Fünf Filmschaffende wurden mit dem 33. Gerd-Ruge-Stipendium, dotiert mit insgesamt 100.000 Euro, ausgezeichnet.
33. Gerd-Ruge-Stipendium vergebenFür einen Journalismus mit Haltung

Preisträger des Gerd-Ruge-Stipendium mit Jury
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Als die Film- und Medienstiftung NRW an diesem Mittwoch zum 33. Mal das Gerd-Ruge-Stipendium für die Entwicklung innovativer Dokumentarfilme vergab, nutzte Walid Nakschbandi, Geschäftsführer der Stiftung diese Gelegenheit, um an den namensgebenden Journalisten und Dokumentarfilmer sowie Mitbegründer des Stipendiums zu erinnern: „Der Name Gerd Ruge steht für einen Journalismus, den ich heute oft vermisse: Haltung statt Meinung, Neugier statt Agenda-Journalismus, Mut statt Schlagzeilen“, so Nakschbandi bei seiner Eröffnungsrede im WDR Funkhaus.
Aus 59 Einreichungen wählte die Jury fünf Stipendiatinnen und Stipendiaten aus. „Da sind so viele Talente und Ideen, das schmerzt einen wirklich, dass nicht alle gefördert werden können“, so Regisseurin und Jury-Mitglied Corinna Belz. Jury-Kollegin und Regisseurin Doris Metz ergänzte, als Hauptthema könne man dieses Jahr die Suche nach Heimat, Heimatlosigkeit, Fragen von Zugehörigkeit und Identität erkennen. Auffallend sei auch der postmigrantische Blick in vielen Projekten und „eine unglaubliche Breite und Vielfalt an Handschriften, an Themen, an Zugängen“.
Hannah Dörr, Niels Laupert, João Pedro Prado, Walter Solon und Irma-Kinga Stelmach ausgezeichnet
Mit jeweils 20.000 Euro wurden Hannah Dörr, Niels Laupert, João Pedro Prado, Walter Solon und Irma-Kinga Stelmach ausgezeichnet. Ihre Themen und Herangehensweisen könnten tatsächlich kaum unterschiedlicher sein: Vom intimen Porträt einer 84-jährigen jüdischen Holocaustüberlebenden, die jetzt einen 48-jährigen schiitischen Libanesen heiratet, bis zu einem satirischen Dokumentarfilm über die rechte Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“ – der Idee, dass weiße Christen in Europa nach und nach durch muslimische Migranten ersetzt werden. „In rechten Kreisen wird oft gesagt, die Juden würden dahinter stecken. Da bin ich als brasilianischer Jude, der in Deutschland lebt, der perfekte, neutrale Agent, um diese Verschwörungstheorie zu inszenieren“, kommentierte Walter Solon sein Vorhaben nicht ohne eine gehörige Portion Sarkasmus. Damit spricht er ein Problemfeld an, das im Vorfeld der Preisverleihung auf bei einem Panel diskutiert wurde: Inwiefern kann und sollte das Dokumentarische neutral sein, wann und wo sollte es Haltung zeigen?
Dass Dokumentarfilme, überhaupt Journalismus, nie „neutral“ sein kann, da waren sich alle auf der Bühne schnell einig. Die Schriftstellerin Mithu Sanyal formulierte es so: „Bestimmte Texte werden lediglich als neutral wahrgenommen, weil sie sich mit dem Mainstream, mit dem, was wir als die Norm wahrnehmen, decken. Andere Texte gelten schon als politisch, qua dessen, was die Menschen mitbringen.“ Sie selbst versuche nicht neutral, aber unparteiisch zu sein.
„Ich habe in die Kamera gesprochen und gesagt, ich bin nicht mehr nur Journalistin, sondern jetzt bin ich Aktivistin.“
Die Journalistin Düzen Tekkal schilderte wiederum eindrücklich, wie sie zur Filmemacherin wurde, weil sie unbedingt die Geschichte des Völkermordes an den Jesiden zu einem Thema machen wollte: „Ich wollte durch meine deutsch-jesidisch-kurdischen Augen, diesen Film nach Deutschland bringen und damit auch die Mehrheitsgesellschaft konfrontieren.“ Dass sie dabei nicht neutral bleiben konnte, adressierte sie im Film offen: „Ich habe in die Kamera gesprochen und gesagt, ich bin nicht mehr nur Journalistin, sondern jetzt bin ich Aktivistin.“ Es müsse deshalb darum gehen, den Film so ehrlich, nicht so neutral wie möglich zu gestalten.
Welche Rolle dabei auch der eigene (Migrations-)hintergrund spielt, darüber sprach nicht nur Tekkal, sondern auch Regisseur Bilal Bahadır, der mit „Uncivilised“ die Auswirkungen weltpolitischer Großereignisse auf junge Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland beleuchtete. „Das Wichtigste war, eine Serie zu schaffen, bei der wir nicht der Mehrheitsgesellschaft erklären, was Rassismus ist, sondern direkt für die Community und die Gefühle von diesen Menschen wirklich wahrzunehmen. Denn solange wir nicht darüber reden, schämt man sich und es verschließt sich“
Das Einzige ist, du bist Filmemacher und es ist deine verdammte Aufgabe, den Leuten zu zeigen, was los ist.
Auch Volker Heise beschreibt ein prägendes Erlebnis seiner Karriere als Regisseur. Bei einem Filmprojekt in Jerusalem, in das er rückblickend blauäugig hinein gegangen sei, sei er zum ersten Mal mit Identitätspolitik konfrontiert worden. „Das hat mich auch auf mich selbst zurückgeworfen. Was gibt mir jetzt eigentlich die Erlaubnis, das zu erzählen? Das Einzige ist, du bist Filmemacher und es ist deine verdammte Aufgabe, den Leuten zu zeigen, was in dieser Stadt los ist, mit all seiner Komplexität und all seiner Widersprüchlichkeit“, so Heise. „Ich habe damals gedacht, das ist eine krasse Situation in dieser Stadt und gut, dass wir das überwunden haben in Deutschland. Weil ich habe nicht gewusst, dass das unsere Zukunft ist.“
Eine Zukunft, in dessen Gegenwart Journalistinnen und Filmemacher für Haltung nicht selten einen hohen Preis bezahlen müssen. Sanyal spricht von Morddrohungen, Tekkal von regelrechten Hass-Kampagnen gegen ihre Person. Doch deshalb keine Haltung zu bewahren ist für sie keine Option: „Die Frage ist, was ist stärker als unsere Ängste, und wie schaffen wir es trotzdem, füreinander einzustehen und die Gesellschaft zu verteidigen, denn dort, wo wir nicht mehr miteinander sprechen, stirbt die Demokratie.“ Damit war diese Preisverleihung im Zeichen Gerd Ruges nicht nur feierlicher Anlass, sondern auch ein dringender Appell an das Dokumentarische, an den Journalismus.