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Antilopen Gang in KölnAngekommen im Spätsommer des Lebens

5 min
Drei Musiker winken von der Bühne ins Publikum.

Die Antilopen Gang am Samstag beim Auftritt an der Kölner Südbrücke.

Die Antilopen Gang veranstaltet in Köln ihr eigenes „Antilopen Air“-Festival und setzt zum nächsten großen Sprung an.

„Ich habe da Einwände“, meldet sich eine Stimme aus dem Publikum. DJ Panik Panzer drückt sofort die Pausetaste und „Schnappi, das kleine Krokodil“ verstummt. „Moment, es gibt da eine Beschwerde“, spricht Panik Panzer ins Mikrofon, „wir müssen das nicht spielen, es sollen sich ja alle wohlfühlen.“ Aber die Mehrheit auf dem bauwagenesken Poller Gelände an der Südbrücke ist klar Pro-Schnappi. So funktioniert die Basisdemokratie auf dem „Antilopen Air“, der sommerlichen Frischluft-Tour der Antilopen Gang, die in Köln ihren Abschluss feiert. Das Minifestival ist ausverkauft. Gemütlich ist es trotzdem, selbst das Moshpit ähnelt einer Kuschelgruppe mit leichtem Testosteronüberschuss.

Das Logo zur Tour antizipiert Gewitterblitz und Regen, es blieb dann bei ein paar durchaus erfrischenden Tropfen. Und der ganze Abend steht unter dem Vorzeichen aggressiver Nettigkeit, eine Party der Paradoxien. Etwa, wenn Panik Panzer - erneut nach Abstimmung - Songs der lokalen Punkgröße Mülheim Asozial spielt. Darin wird genretypisch gegen Polizei und Deutschland gewettert. Darauf lässt der DJ das heimatbesoffene Schunkelstück „Et Jett kein Wood“ von Cat Ballou folgen und die Reaktionen sind nicht weniger enthusiastisch, weil lokalpatriotisch ist man ja schon.

Anarchie weniger im Sinne von Bakunin als von Bud Spencer

Koljah, Antilope Nummer Zwei, hat die Moderation des Abends übernommen. Auf Festivals, erzählt der Rapper, habe man die anderen Bands oft nicht gut gefunden, und auch das Publikum eher fragwürdig. Weshalb man das jetzt im kleinen Rahmen selbst organisiere, nach dem Motto „Keine Arschlöcher auf der Bühne“. Sprach's und begrüßte den noch fehlenden Bandkollegen, Danger Dan, als ersten Höhepunkt.

Der setzt sich ans Korg-Klavier und bittet ebenfalls um Zurufe aus dem Publikum. Das führt zum ersten Stück „Ingloria Victoria“, einem reichlich verspäteten Diss-Track gegen sein altes Aachener Gymnasium. Das schmückte sich auf seiner Wikipedia-Seite mit dem prominenten Abgänger - und hatte sich auf diese Weise eine ätzende Richtigstellung seines Ex-Schülers eingefangen, der sich lieber als „Geschädigter“ bezeichnen will.

Am Ende von Danger Dans kurzer Setlist steht selbstredend „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“, die kabarettistische, geschickt deren Strategien parodierende Kampfansage an die Neue Rechte, die den Hip-Hopper 2021 in die Philharmonien und Feuilletons katapultierte. Doch zuvor spielt er noch ein neues Lied am Klavier, in dem er eine Schlägerei in seiner Kreuzberger Lieblingskneipe zur Utopie überhöht. Anarchie weniger im Sinne von Bakunin als von Bud Spencer: „Ach, was fühlten wir uns frei, in der Roten Rose um halb drei.“

Danger Dan lässt sich vom Publikum feiern.

Danger Dan von der Antilopen Gang 2024 auf dem Nürburgring

Die drei Antilopen haben mittlerweile die 40 überschritten, doch sie fürchten die Vereinnahmung durch die Grünen-Wähler gehobener Gehaltsklassen wie der Teufe das Weihwasser. Das kann man schon verstehen, es führt aber auch zu einigen spätpubertären Verrenkungen.

