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Benecke und Kuckelkorn im Interview„Klimawandel? Der Mensch ist nicht mehr zu retten“

Lesezeit 11 Minuten
Christoph Kuckelkorn und Mark Benecke (r.) haben in ihrem Berufsleben viel gemeinsam.

Christoph Kuckelkorn und Mark Benecke (r.) haben in ihrem Berufsleben viel gemeinsam.

  • Der Kölner Kriminalbiologe Mark Benecke und der Kölner Bestatter und Karnevalist Christoph Kuckelkorn reden in ihrem ersten gemeinsamen Interview über viele letzte Dinge: ihr Verhältnis zum Sterben, falsche Mythen und den Geruch des Todes.
  • Ekel sei in seiner Arbeit keine Dimension, erzählt Benecke. „Maden sind Tiere, die mir helfen, die Liegezeit von Leichen zu bestimmen.“
  • Und Kuckelkorn erklärt, warum der Mensch für eine vernünftige Bestattung bereits alles in sich trägt – und wieso selbst Kinder ihre tote Oma berühren sollte.

Köln – Der eine ist für seine Fans der „Herr der Maden“ und bekennt sich offen zu seiner Leidenschaft für Leichen und Insekten. Der andere verbindet mühelos den Karneval mit Trauer und Abschied. Obwohl der Kriminalbiologe Mark Benecke und der Bestatter Christoph Kuckelkorn aus ganz verschiedenen Perspektiven auf den Tod schauen, ist im gemeinsamen Gespräch schnell klar: Die beiden verstehen sich – und in der Haltung zum Leben verbindet sie überraschend viel.

Wer täglich dem Tod begegnet, kultiviert das „Carpe Diem“ und setzt im Leben andere Prioritäten. Trotzdem ärgern sich beide bisweilen über die Ignoranz vieler Mitmenschen.

Eine mit Insekten übersäte Leiche wäre für die meisten der blanke Horror. Für Sie hat das alles augenscheinlich nichts Verstörendes oder Ekelhaftes.

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Mark Benecke: Bei mir ist Ekel bei meiner Arbeit überhaupt keine Dimension. Ekeln tu’ ich mich nur vor Haaren im Abfluss. Für mich ist eine Leiche ein Spurenträger. Und der Tod ist für mich Teil des Lebens. Er ist genauso präsent wie der Baum da drüben. Maden sind Tiere, die mir helfen, die Liegezeit von Leichen zu bestimmen. Sie ermöglichen mir, die Fakten zu bestimmen. Ich mag eigentlich alle Insekten – egal ob Schmeißkäfer oder Aasfliegen. Ohne Insekten würde die Welt in kürzester Zeit zusammenbrechen.

Zu den Personen

Mark Benecke (49) ist der weltweit bekannteste Kriminalbiologe. Der Forensik-Freak, der den Spitznamen „Doktor Made“ führt, arbeitet als Molekularbiologe an rechtsmedizinischen Fragen und der Biologie des Todes. Er war insektenkundlicher Gutachter in bekannten Kriminalfällen. Zu seinen Vorträgen zu Themen wie „Insekten auf Leichen“ kommen Tausende. Zudem ist der Veganer NRW-Landesvorsitzender Partei „DIE PARTEI“.

Christoph Kuckelkorn (54) setzt als Kölner Bestatter in fünfter Generation die Familientradition fort. Der Bestatter ist zudem Thanatopraktiker. Das heißt, er rekonstruiert Unfallopfer so, dass die Angehörigen ihnen ein letztes Mal ins Gesicht blicken können. Außerdem ist er Mitglied des Helferteams Death Care, das die Rückführung von Katastrophenopfern organisiert. Kuckelkorn ist seit 2017 ist Präsident des Festkomitees Kölner Karneval. Zuvor war Zugleiter des Kölner Rosenmontagszugs.

Christoph Kuckelkorn: Mark ist mit einer ganz anderen Aufgabenstellung konfrontiert als ich. Bei mir geht es nicht um Rekonstruktion von Fakten, sondern erst einmal darum, dem Verstorbenen die Würde zurückgeben, die im Tod manchmal verloren geht. Viele sterben sehr unwürdig. Der Tod sieht oft nicht schön aus und er riecht auch nicht gut. Und dann bringen einem die Angehörigen ein Abendkleid vom letzten 80. Geburtstag. Man wäscht die Haare, färbt den Haaransatz nach. Das macht sehr viel aus – und ermöglicht den Angehörigen ihre Form von Abschied.

