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Barocke Blumen im WallrafGeld stinkt nicht, es duftet

Lesezeit 4 Minuten
Ein bunter Strauß Blumen.

Diese „Blumengirlande“ von Hieronymus Galle gehört zur Sammlung des Kölner Wallraf-Richartz-Museums. 

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum präsentiert barocke Blumenmalerei und rehabilitiert die zu Unrecht verkannte Blattlaus.   

Auf dem Höhepunkt der niederländischen Tulpenmanie wurden für drei Zwiebeln der Sorte „Semper Augustus“ 30.000 Gulden geboten, damals, im Jahr 1637, der Gegenwert dreier stattlicher Häuser in bester Amsterdamer Lage. Wenig später stürzten die Preise ins Bodenlose und rissen zahllose Spekulanten mit in den Ruin. Bis heute freuen sich Ökonomen über die erste verbürgte Spekulationsblase der Geschichte.

Auch Kunsthistoriker kommen um die Tulpe als Wirtschaftsfaktor des niederländischen Goldenen Zeitalters nicht herum, wenn sie die Blüte des Blumenstilllebens nach 1600 erklären wollen. Selbstverständlich waren die bunten Sträuße, die in der Malerwerkstatt des jüngeren Frans Francken auf Leinwände gebunden wurden, Sinnbilder für Schönheit und Vergänglichkeit, aber eben auch für die wirtschaftliche Kraft einer die Weltmeere befahrenden Handelsnation. Je exotischer Francken die Prunkvasen bestückte, umso teurer ließen sie sich verkaufen. Darin unterschied sich der Kunstmarkt in Antwerpen kaum vom Blumenmarkt. Geld stank nicht. Es duftete.

Blattläuse waren die verkannten Künstler der Tulpenmalerei

Im Kölner Wallraf-Richartz-Museum lässt sich die kunsthistorische Tulpenmanie nun als gesamteuropäisches und jeden Preisverfall überdauerndes Phänomen bestaunen. Für die Ausstellung „B(l)ooming“ erntete die Barock-Kuratorin Anja Sevcik die hauseigene Sammlung nach Blumengemälden des 17. Jahrhunderts ab - und fand neben Arbeiten niederländischer Spezialisten wie Francken, Adriaen Coorte, Hendrick van Balen und dem Blumen-Breughel (Jan der Ältere) auch einige deutsche und italienische Importwaren. Giovanni Stanchi gehörte zu den Meistern, die in Rom das Leiden Christi mit Blumenkränzen schmückten, einen von Peter Binoit für den Handelsplatz Frankfurt geschaffenen Strauß verglich Sevcik mit einem gemalten Verkaufskatalog. Zu diesem gehört auch ein Hirschkäfer, der, offenbar geblendet von Binoits Malkunst, auf dessen Augentäuscherei hereinzufallen scheint.

Maria sitzt mit Jesuskind in einem paradiesischen Wald.

Jan Brueghel I / Hendrick van Balen: „Maria mit Jesuskind, Johannes dem Täufer und Hl. Elisabeth, von Engeln umkränzt“

Allerdings lohnt es sich, auf die ökonomischen oder auch botanischen Geschichten hinter der Kunstfertigkeit der Stilllebenmaler zu achten. So gehen die wundervollen Farbvariationen der realen Tulpen auf „Infektionen“ durch Blattläuse zurück, die zwar, so Sevcik, die kostbaren Zwiebeln schädigten, der Fantasie der Maler aber in nichts nachstanden. Schauen Sie ihre Gartenschädlinge also mit anderen Augen an – es könnten verkannte Künstler darunter sein.

Die menschlichen Meister mussten dieses Schicksal im 17. Jahrhundert nicht fürchten – sie kamen mit der Produktion kaum hinterher. Francken beschäftigte in seiner Werkstatt virtuose Blumenspezialisten und fügte seinem Kölner Bild lediglich die Prunkvase mit literarischer Szene und etwas mädchenhaft geratenem Löwenkopf hinzu. Auch das Marienbildnis des Blumen-Brueghels ist eine Gemeinschaftsarbeit, in diesem Fall mit Hendrick van Balen. Es bietet in Übererfüllung barocker Klischees von allem zu viel und bezaubert heute gerade deswegen umso mehr. Den irdischen Paradiesgarten bevölkern zu viele Puten, Blumen, Farben und Tiere, und Marias Name wird sogar als Bilderrätsel für Fortgeschrittene in einer Blumengirlande buchstabiert.

