Bekanntgabe der Grimme-PreiseEin durchwachsenes Fernsehjahr

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Das Sandmännchen mit den Kindern vor dem Recycling-Fahrzeug: Die Kinder werfen ihren Müll in das "Maul" der Maschine und kurzerhand verwandeln sich alte Joghurtbecher in einen Bastel-Elefanten.

Das Sandmännchen mit den Kindern vor dem Recycling-Fahrzeug.

Sechster Grimme-Preis für Jan Böhmermann, die ARD geht in der Fiktion leer aus, Vox-Format mit zwei Ehrungen.

Durchwachsen – dieses Wort fiel häufig bei der Bekanntgabe der Gewinnerinnen und Gewinner des Grimme-Preises im Kölner Filmhaus. In drei von vier Kategorien – Unterhaltung, Kinder & Jugend und Fiktion – hätten sich die Jury-Mitglieder mehr Mut gewünscht. Mut bei der Auswahl und der Aufarbeitung der Themen. Im deutschen Fernsehen ist vieles erwartbar.

Dass es auch anders geht, zeigte etwa die Vox-Produktion „Zum Schwarzwälder Hirsch – eine außergewöhnliche Küchencrew und Tim Mälzer“, die sowohl den Publikumspreis der Marler Gruppe, als auch eine Auszeichnung in der Kategorie Unterhaltung gewann. In der Doku-Realityshow arbeitet Fernsehkoch Tim Mälzer mit jungen Menschen mit Down-Syndrom zusammen. Das Ziel ist es, sie in zwei Monaten dazu zu bringen, ein Restaurant im Service und in der Küche zu leiten. Schauspieler André Dietz war Mentor. Er hat selbst eine behinderte Tochter und musste feststellen: „Ich weiß, wie sehr Inklusion eine Illusion ist.“ Ausgezeichnet wird auch Sascha Gröhl als Produzent (Vitamedia Film) und Regisseur der Sendung.

Netflix wird zweimal ausgezeichnet

Im Bereich Unterhaltung wird zudem das „ZDF Magazin Royale“ ausgezeichnet. Für Jan Böhmermann ist es bereits der sechste Grimme-Preis. Ein Spezialpreis für die Ensembleleistung geht an die „Fab Five“ der Netflix-Show „Queer Eye Germany“.

Eine Niederlage muss in diesem Jahr die ARD in der Kategorie Fiktion hinnehmen. Keine Produktion des Senderverbundes konnte die Jury überzeugen, nur über Arte ist sie an einem Film beteiligt. Großer Gewinner ist hingegen das ZDF. Der in seiner nüchternen Erzählart herausragende Fernsehfilm „Die Wannseekonferenz“ von Matti Geschonneck wird ebenso geehrt wie das Drama „Im Feuer – Zwei Schwestern“ (ZDF – Das kleine Fernsehspiel/ERT/Arte) über die junge Bundeswehrsoldatin Rojda Xani (Almila Bagriacik) auf der Suche nach ihrer im Irak vermissten Schwester.

Über eine Ehrung kann sich auch hier Netflix freuen: „Kleo“ mit Jella Haase über den Rachefeldzug einer ehemaligen Auftragsmörderin gewinnt einen Preis. Die Serie „Neuland“ (ZDF) des Kölner Drehbuchautors Orkun Ertener erhält einen weiteren Preis. Ein Spezialpreis geht an Caroline Link, der es laut Jury in „Safe“ (ZDF/ZDFneo) gelingt, das Seelenleben von Kindern herauszuarbeiten und in der Regie mit den Kindern gemeinsam zu inszenieren.

„Unser Sandmännchen“ gewinnt zum ersten Mal einen Grimme-Preis

Im Bereich Kinder & Jugend kann sich ein echter Klassiker freuen, der aber dennoch neue Wege geht: „Unser Sandmännchen“ erhält zum ersten Mal die Trophäe. Die Auszeichnung geht an Stefan Schomerus (Buch/Regie) sowie Tine Kluth (Animation) für eine RBB-Produktion, in der ein sogenanntes Recycling-Fahrzeug zu sehen ist – aus gebrauchten und defekten Dingen entsteht darin auf Knopfdruck etwas Neues. Zudem gibt es Preise für den TikTok-Kanal „smypathisch“ (funk) und „STRG_F bei den Taliban: Warum finden Menschen sie gut?“ (NRD/funk).

Einzig in der Kategorie Information und Kultur war es ein starkes Fernsehjahr, sowohl in der thematischen Bandbreite, als auch in den Erzählformen. „Die Story im Ersten: Leben nach Butscha – Trauma und Hoffnung“ (WDR) entstand in kurzer Zeit und in einem Krisengebiet, dennoch ist der 45 Minuten lange Film ein beeindruckendes, auch filmisch überzeugendes Zeitdokument. Darüber hinaus erhalten drei Dokumentarfilme Preise: „Atomkraft Forever“ (SWR/NDR) beleuchtet die Debatte über Kernenergie, „The Other Side of the River“ (Arte) begleitet eine kurdische Frau im autonomen Rojava, die ihr Leben dem feministischen Kampf gewidmet hat – auch mit Waffengewalt.

Dokumentarfilmer Peter Nestler hat dem Leid, das den Sinti und Roma in Deutschland während der NS-Zeit und danach widerfahren ist, und dem Kampf um Anerkennung und Aufarbeitung ein filmisches Denkmal gesetzt: „Unrecht und Widerstand – Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung“ (ZDF/3sat). Für ihre kontinuierliche und fundierte Beschäftigung mit Randthemen des Rechtsradikalismus erhält die Redaktion des Politmagazins „Kontraste“ eine Ehrung für die besondere journalistische Leistung.


Die Autorin war Mitglied der Jury Information und Kultur.

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