Die gelernte Modekauffrau führte das Brauhaus bis August und war unter anderem Casinowirtin der Ehrengarde. Obwohl sie ins Rheinhessische gezogen ist, wird sie ihren Cateringservice „Vinomobile Food und Event“ in Köln weiterführen.

Das war die Mitte zwischen unseren Arbeitsstätten. Viele Jahre bin ich von dort täglich gependelt: 120 Kilometer eine Strecke. Das war ein Riesenspagat. Mein Mann ist acht Jahre jünger als ich, da muss ich mich jetzt anstrengen, auch frisch zu bleiben (lacht). Und wer weiß, wie lange man noch fit ist. Ich gehe mit allen im Guten und bin stolz, den Zeitpunkt selbst bestimmt zu haben.

Spüren Sie gar keine Wehmut?

Doch, der Abschied ist mir wirklich sehr zu Herzen gegangen ist. Vor allem die vielen Reaktionen von Gästen haben mich sehr berührt. Jörg Kaltwasser, der Bauer des Dreigestirns von 2008, hat mir zum Beispiel geschrieben, „Wir haben ein Stück kölsche Heimat verloren“. Das ist das schönste Kompliment für die Arbeit, die ich dort 14 Jahre gemacht habe.

Zum Karneval hatten Sie ja als Casinowirtin der Ehrengarde immer eine besonders enge Beziehung.

Das bestimmt, ich kenne alle Dreigestirne. Die waren ja bei mir und in der Hahnentorburg zu Gast. Als ich das Reissdorf übernommen hatte, suchte die Ehrengarde gerade einen neuen Caterer und da ich ja gleich gegenüber das Brauhaus hatte, haben sie angefragt.

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Nubbelgeburt am Hahnentor mit Gabriele Kessler (M.)

Erst habe ich echt kalte Füße gekriegt. Denn Vereine sind ja nicht ganz einfach. Und vom Karneval weiß man ja auch, dass der hinter den Kulissen nicht immer nur lustig ist. Aber die Karnevalisten und ich, das wurde dann wirklich eine tolle Beziehung. Wobei ich mir den Respekt hart erarbeitet habe.

Wie haben Sie das geschafft?

Zu allererst musst du mit Frische und Qualität überzeugen. Die Karnevalisten waren mit Küche und Atmosphäre sehr zufrieden. Aber man darf sich auch nicht vereinnahmen lassen und sich selbst treu bleiben. Du brauchst als Wirtin ein dickes Fell und muss robust verhandeln können. Frank Remagen (ehemaliger Präsident der Ehrengarde, Anm. d. Redaktion) hat mich manchmal Höllenweib genannt. Das war ein Kompliment, denn wir waren uns am Ende nach manch harter Verhandlung immer einig.

Sie sich nicht nur in eine Männerdomäne gewagt, sondern waren auch noch Seiteneinsteigerin.

Ich bin ins kalte Wasser gesprungen. Eigentlich war ich gelernte Modekauffrau und habe auf der Schildergasse bei Vera Varelli gearbeitet. Das Modehaus schloss, ich wurde arbeitslos. Zeitgleich ging meine Ehe kaputt. Aber ich habe als Hobby immer gerne gekocht. Da habe ich es einfach mit der Gastronomie probiert. Erst im Golfclub Konradsheim, dann suchte die Reissdorf Brauerei für das neue Objekt einen neuen Pächter. Ich liebe Herausforderungen. Auch wenn der Anfang schwer war und alle dachten, was will die Modetussi da. Dann ging von Anfang an die Post ab.

Was braucht man als gute Wirtin?

Vor allem Leidenschaft. Man muss gerne Gastgeber sein, die Menschen mögen und und natürlich gerne und gut kochen.

Was unterschied das Reissdorf am Hahnentor von anderen Brauhäusern?

Eindeutig die Lage. Die hat dafür gesorgt, dass wir ein ganz anderes Publikum hatten als etwa die Brauhäuser in der Altstadt, wo fast ausschließlich Touristen einkehren. Bei uns waren 80 Prozent Einheimische. Und die Touristen, die hier per Zufall gelandet sind, die sind immer wiedergekommen.