Und dann sind da noch die Angehörigen, die gerade einen geliebten Menschen verloren haben und denen Sie in diesem emotionalen Ausnahmezustand begegnen.

Christoph Kuckelkorn: Es ist ein unheimlich dichter und kostbarer Moment, in dem ich als Aufgabe sehe, den Angehörigen das Unfassbare erfahrbar zu machen. Die psychologische Aufgabe als Bestatter ist, den Tod begreifbar zu machen. Und dazu muss man ihn anfassen. Auch ein Kind sollte die tote Oma berühren. Diese eine Berührung macht so viel Erfahrung und ist enorm wichtig für die Trauer. Viele haben davor Angst. Aber spanische oder italienische Kunden, die haben das gar nicht. Die herzen und küssen ihre Verstorbenen ganz ohne Vorbehalte. Das ist so toll.

Mark Benecke: Im Grunde geht es bei dem ganzen Thema Tod darum, zu akzeptieren, was ist. Da gehst du vielleicht zu Chris und erzählst ihm endlos tiefgreifende Geschichten über das Leben und den Tod an sich. Und der sagt dir dann einfach: Jetzt fass doch endlich die Hand von deiner toten Mutter an.

Wie ist Ihr eigenes Verhältnis zum Tod?

Mark Benecke: Entspannt. Der Tod ist ein Teil im Kreislauf des Lebens. Alles recycelt sich, sonst würden auf der Welt kilometerhoch tote Mäuse, Menschen und Vögel liegen. Wir sterben ab einem Alter von 23 Jahren, weil dann die aufbauenden Funktionen immer langsamer und die abbauenden immer stärker und schneller werden. Und dann bist du halt irgendwann tot.

Der einzige Sinn des Lebens ist Arterhaltung. Da warten keine 50 000 Jungfrauen im Paradies und auch sonst nichts. Du hast auf dem Computerspiel des Lebens eine einzige Spielrunde. Und den Gestaltungsspielraum innerhalb des Spiels, den kannst du nutzen. Wenn man das begriffen hat, macht das ungemein entspannt.

Wie beeinflusst Ihre Arbeit mit dem Tod Ihre Haltung zum Leben?

Christoph Kuckelkorn: Den Tod zu verstehen, hilft, das Leben zu begreifen. Meine Faszination ist die tägliche Auseinandersetzung damit. Die meisten Menschen leben, als würden sie immer leben. Die sehen die durchschnittliche Lebenserwartung und denken, ich habe noch x Jahre. Wie so eine Garantielaufzeit. Das kann uns beiden nicht passieren. Ich kriegen fast jeden Tag Menschen auf den Tisch, die jünger sind als ich. Die Garantie für morgen, die gibt es nicht. Dieses Bewusstsein ist mir sehr präsent. Deshalb leben wir beide vielleicht ein bisschen anders, intensiver. Vielleicht auch sprunghafter, weil Prioritäten sich schnell verschieben können. Wir wissen, was wir heute machen, das haben wir gemacht. Ob wir morgen noch mal die die Chance bekommen, das wissen wir nicht. Dieses Bewusstsein ist ein großer Reichtum.

Mark Benecke: Für mich ist der ewige Kreislauf der Natur sehr eindrucksvoll. Ich sehe den Vorgang in seiner dahinter liegenden Schönheit. Wenn der Zug verspätet ist, schaue ich mir die Tiere unter der Bank an und freue mich dran. Selbst im Efeu ist viel los: Fliegen, Käfer, jede Menge Leben. Du weißt immer: Es funktioniert hier alles auch ohne mich, ohne den Menschen. Das ist erleichternd. Ebenso wie die Erfahrungen durch die Kriminalistik und andere Schrecken, die Menschen erleben, ohne dass sie daran Schuld haben – Krebs, Verbrechen, Tsunamis. Ich weiß, dass ich einen begrenzten Wirkungskreis habe. Aber du kannst in der gegebenen Zeit gestalten, was du gestalten kannst. Und du regst dich nicht mehr über Dinge auf, die außerhalb deines Wirkungsbereichs liegen. Du hast Spaß an der Freud und Spaß am Leben.

