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Ausstellung im Museum Unter TageWarum uns die Pilze überlegen sind

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Standbild mit Pilz aus Western Rampart

Bochum – Weiße Steine liegen auf einem Sockel beisammen, ruhig sehen sie aus, geduldig. Sie sind gar nicht wirklich Steine, sondern gefundene, von der Meeresströmung rundgeschliffene Terrakotten, die die Künstlerin Ilana Halperin im stark kalkhaltigen Quellwasser der Fontaines Pétrifiantes in der Auvergne mit einer festen Kruste hat überwuchern lassen. Anschließend hat sie die Steine bildhauerisch bearbeitet, sie wieder geschliffen, hat damit die Arbeit des Wassers aufgenommen und fortgesetzt.

Wirklich neu ist es ja nicht, aber immer wieder spannend kann er sein, der Blick auf das künstlerische Material und dessen Eigensinn. An der Wand hängen zwei große Tapisserien in erdigen Tönen und einige Zeichnungen, es geht auch hier um eine geologische Perspektive, die die Künstlerin einnimmt, es geht um Vulkane und Landmassen, um Sedimentierung und Metamorphose, um Verwandtschaft und um „deep time“, um die Winzigkeit des Menschen und um fast vergessenes Wissen.

Die erste Ausstellung von Markus Heinzelmann in Bochum

Der erste Raum der Ausstellung im Bochumer Museum unter Tage ist mit Ilana Halperins Arbeiten gleich einer der stärksten. Die Arbeiten öffnen, sehr behutsam, ein fast unermesslich weites Feld, dem in den nächsten Räumen fünf weitere Positionen folgen, die sich alle auf die ein oder andere Weise mit Material auseinandersetzen.

Die Bochumer Ausstellung „Die Kraft des Staunens. Der neue Materialismus in der Gegenwartskunst“ hat Markus Heinzelmann gemeinsam mit Studierenden ersonnen und eingerichtet. Heinzelmann, von 2006 bis 2018 Direktor des Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen, ist seit 2021 Lehrstuhlinhaber der neuen Stiftungsprofessur an der Ruhr-Universität Bochum: Museale Praxis mit dem Schwerpunkt internationaler Gegenwartskunst. „Die Kraft des Staunens“ ist seine erste Ausstellung in den Räumen des Museum unter Tage. Es gehe bei dieser Präsentation, so der Kurator, „um die aktive Handlungsmacht von Materie“.

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Ein Ausgangs- und Referenzpunkt der Schau ist die Arbeit des amerikanischen Künstlers Robert Smithson (1938-1973): „Indoor Mirror Displacement (Tree from Langenfeld, Germany), 1969. Der Düsseldorfer Bildhauer Markus Karstieß bezieht sich mit seiner Kunst länger schon und immer wieder auf den Land Art-Pionier, mit dessen spiegelbewehrtem Baumgerippe er nun einen Raum teilt. Der Methode, der Karstieß weitgehend die Entscheidungsmacht über das künstlerische Geschehen überlässt, ist der Lüsterbrand, ein Verfahren, das die silbernitrathaltigen Oberflächen seiner Keramiken je nach Sauerstoffgehalt während des Brennens mehr oder eben auch weniger oxidieren lässt. Die Kunstwerke haben auf einmal mehr als nur einen Autor. Ähnlich gilt dies für die Arbeiten von Agata Ingarden, von deren großem Objekt „Like Mushrooms After Rain“ (2018) je nach Raumtemperatur süßer Zuckersaft herabtropft und verlockend duftet.

In dem großartigen Film des dänischen Künstlerkollektivs SUPERFLEX, „Western Rampart“ (2018), streitet sich der lange Beton-Befestigungswall der Stadt Kopenhagen aus dem 19. Jahrhundert (Vestvolden) mit einem überlebensgroßen Fliegenpilz darüber, wer wohl den kommenden Krieg gewinnen wird. Am Ende des Films - dessen Bilder gestochen scharf, dessen Tonspuren aber arg verzerrt sind - besteht eigentlich kein Zweifel daran, dass es der Pilz sein wird. Der alte Streit „Kultur versus Natur“ flammt wieder auf, der Pilz und seine erdumspannenden Netzwerke machen das Rennen.

David Jablonowski arbeitet mit 3-D-Drucker und Sedimentgestein

Was aber, fragt David Jablonowski mit seiner Kunst, was tut und was kann Datenmaterial? Die verbindenden Kommunikations-Fäden seiner Arbeiten sind die digitalen Daten, seine Werkzeuge 3-D-Drucker, Festplatte und Bildschirm, aber auch ein hartes Sedimentgestein aus einem Steinbruch des Ruhrgebiets (Sprockhövel). Diesem sind nämlich auch die Erfahrungen aus 200 Jahren energieintensiver Industrialisierung und der anschließenden Renaturierungsmaßnahmen in Zuge des Strukturwandels eingeschrieben. Wie erinnert sich der Stein daran?

Der Pilz jedenfalls, das ist seine große Stärke, kann sich, wie andere Pflanzen auch, vergesellschaften. Ein Vermögen, das eigentlich ja auch uns Menschen stark macht.

Die Kraft des Staunens. Der Neue Materialismus in der Gegenwartskunst, Museum Unter Tage, Bochum, bis 9. 10. 22