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25. TodestagWarum Rio Reiser Deutschlands einzig wahrer Rockstar war

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Rio Reiser 

Berlin – „Ja, ich bin vom ander’n Ufer“, singt Rio Reiser, der damals noch Ralph Möbius heißt, in seinem dylanesken Song „Asphaltcowboy“, „und der Fluss ist uns’re Angst.“ Das frühe Coming-out kam leider erst 20 Jahre nach Reisers frühem Tod mit 46 Jahren heraus, auf einer Box mit unveröffentlichten Liedern.

Denn die Berliner Hausbesetzerszene, als deren Sprachrohr er sich als Sänger von Ton Steine Scherben Anfang der 70er wiederfindet, kann überraschend staatstreu sein, wenn es um die gleichgeschlechtliche Liebe geht: Der Strafgesetzbuchparagraf 175, der die Homosexualität kriminalisiert, wird erst 1994 abgeschafft. Für den großen Nichteinverstandenen Reiser aber sind die privaten und die gesellschaftlichen Verhältnisse exakt dasselbe.

Allein machen sie dich ein

Dass sich das tatsächlich so verhält, merkt man erst, wenn man vom Gemeinwesen ins Abseits gestellt wird. So lassen sich fast alle von Reisers zu Tode zitierten Songtitel sowohl als Slogans, wie als persönliche Hilferufe lesen: „Warum geht es mir so dreckig?“, „Ich will nicht werden was mein Alter ist“, „Allein machen sie Dich ein“.

Wenn Rio solche Zeilen singt, seien sie bekenntnishaft oder aufrührerisch gemeint,  fühlt sich sowieso jeder angesprochen. Er habe noch nie jemanden in Deutschland singen gehört und gesehen, schreibt Einstürzende-Neubauten-Chef Blixa Bargeld in seinem Nachruf auf Reiser im „Spiegel“, der wie Rio in der Lage ist, innerhalb von Sekunden eine intime Beziehung, geradezu eine Liebesbeziehung, mit jedem einzelnen seiner Zuhörer aufzubauen. 

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Rio besitzt, als einzig deutschsprachiger Sänger seiner Zeit, ebenjene Qualität, die für einen Rockstar unerlässlich ist, der man  hierzulande aber mit guten Gründen misstrau: Charisma. Schon ein Jahr nach ihrem Debütalbum weigern sich die Scherben, ihren bekanntesten Song live zu spielen. Denn sobald Rio Reiser  beginnt, seine Absage an alles aufzuzählen – „Radios laufen/ Platten laufen/ Filme laufen/ TV’s laufen/ Autos kaufen/ Häuser kaufen/ Möbel kaufen/ Eisen kaufen/ Wofür?“ –  rastet ihr junges Publikum aus, schlägt um sich, zündelt,  noch ehe er „macht kaputt, was euch kaputt macht“ fordern kann.

Aber für sie, die Unzufriedenen und Chancenlosen,  singt Reiser. Nicht für die Studenten auf ihrem nachträglich glorifizierten Marsch durch die Institutionen.  Er ist ja selbst ein Unruhegeist, trinkt zu viel und wütet, wenn er nicht mehr weiter weiß. Ton Steine Scherben hinterlassen einen Schuldenberg, weil ihr linkes Publikum von ihnen erwartet, dass  sie aus Solidarität spielen – und nicht für schnödes Geld. Als sich Reiser  solo dann an radioförmigeren Klängen versucht, ruft es: Verrat!

Es kann nicht einfach gewesen sein, Rio Reiser zu sein, Rockstar in einem Land das keine  Rockstars aushält. Am Freitag jährt sich sein Tod zum 25. Mal. Seinen selbst gekrönten König wünscht sich Deutschland erst zurück, als es schon zu spät ist.