Einerseits wird der Tod tabuisiert, andererseits gibt es sehr großes Interesse an allem, was mit dem Thema zu tun hat. Die Leute rennen Ihnen, Herr Benecke, bei Ihren Vorträgen die Bude ein. Oder kommen in Scharen zum Tag der offenen Tür in Ihr Bestattungshaus. Wie geht das zusammen?

Mark Benecke: Da gibt es einfach unglaublich viele Fragen rund um den Tod. Und wir geben den Leuten ehrliche Antworten. Das ist alles. Manchmal wollen die Leute etwas vermeintlich Technisches wissen: Ist mein Kind noch in dem Sarg unter der Erde und wenn ja, wie sieht es aus? Dann sagen vielleicht manch Angehörige: Jetzt hör doch mal auf! Wir aber fragen: Was für ein Boden ist das, wie ist das Klima? Und geben sachlich Antwort, in welchem Zustand sich der Tote befindet. Oder sie wollen wissen, ob es stimmt, dass Leichen die Fingernägel noch wachsen. Die Antwort ist: Nein.

Christoph Kuckelkorn: Da sind einfach unheimliche viele Mythen im Umlauf. Von Leichengift bis zu angeblich gefährlichen Keimen – alles Quatsch. Da ist es wichtig, dass es Orte gibt, wo man fragen kann. Wichtig ist die Konfrontation und Auseinandersetzung mit den Themen. Dann kann man etwa auch darüber aufklären, dass man den Verstorbenen nicht gleich abholen lassen muss. Dass man ihn über Nacht zu Hause halten oder auch daheim aufbahren lassen kann. Es stimmt mich hoffnungsfroh, dass sich wieder mehr Menschen dafür gewinnen lassen.

Wie möchten Sie beide sich denn bestatten lassen?

Mark Benecke: Das ist mir egal. Das sollen sich meine Angehörigen überlegen. Ich bin ja dann tot.

Christoph Kuckelkorn: Mein Platz ist auf Melaten. Für mich kommt nur eine Erdbestattung in Frage. Eine Urne ist für mich etwas anonymisiert Abstraktes und hat mit dem Körperlichen nichts mehr zu tun. Eine Trauerfeier mit einer Urne kann nicht die gleichen Emotionen hervorrufen wie eine Trauerfeier mit einem Sarg. Der Körper der Mutter, aus der ich selber entstanden bin, der liegt da. Die Urne ist nur ein Gefäß mit Asche.

Das ist für viele das, was sie brauchen, weil sie die Trauer nicht zulassen wollen. Gesellschaftlich ist das ein schlimmer Prozess. Wenn ich nicht trauern kann, wann will ich überhaupt noch mal Emotionen zulassen?

Viele Menschen wählen auch deshalb eine Kremation, weil Ihnen das als vermeintlich saubere Lösung erscheint und sie die Vorstellung abstoßend finden, sich womöglich von Maden und Würmern zerfressen zu lassen...

Christoph Kuckelkorn: Ich teile diese Sichtweise nicht. Ich würde sagen, der Körper geht nach dem Tod in eine Art Selbstverdauung. Meine Keime, die ich in mir trage, die die bislang mein Essen zersetzt und meinen Stoffwechsel aufrecht erhalten haben, die werden plötzlich frei und beginnen den Körper zu zersetzen. Die Zersetzung kommt aus mir selbst. Wie cool ist das denn? Wir tragen alles für eine vernünftige Bestattung in uns.

Mark Benecke: Und das mit den Maden kannst du wirklich vergessen. Bei einer normalen zwei Meter tiefen Erdbestattung im Sarg hast du weder Maden noch Schmeißfliegen. Das siehst du eher bei Verbrechen, Kriegen oder verendeten Tieren im Wald.

Bis der „Wurm“ an den Verstorbenen kommt, hat sich die Leiche schon zersetzt. Die meisten Särge sind recht stabil.

Der Tod ist nicht das Ende. Was bedeutet dieser Satz für jeden von Ihnen beiden?

Christoph Kuckelkorn: Ich stelle mir oft die Frage, was Bewusstsein ist und was nach dem biologischen Tod des Körpers damit passiert. Ich kann mir gut vorstellen, dass es Dimensionen gibt, in denen das Bewusstsein geparkt wird. Das Körperliche trennt sich vom Bewusstsein und was mit dem wird wissen wir nicht. Diese Frage ist der Ursprung der Religionen. Ich finde es friedvoll zu wissen, es ist nicht alles zu Ende.