Zwei Gelehrte sitzen vor einer Bilderwand.

Frans Francken II und Atelier: „Ein Sammlerkabinett“

Obwohl die Kölner Blumen-Schau mit rund zwei Dutzend Exponaten sehr übersichtlich ausfällt, lässt sich ihr eine Vielzahl gebräuchlicher Motive und Zeichen entnehmen. Uns begegnet die Blume als galante Geste eines Liebenden, als Symbol für Reinheit, Unschuld, Treue oder Sehnsucht, als Heilpflanze, die ein frommes und sehr reiches Kind vor Krankheit schützt (Alonso Miguel de Tovars auf 1732 datiertes „Kinderbildnis“ fällt zeitlich allerdings etwas aus dem Rahmen) oder als pflichtschuldiger Anteil an allegorischen Darstellungen der Jahreszeiten. Klassische Augentäuschereien, die fiktive Insekten und leibhaftige Betrachter, verblüffen sollen, finden sich selbstredend auch; eine besonders schöne stammt von Hieronymus Galle.

Heute kleben wieder üppige Preisschilder auf den Blumenbildern

Galles „Blumengirlande“ blüht nicht in einer Vase, sondern hängt „freischwebend“ an einer Wand – beinahe wie die Blumenkränze, die sich als Gucklöcher um biblische Geschichten oder erotische Szenen der Antike ranken. Sevcik lässt es sich nicht nehmen, eine derart umflorte Geißelung Christi neben eine leicht bekleidete Venus zu hängen – so wird aus der kontemplativen Blumensymbolik, die oft auch dem Ahnenkult diente, unversehens eine Schlüssellochperspektive.

Heute kleben wieder üppige Preisschilder auf den niederländischen Blumenbildern, weshalb sich das Wallraf, ein Museum ohne Ankaufsetat, über jeden Neuzugang dieses Genres glücklich schätzen kann - auch wenn der Blumenstrauß auf Frans Franckens (abermals der Jüngere) „Sammlerkabinett“ nur eine Nebenrolle spielt. Außer für Blumen war Franckens Werkstatt auch für Galeriebilder bekannt, auf denen gelehrte Menschen vor Bilderwänden über gewichtige Probleme sinnieren, während draußen vor der Tür die „bilderstürmenden Esel“ auf Folianten herumtrampeln. Ein Äffchen fehlt in der Neuanschaffung ebenfalls nicht: Francken gehörte zu den Malern, die komische Szenen, in denen sich Affen für Menschen halten, erfolgreich in halb Europa popularisierten.

Es hätte bessere Gelegenheiten gegeben, das gegenreformatorische Gemälde der Öffentlichkeit zu präsentieren – dank der darin platzierten Blumenvase aber auch deutlich schlechtere. Die Museumsfreude erstanden das „Sammlerkabinett“ mit Mitteln ihres verstorbenen Mitglieds Jürgen Krüger für rund 120.000 Euro für die Wallraf-Sammlung, Sevcik griff dankbar die Vermutung auf, beim gemalten Herrn über dem Blumenstrauß könnte es sich um den Botaniker und Tulpenexperten Conrad Gessner handeln. Über die Identität der beiden Hauptfiguren im Bild gibt es ebenfalls nur Mutmaßungen. Letztlich stehen sie wohl für ein katholisches Ideal weltoffener Gelehrsamkeit, das allerdings, nach heutigen Maßstäben, durch eine arg bunt gesprenkelte Weltkugel etwas hintertrieben wird. 


„B(l)ooming – Barocke Blütenpracht“, Wallraf-Richartz-Museum, Obenmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 31. Mai 2016