Ein neuer Bildband über Marilyn Monroe zeigt unveröffentlichte Aufnahme ihres Leibfotografen Sam Shaw.
Bildband „Dear Marilyn“Eine Liebeserklärung an den privaten Star

Marilyn Monroe tanzt auf einem Feld. Ein Foto aus Sam Shaws Bildband „Dear Marilyn“
Copyright: Sam Shaw/Shaw Family Archives/Getty Images
Als Sam Shaw erstmals Marilyn Monroe begegnete, war sie für ihn nur eine „weitere schöne dumme Blondine“ in Hollywood. Das änderte sich, als der freischaffende Fotograf die Dreharbeiten von Elia Kazans „Viva Zapata“ besuchte und ihn die damalige Geliebte des Regisseurs jeden Morgen mit ihrem klapprigen Auto im Hotel abholte, um ihn an den Drehort zu kutschieren. Unterwegs freundeten sich die beiden an – der erfolgreiche Fotograf und die arbeitslose Schauspielerin. „Jetzt fällt mir auf“, bekannte Shaw Jahrzehnte später, „dass ich nie daran dachte, ihr das Benzin zu bezahlen.“
Sam Shaw war der Leibfotograf von Marilyn Monroe
Offenbar war Monroe auch in dieser Hinsicht nicht nachtragend. Zumal Shaw seine Benzingeldschulden mit einer ikonischen Aufnahme abtrug: Marilyn im wehenden weißen Kleid über einem U-Bahn-Schacht. Die Szene stand in Billy Wilders Drehbuch zu „Das verflixte 7. Jahr“, aber die Idee, sie vor großem Publikum für die Werbekampagne nachzustellen, reklamierte Shaw für sich. Von den vielen Monroe-Bildern, die ins kulturelle Gedächtnis eingegangen sind, ist dieses vielleicht das langlebigste.
Allerdings soll es im großen Bildband „Sam Shaw: Dear Marilyn“ gar nicht um die berühmten Aufnahmen gehen, die Shaw als Leibfotograf des größten Filmstars der 1950er Jahre machte. Sondern um die „unveröffentlichten Briefe und Fotografien“, die der Untertitel vielleicht einen Tick zu großtuerisch annonciert. Die Briefe, die Shaw seiner „lieben Marilyn“ schrieb, lassen sich an zwei Händen abzählen und bleiben im Buch leider unerwidert; und welche der vielen Aufnahmen bislang tatsächlich unbekannt waren, darüber schweigen sich Shaws Erben aus.

Marilyn Monroe am Schminktisch (1954)
Copyright: Sam Shaw/Shaw Family Archives
„Dear Marilyn“ ist die Geschichte einer Hollywood-Freundschaft – erzählt in den Worten und Bildern des 1999 verstorbenen Sam Shaw. Sie versammelt tatsächlich zahlreiche „private“ Bilder der „ungeschminkten“ Marilyn, wobei sich im Studiosystem der Traumfabrik kaum zwischen wahrem und inszeniertem Leben unterscheiden lässt. Stars wie Marilyn Monroe waren privates Eigentum der Studios, das als öffentliches Eigentum vermarktet wurde; dass dem Filmfotografen Shaw dieser Zusammenhang entgangen sein sollte, ist schwerlich anzunehmen. Seine Familie, die den schönen Bildband aus dem Nachlass speist, ist an solchen Fragen allerdings nicht interessiert.
Für Meta und Edie Shaw ist „Dear Marilyn“ eine doppelte Liebeserklärung: eines Fotografen an sein „Modell“ und zweier Kinder an ihren Vater. Im Nachlass fanden sie neben zahllosen Aufnahmen auch Notizen, in denen Shaw seine Erinnerungen an Monroe aufgeschrieben hatte – offenbar für einen Film, der niemals zustande kam. Es ist zugleich aber auch ein Buch, das Shaw vom Ruf befreien soll, vor allem von seiner Freundschaft zu Marilyn gelebt zu haben. Tatsächlich fotografierte Shaw als Bildreporter zahlreiche Hollywood-Stars, Politiker und sogar das Leben normaler Bürger. Einige Beispiele dieser journalistischen Arbeit sind in „Dear Marilyn“ versammelt. Aber natürlich handelt das Buch vor allem von der Sehnsucht, einem Star nahe zu sein.
Ihre beste Rolle hatte Monroe in den Fotobänden, die ihr Leben zeigen
Wie nahe man der privaten Marilyn aufs Shaws Bildern kommt und welchen (auch geschäftlichen) Charakter ihre Freundschaft hatte, lässt sich kaum beurteilen. Aber die Illusion von Nähe stellt sich beinahe auf jeder Seite ein. Shaw begleitete Monroe bei unzähligen, offiziellen wie inoffiziellen Anlässen mit der Kamera, sei es bei Partys, zu Hause, am Schminktisch oder vor der Schmuck-Auslage bei Tiffanys (eine der Rollen, die sie nicht bekam, war Holly Golightly in „Frühstück bei Tiffanys“). Ganze Serien zeigen Monroe mit dem frisch angetrauten Literaten Arthur Miller, beim Telefonieren, am Strand oder barfuß tanzend auf einer Wiese. Auf manchen dieser Aufnahmen wirkt sie gelöst, auf anderen zwinkert sie Shaw verschwörerisch zu. Man könnte darin Zeichen einer langen innigen Freundschaft sehen, und natürlich bestätigen Shaws Texte diesen Eindruck. Andererseits blickt hier ein professioneller Fotograf auf eine für ihre kunstvoll hergestellte „Natürlichkeit“ berühmte Schauspielerin.
In seinen Erinnerungen gesteht Shaw sich selbst ein, dass er Marilyns Tränen nie zu sehen bekam. „Ihre Geschichte hat auf vielen Ebenen ein trauriges Ende“, schreibt er: „Hollywood, der New Yorker Jetset, die Überholspur, Drogen, Alkohol, Agenten, Coaches, Schmarotzer zerrten an ihr.“ Doch in all dem Chaos habe sie ihm immer nur ihr Lachen und ihre Lebensfreude gezeigt. Die dahinter verborgene Traurigkeit blitzt in „Dear Marilyn“ tatsächlich nicht einmal auf. Shaw macht sich dies zum Vorwurf, wenn er schreibt, er wünschte, damals ein besserer Fotograf gewesen zu sein: „Ich wünschte, dass ich gewusst hätte, was ich heute weiß. Welche seltene Gelegenheit ich hatte.“
Es gehört zur Tragik der Monroe, dass erst die Nachwelt ihre verborgene Traurigkeit zu schätzen wusste, und dass sie diese auf der Leinwand wohl nie so ergreifend hätte verkörpern können wie in der Realität. Ihre beste Rolle hatte sie nicht auf der Leinwand, sondern in den Fotobänden, die ihr Leben dokumentieren. Selbst wenn diese oft nur die halbe Wahrheit zeigen, wie bei Sam Shaw, und nicht das ganze Bild.
Sam Shaw: „Dear Marilyn“, Schirmer/Mosel Verlag, 240 Seiten, 77 Farb- und 180 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 49,80 Euro.