Damals hagelte es Kritik: Sollten Medien die Herkunft von Tätern nennen? In der Branche und in der Politik wird die Frage auch heute noch debattiert.
Zehn Jahre nach KölnWie Medien nach Silvester 2015 mit der Herkunft von Tätern umgehen

In der Silvesternacht 2015 fanden am Hauptbahnhof und vor dem Dom viele sexuelle Übergriffe statt. (Archivbild)
Copyright: Max Grönert
Jahreswechsel 2015/16 – die massenhaften, sexuellen Übergriffe in Köln haben die Medien damals kalt erwischt. Die lokalen Medien habe besonders geärgert, dass sie in jener „Kölner Silvesternacht“ vor zehn Jahren nicht vor Ort gewesen seien, bilanziert die Journalistin und Kommunikationswissenschaftlerin Heike Haarhoff, die auf Krisen- und Konfliktkommunikation spezialisiert ist und über die Ereignisse promovierte.
„Kölner Silvesternacht“ und ihre Folgen
Denn es schien ein Jahresende wie immer zu werden. Der WDR hatte seine Teams schwerpunktmäßig zur Betrachtung des Feuerwerks über der Domstadt positioniert, ohnehin waren wegen der Feiertage wenige Redaktionen voll besetzt. Und auch die Kölner Polizei trug mit ihren zunächst die Ereignisse herunterspielenden Pressemeldungen zur Verwirrung bei. Da war am Neujahrsmorgen von einer „entspannten Einsatzlage“ die Rede, die Meldung trug die Überschrift „Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich“.
Erst Recherchen des „Express“ und des „Kölner Stadt-Anzeigers“ führten zwei Tage später zu einer anderen Darstellung durch die Behörden. Jetzt informierte auch die Polizei über das reale Ausmaß der Übergriffe, bestätigte, dass es sich zumeist um sexualisierte Gewalt gegen Frauen gehandelt habe - und dass die Täter laut Zeugenaussagen „nordafrikanisch Aussehende“ gewesen seien.
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Gab es ein „Schweigekartell“?
In der dann anlaufenden Berichterstattung gingen die Medien höchst unterschiedlich mit Angaben zur Herkunft der Täter um. Aus der Politik kamen Vorwürfe, hier würden aus Gründen der Political Correctness Informationen bewusst unterschlagen. Der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sprach damals sogar von einem „Schweigekartell“.
Doch auch Medien, die die Herkunft nannten – und diese waren laut Haarhoff in der Mehrheit – sahen sich teils heftigen Reaktionen ausgesetzt. Es gab jede Menge Beschwerden beim Deutschen Presserat, dem Selbstkontrollorgan der deutschen Zeitungen und Zeitschriften. Nach dessen Pressekodex war damals eine Nennung der Herkunft nur bei einem „begründbaren Sachbezug“ zulässig – also wenn die Angabe für das Verständnis der Tat relevant war.
Die Debatten nach der „Kölner Silvesternacht“ wirkten bis heute nach, sagt Haarhoff der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): „Der deutsche Journalismus hat hierüber leidenschaftlich diskutiert - bislang allerdings ohne eine eindeutige Antwort.“ Aber die „Kölner Silvesternacht“ sei ein Schlüsselereignis. „Kaum eine Studie zur Ausländerkriminalität oder mediale Berichterstattung zur Straffälligkeit von Flüchtlingen kommt ohne Bezug darauf aus.“
Auch der Pressekodex wurde geändert. Er betont zwar weiterhin, eine Berichterstattung über die Zugehörigkeit zu „ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten“ dürfe „nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens“ führen. Doch in puncto Herkunftsnennung heißt es jetzt offener, diese solle „in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse“.
Polizei nennt jetzt oft Herkunft
Auch die Polizei, die sich zuvor am Pressekodex orientierte und nur zurückhaltend entsprechende Angaben machte, geht die Problematik jetzt anders an. Allerdings sind hier große regionale Unterschiede zu verzeichnen. Doch generell nennen heute die meisten Landespolizeien die Herkunft von Tatverdächtigen.
In Bayern gilt beispielsweise seit dem 1. Oktober dieses Jahres, dass die bayerische Polizei die Nationalität von Tatverdächtigen und Opfern in ihrer Pressearbeit „grundsätzlich aktiv“ nennen soll. „Klare Botschaft: Wir nennen neben Alter und Geschlecht auch die Staatsangehörigkeit“, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dazu dem Bayerischen Rundfunk. Es gehe ihm darum, „eine sachliche Meinungsbildung in der Öffentlichkeit“ zu ermöglichen. Diese habe ein Anrecht darauf, „ehrlich informiert zu werden“.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte im Sommer ebenfalls einen entsprechenden Erlass auf den Weg gebracht, der in der schwarz-grünen Koalition in Düsseldorf weiter kontrovers diskutiert wird.
Presserat warnt vor Stigmatisierung
Der Presserat sieht hier die Gefahr, dass eine solche „routinemäßige Nennung der Nationalität“ dazu führen könnte, dass wegen des Fehlverhaltens Einzelner Vorurteile gegenüber ganzen Gruppen entstehen oder verstärkt werden könnten. Presserats-Sprecher Manfred Protze erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass Redaktionen nicht verpflichtet sind, die Angaben der Polizei in jedem Fall weiterzumelden. „Redaktionen müssen weiterhin sorgfältig abwägen, ob es für die Nennung der Nationalität im konkreten Fall ein begründetes überwiegendes öffentliches Interesse gibt“, so Protze.
Wie kompliziert das in der Praxis ist, machen zwei Beispiele klar. Die „Sächsische Zeitung“ aus Dresden beschloss im Sommer 2016 als Folge der Debatte, sich nicht mehr an die Empfehlungen des Presserats zu halten. „Stattdessen werden wir künftig die Herkunft von Straftätern oder Verdächtigen in jedem Fall angeben“, hieß es in eigener Sache. „Egal, ob es sich dabei um Deutsche handelt, was die Regel ist, oder um Ausländer.“
Und auch Rückmeldungen der Polizei machen klar, dass es hier keine einfachen Lösungen gibt. Dort heißt es hinter vorgehaltener Hand, Journalisten verlangten nun mitunter nach der kompletten Familiengeschichte von Tätern und Verdächtigen. Und selbst bei konsequenter Nennung der Nationalität geht es manchen Medien nicht weit genug, wie der frühere Pressesprecher des Polizeipräsidiums München, Marcus da Gloria Martins, bereits 2020 festhielt - jedenfalls dann nicht, „wenn es um Deutsche mit Migrationshintergrund geht“. (kna)

