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Wallraf-Richartz-MuseumWas sich das Kölner Haus noch leisten kann

4 min
Ein Junge hält einen Sittich auf der Hand.

Jan van Ravesteyns „Porträt des Joannes de Ruyter“, eine Neuerwerbung des Wallraf-Richartz-Museums in Köln 

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum vereint mit Ankäufen die Porträts zweier Brüder, die mutmaßlich über Jahrhunderte getrennt waren.

Tradition verpflichtet - außer in Köln. Das älteste Museum der Stadt verfügt über den geringsten Ankaufsetat sämtlicher Museen, nämlich über gar keinen, und muss sich bei Neuerwerbungen auf die Gunst privater Gönner und das Glück des Schnäppchenjägers verlassen. Immerhin kann sich das Wallraf-Richartz-Museum derzeit auf das eine wie das andere verlassen, wobei beides eben keine verlässlichen Größen sind.

Auch der jüngste Neuzugang, ein Knabenporträt des niederländischen Barockmalers Jan van Ravesteyn, verdankt sich zu gleichen Teilen einer privaten Zuwendung aus dem Freundeskreis des Museums und der günstigen Konjunktur des Kunstmarkts. Für Ravesteyns Porträt wurden 1992 noch 170.500 US-Dollar fällig, jetzt konnte es das Wallraf beim Londoner Auktionshaus Sotheby’s für gut 52.000 Euro erstehen; im Jahr 1971 hatte es allerdings lediglich 2750 US-Dollar gekostet.

Die Brüder werden nach 400 Jahren wieder vereint

Es ist bereits das zweite Ravesteyn-Porträt, dass Anja Sevcik, Leiterin der Barockabteilung, in den letzten Jahren für das Wallraf erwerben konnte – ein „großer Glücksfall“, so Sevcik, einerseits, weil Ravesteyns Bilder am Kunstmarkt deutlich unter ihrem künstlerischen Wert gehandelt würden, und andererseits, weil beide Gemälde Brüder zeigen, die, nun, nach bald 400 Jahren wiedervereint werden. Sie zeigen Joannes und Daniel de Ruyter, Söhne einer reichen Antwerpener Kaufmannsfamilie, deren calvinistischer Vater 1579 im Kölner Exil geboren wurde.

Die aktuelle, im Jahr 1632 entstandene Neuerwerbung zeigt den Erstgeborenen, Joannes, im prächtigen roten Kleid, einer Reitgerte, Steckenpferd, Trommel und einem Sittich auf der Hand; die leblosen Insignien sind bürgerlicher Jungskram des 17. Jahrhunderts, der exotische Vogel galt damals als besonders lernbegierig und soll dem fünfjährigen Knaben wohl als leuchtendes Vorbild dienen. Verglichen mit den Porträts junger Adliger wirkt dieses Bürgersöhnchen weniger steif, geradezu verspielt. Er ist beinahe schon ein Kind aus eigenem Recht und kein kleiner Erwachsener mehr. Aber natürlich konnte der reale Joannes seinem gemalten Ebenbild tagtäglich entnehmen, dass er für eine höhere Laufbahn ausersehen war.

Ein Junge posiert mit seinem Spielzeug.

Jan van Ravesteyns „Kinderbildnis des Daniel de Ruyter“, 1639

Solche Kinderbilder entstanden für die Galerien reicher Kaufmannsfamilien, als Ausdruck des bürgerlichen Selbstbewusstseins. Selbst in diesen Kreisen galten sie wegen der hohen Kindersterblichkeit als „Luxus“; in der Regel wartete man mit dem Porträt bis zum fünften Lebensjahr. Indem die Ruyters einen spezialisierten Maler wie Ravesteyn beauftragten, zeigten sie, dass sie an die Zukunft des eigenen Nachwuchses glaubten. Diese Investition wurde später durch Reise- und Bildungserlebnisse bekräftigt; auch Joannes wurde nach Erreichen des Erwachsenenalters auf „Kavalierstour“ durch halb Europa geschickt – ein Brauch, den das Bürgertum vom Adel übernahm.

Das Bild des Erstgeborenen war Ravesteyns Bewerbungsbild bei der Familie Ruyter, die den zu Lebzeiten hoch angesehenen Porträtspezialisten 1639 mit (mindestens) drei weiteren Aufträgen betraute: Bildern des jüngeren Bruders Daniel, des kölschen Vaters und der Mutter Lucretia van der Meulen. Sevcik vermutet, dass auch ein Bildnis des mittleren Kinds, der Tochter Hester, angefertigt wurde, allerdings gibt es von diesem Gemälde bislang keine Spur. Sollte sie sich finden, könnte man allmählich an eine Familienzusammenführung durch Leihgaben denken: Das Porträt des Vaters gehört heute der Honolulu Academy of Arts, das der Mutter wurde 2014 und 2016 bei Kölner Auktionshäusern gehandelt und befindet sich in Privatbesitz.

Als Siebenjähriger hatte er sich ein Anrecht auf Hosen erworben

Das lange getrennte Brüderpaar findet sich innerhalb der Barockabteilung im Raum für die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Der naturnahe Realismus, für den diese Epoche berühmt ist, zeigt sich beim jüngeren Bruder etwa in den etwas zu kurzen Ärmeln seines Kleids. Daniel de Ruyter wurde mit zweijähriger Verspätung gemalt, als Siebenjähriger hatte er sich bereits ein Anrecht auf Hosen erworben. Nun posiert er in alten Kleidern, denen er entwachsen war; sie fallen auch weniger farbenfroh aus als bei seinem Bruder. Wie dieser nimmt Daniel die würdevolle Pose eines Regenten ein, die allerdings, so Sevcik, durch seine Attribute etwas hintertrieben wird: Schläger und Bälle des Mailspiels, einer damals beliebten Mischung aus Hockey und Golf.

Für Bilder dieser Epoche aus Privatbesitz ist es alles andere als selbstverständlich, dass man ihnen sowohl den Schöpfer als auch die Abgebildeten eindeutig zuordnen kann. Jan von Ravesteyn und seine Auftraggeber waren in dieser Hinsicht äußerst hilfreich; sie scheinen bereits an die Nachwelt gedacht zu haben. Beim Joannes-Porträt verewigte sich der Maler (und den Namen des Knaben) auf einem gemalten, scheinbar von der Holztafel abblätternden Etikett, beim Daniel-Bildnis ist die Beschriftung scheinbar in den Rand eines Holzpodestes geritzt. Mit dieser Augentäuschereien zitierte Ravesteyn nicht nur die Stilllebenmalerei seiner Zeit, sondern auch die antiken Vorbilder des Illusionismus – die eigene Kunstfertigkeit wird mit Gelehrsamkeit grundiert.

Anja Sevcik erhofft sich von den kindlichen Brüdern auch Erfolg bei den Gleichaltrigen von heute (oder deren Großeltern). Der süßere Joannes soll bald als Postkarte im Museumsshop erhältlich sein, die Saalbeschriftung lässt die kindlichen Figuren in der Ich-Form sprechen. Ein hübscher Einfall, der mitlesende Erwachsene etwas unvorbereitet trifft. Wie die doppeldeutige Begrüßung „Hey Bro, lange nicht gesehen“ bei der Zielgruppe ankommt, wird sich zeigen.