Bevor sie als Trio zurückkehren, bleibt noch Zeit für Freunde und Gäste. In jedem Auftrittsort hat die Antilopen Gang nach der „schlechtesten Punkband“ der jeweiligen Umgebung gesucht. Bewerben konnte sich, wer wollte, um zu gewinnen, brauchte man die wenigsten Stimmen bei der Onlinewahl. Das ist auch Demokratie, der Nische eine Bühne zu bereiten. Das Siegertrio mit dem angemessenen bescheuerten Namen Click (Conni und der Läusealarm) hat sich eigens für den Wettbewerb gegründet - und klingt zu Anfang tatsächlich furchtbar. „Das ist unser erstes Konzert“, sagt Sänger Motte. „Ich habe selbst schon mal ein, zwei Konzerte gespielt, da waren vielleicht 15 Leute da. Na ja, eigentlich meinte ich fünf bis zehn.“ Humor geht immer und plötzlich springt ein Funke über, Männer in schwarzen T-Shirts rempeln sich fröhlich an, während Motte singt „Kunst muss wieder wehtun“.

Sehr viel professioneller und ernsthafter geht es bei der Rostocker Hip-Hop-Crew Waving The Guns zu, „politischer Rap mit klar antifaschistischer Grundhaltung“ laut Eigenbeschreibung. Dass Rapper Milli Dance stets mit schwarzer Sturmhaube auftritt, mag in Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich eher dem Selbstschutz als dem Image dienen. Er rappt gegen „Krypto-Bros und Musk-Jünger“ und die Grenzen der Demokratie: „Du willst eine Runde fragen, was des Volkes Meinung sei/ Und ich denk, bitte lass die Hunde schlafen.“

Man kann sich fragen, wie aktuell manche Feindbilder noch sind

Dann, endlich, die Antilopen Gang selbst. In den vergangenen Jahren haben sie sich ein wenig weg vom Hip-Hop, hin zum Punk bewegt, aber eigentlich spielen ihre mal klugen, mal ausgewählt prolligen Provokationen in ihrer eigenen Kategorie. „Ich bin der Bürgermeister“, ruft das Trio, und 4000 Menschen antworten lautstark „der Oberbürgermeister“. Es ist ein typischer Ich-bin-der-größte-Track, aber Antilopen-typisch lassen ihre Prahlereien eher die Luft aus dem Ballon: „Ich sitze lachend bei der Psychotherapie/ Ich lese meine eigene Biografie.“

Die ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass man sich fragen kann, wie aktuell manche Texte und Feindbilder noch sind. Zum Beispiel, wenn in „Enkeltrick“ die Oma, die „sicher damals Hitler gewählt“ hat, beschworen wird. Heute finden sich neben vielen Eltern und Kindern sicher auch einige Großeltern in der Menge. Wie vor ihnen die Ärzte und die Toten Hosen ist die Antilopen Gang zu einer Mehrgenerationen-Band geworden. Womit sie spürbar noch ein wenig fremdelt. „Kinder versucht es mal mit Ladendiebstahl!“, fordern die Rapper die jüngsten Besucher auf. Aber Kaviar im KaDeWe zu klauen, lässt sich in Zeiten des Einzelhändlersterbens eben nicht mehr so überzeugend als antikapitalistische Aktion verkaufen.

Und wenn sie im neueren Stück „Alter Wegbegleiter“ den Drogenhighs von gestern nachjagen, klingt das nach Entwicklungshemmung. Längst sind selbst Kinder im Spiel. Man spürt die Verantwortung und auch die politischen Dringlichkeiten, die sich nicht durch Kneipenschlägereien lösen lassen. Der Sommer ist zu Ende und das, was kommt, nicht länger hinauszögern. Der nächste große Sprung der Antilopen Gang steht an.