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Das zweite Merkmal war neben der Küche die herzliche, warme Atmosphäre. Bei uns waren zum Beispiel alle Köbesse nett. Ein ruppiger Kellner ohne Manieren – das ging für mich nie. Die Stammgäste wurden persönlich angesprochen.

Durch die Lage im Bermuda-Dreieck hat auch die schwule Community bei Ihnen ein Wohnzimmer gefunden.

Das war mit immer sehr wichtig, dass sich die Gäste bei mir bunt mischen und sich hier alle begegnen: Schwule, Heteros, Frauen, Männer, FC-Fans, Männer, Karnevalisten oder Touristen. Ich hab den Brückenschlag gesucht. Man geht ja auch nicht schwul essen oder weiblich essen (lacht). Aber da gibt es auch einen biografischen Bezug, warum mir das so wichtig war.

Welchen?

Ich hatte einen schwulen Onkel, der sich damals mit 42 Jahren das Leben genommen hat. Das hatte auch mit den großen Schwierigkeiten zu tun, die es damals noch bedeutet hat, Homosexualität ohne gesellschaftliche Stigmatisierung offen zu leben. Das war mein Lieblingsonkel und er hat mich sehr geprägt.

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Gabriele Kessler im Interview

Meine Eltern haben sich früh scheiden lassen. Meine Oma und mein Onkel waren danach meine Hauptbezugspersonen. Die beiden haben mir übrigens auch das Kochen in die Wiege gelegt: Meine Oma war eine begnadete Bäckerin und Köchin. Mein Onkel Otto konnte super leckere Sößchen.

Dass die Ehrengarde die Brücke vom Hahnentor zum gegenüberliegenden Gebäude wegen des Abrisses und der Neugestaltung des Rudolfplatzes räumen musste, war bestimmt ein Bruch.

Als die Brücke 2016 abgerissen wurde und die Aufgabe als Casinowirtin wegfiel, brach ein Riesenumsatz weg. Aber dann habe ich die Chance bekommen, im New Yorker Harbour Club an der Hafenstraße hochwertiges Catering machen zu dürfen. Die Baustellensituation selbst hat sich nicht auf den Besuch des Reissdorf ausgewirkt.

Neben den Karnevalisten war das Reissdorf auch für viele FC-Fans Karnevalisten ein Zuhause.

Wir waren das Sammelbecken für die Fans und ich habe das so geliebt! Drei Stunden vor dem Anpfiff fielen die zum Vorglühen und zum lecker Essen hier ein. Und nach dem Spiel kamen sie alle wieder. Ich habe hier nie Probleme mit den Fans gehabt. Das waren die netten Fans. Kölsche Jungs eben.

Wie wird es denn nun mit dem Reissdorf am Hahnentor weiter gehen?

Auf jeden Fall steht fest, dass es weiterleben wird. Nach einer kurzen Sanierungsphase werden die Türen wieder geöffnet. Leider steht der Zeitpunkt heute noch nicht fest. Wer der Nachfolger ist, kann ich auch noch nicht verraten. Aber ich werde ihm gerne beratend zur Seite stehen.

Jetzt sind Sie nach Rheinhessen gezogen. Was machen Sie jetzt dort?

Mal schauen. Der Bürgermeister unseres 700-Einwohner-Dorfes Freimersheim im Rheinhessischen hat mich schon gefragt, ob ich beim Weinfest das so genannte Kerwe-Essen ausrichte: Gekochte Ochsenbrust mit Merettichsauce und Rindfleischsüppchen mit Markklößchen. Außerdem ist es ja eine sanfte Entwöhnung, weil ich noch meinen Catering-Service habe. Dafür bin ich zwei bis drei Tage im Monat in Köln. Und nächstes Jahr schaue ich mir zum ersten Mal den Karneval in Mainz an. Mal sehen, was der so kann.

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