Mark Benecke: Für mich ist es das ewige Recycling: Dass man Energie und Stoffe aufnimmt und körperlich auch genauso viel auch wieder abgeben muss: Urin, Schweiß, Kot, Tränen, Haare. Das ist ein Energiegleichgewicht.

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Wir sind ja nur Energiephantome im Fließgleichgewicht. Nichts geht verloren. Wir nehmen etwas auf, Zucker, Kohlehydrate, Fette, und scheiden etwas aus, Wärme, Flüssigkeit etc. Das mögen manche vielleicht als aspergerisch gedacht empfinden. Aber ich fand schon immer komisch, dass der Großteil der Menschen das nicht sieht. Dass man denkt, man könnte immer nur nehmen. Das treibt mich wirklich um.

Sie meinen den Klimawandel und die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts...

Mark Benecke: Genau. Wir erleben gerade das größte Artensterben seit Jahrmillionen. Das haben wir angezettelt. Ohne Insekten gibt es kein Leben. Schon wenn die Regenwürmer sterben, ist Feierabend, weil es keine Kompostierung mehr gibt. Mein Albtraum ist, dass die meisten Menschen darauf scheißen, dass die Welt gerade untergeht. Dass alle zum Beispiel weiter Tierprodukte verwenden, obwohl die Urwälder gerodet werden, um Soja für die Tiernahrung anzubauen. Wir leben wie Kinder, die fröhlich mit dem Luftballon in der Hand dem Untergang entgegengehen.

Haben Sie denn noch Hoffnung, dass wir das Ruder noch rumreißen können?

Mark Benecke: Nein. Für den Menschen sehe ich keine Rettungsmöglichkeit. Der Point of no Return ist überschritten. Der Mensch ist ein Auslaufmodell. Wir können aber den Untergang mit Würde und Lebensfreude verlangsamen und gestalten. Aber irdisches Leben klappt ja problemlos auch ohne Menschen. Wir sind ein freundlicher Witz auf der Erde, ein kurzer Wimpernschlag.

Christoph Kuckelkorn: Es passiert gerade eine Art von Evolution, die radikal sein wird. Das Problem ist, dass Menschen sich nur mit Menschen beschäftigen. Aber mit dem großen Ganzen, was dahinter steht, beschäftigt sich keiner. Mit dem großen Kreislauf, dass alles mit allem zusammenhängt. Stattdessen befassen wir uns mit zwischenmenschlichen Angelegenheit oder damit, wer welche Hose trägt.

Mark Benecke: Nur die Kinder, die lassen sich nicht verarschen. Mama und Papa hatten unheimlich viel Spaß und haben gemacht, was sie wollten – das kannst du doch keinem 14-Jährigen erzählen. Am 29. Juli war der Erdüberlastungstag – wieder drei Tage früher als im vergangenen Jahr. (Anm. der Redaktion: Der 29. Juli 2019 markiert das Datum, an dem die Menschheit global mehr natürliche Ressourcen verwendet hat, als die Erde in diesem Jahr produzieren kann).

Sie sind beide überzeugte Kölner. Hat das auch damit zu tun, dass der Kölner eine besondere Begabung hat, den Moment bis zur Neige zu genießen, wohl wissend, dass am Aschermittwoch alles vorbei ist? Viele Karnevalslieder thematisieren den Tod und feiern den Augenblick.

Christoph Kuckelkorn: Das stimmt. Gerade bei den Liedern von Kasalla. Der kölsch-katholische Humus ist dafür ein guter Nährboden. Da tut sich auch in Sachen Abschiedskultur gerade etwas, das ich vor allem bei den Karnevalisten beobachte: Es gibt eine Wandlung hin zu einem zunehmend lebendigeren Umgang mit dem Tod – so wie wir ihn hier im Rheinland vor den beiden Weltkriegen noch gepflegt haben. Die Karnevalisten zum Beispiel gehen mit einem Spielmannszug auf den Friedhof und bringen zum Todestag ein Ständchen. Und es gibt am Grab bisweilen auch Theken, die aufgebaut werden...

Mark Benecke: Aber nicht nur bei den Karnevalisten. Als ein Bekannter Suizid begangen hatte, waren wir Freunde ganz ratlos, wie wir den Abschied begehen sollten. Dann sind wir zum Friedhof, um ihm ein Flasche Kölsch geöffnet in die Erde zu stellen und mit ihm anzustoßen.

Das Gespräch führte Alexandra Ringendahl

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