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Abschiedskonzert Hagen QuartettUnter ihren Händen wird alles zur Avantgarde

3 min
Hagen Quartett

Seit 44 Jahren ist das das Salzburger „Hagen Quartett“ schon in der internationalen Klassikszene aktiv

Das keinesfalls altersmilde Hagen Quartett verabschiedete sich nach 44 Jahren mit Werken von Mozart und Schubert in der Kölner Philharmonie.

Wie - Abschiedskonzert? Haben die denn nicht gerade erst angefangen? Wer die Aktivitäten des Hagen Quartetts über die Jahre hinweg verfolgt hat, dem kann die allmähliche Verwandlung eines ‚jungen‘ in ein ‚jung gebliebenes‘ Ensemble leicht entgangen sein. Tatsächlich ist das Salzburger Quartett schon unglaubliche 44 Jahre in der internationalen Klassikszene aktiv; seine Mitglieder nähern sich mittlerweile dem Rentenalter.

Man hat davon wenig wahrgenommen, weil die „Hagens“ nie zu einem gesetzten, gereiften oder gar altersmilden Quartett geworden sind. Sie spielen heute im Grunde wie zu Beginn der achtziger Jahre: Geistig hochgespannt, klangrednerisch zugespitzt, bisweilen auch ein bisschen kratzig. Mit diesem hellwachen, im besten Sinne angriffslustigen Spiel soll nun aber Schluss sein. Das Quartett wird sich am Ende der Saison auflösen. In der Kölner Philharmonie war es nun also (voraussichtlich) letztmalig zu Gast.

Familiäres Widerspiel von Solidarität und Selbstbehauptung

Den Anfang machte Mozarts D-Dur-Quartett KV 575, das im Programmheft mit Recht zum „Zartesten und Lichtesten“ aus der Feder des Komponisten gezählt wird. Ebenso mit Recht witterte das Hagen Quartett hinter der poetischen Erscheinung aber eine noch wichtigere konstruktive Idee: Zurückhaltend, gebremst, fast zaghaft klang der Beginn - eine Musik auf der Suche nach sich selbst. Das disparate Material formte sich erst allmählich zu einer tragfähigen Struktur; ein sicher stehendes, für alle Formteile funktionierendes Tempo gab es eigentlich bis zum Schluss des Kopfsatzes nicht.

Hier wie in Schuberts d-Moll-Quartett D 810 („Der Tod und das Mädchen“) spürte man den Widerstand der vier Musiker, sich wechselseitig zu stabilisieren, einen homogenen Chor zu bilden. Koordination und Detailabstimmung funktionierten perfekt, aber nur durch diese Perfektion waren die jederzeit spürbaren Fliehkräfte im Ensemble beherrschbar. Drei der vier Quartett-Mitglieder sind Geschwister; und man geht wohl nicht zu weit mit der Vermutung, dass sich das bekannte familiäre Widerspiel von Solidarität und Selbstbehauptung hier auf der musikalischen Ebene fortsetzt.

Musikalische Hochspannung

Dem wohlgerundeten Quartettklang alter Schule haben die Hagens schon immer misstraut. Dass sie bei Mozart einen schlanken, schmal vibrierenden Ton bevorzugen, mag stilistischer Einsicht folgen. Bei Schubert wurde der Vibrato-Verzicht dagegen zum bewusst eingesetzten Ausdrucksmittel - extreme Spielentscheidungen für eine extreme Musik. Das Piano tönte fahl, das Forte drangvoll. Statt die Räder der Musik rollen zu lassen, zog man die Bremsen an und schob mit voller Kraft. Dass dabei mitunter die Intonation Schaden nahm, war unvermeidlich. Aber wen hätte das angesichts dieser musikalischen Hochspannung ernsthaft gestört?

Zwischen die beiden Großwerke geschaltet waren zwei Gruppen geraffter, hochverdichteter Miniaturen von Anton Webern. In den fünf Sätzen op. 5 arbeiteten die Streicher das zerbrochene romantische Melos eindringlich heraus; in den sechs Bagatellen op. 9 war alles auf das Punktereignis, den Einzelton und seine kompromisslose Scharfzeichnung gerichtet. Das Hagen Quartett spielt auch die klassische Moderne wie Avantgarde, aber unter den Händen dieser großartigen Musiker wird ohnehin alles zur Avantgarde, auch Mozart und Schubert. Man wird das sehr vermissen.