Aufs stets ersehnte Weltniveau kommt Köln als Filmstadt nicht. Aber es gibt Lichtblicke in der Dunkelheit. Rückblick auf 25 Jahre Film in Köln.
Filmstadt KölnDer richtige Ort, um wahnsinnig zu werden

Daniel Brühl in „Das weiße Rauschen“, gedreht in Köln
Copyright: KHM
Lukas kommt gerade rechtzeitig nach Köln, um Stimmen zu hören. Das 21-jährige Landei ist mit der Großstadt sichtlich überfordert, stürzt sich aber, nachdem er in der standesgemäß verwohnten Studenten-WG seiner Schwester eingezogen ist, umso entschlossener ins drogenumnebelte Nachtleben. Nach einem denkwürdig vermurksten Date, bei dem Lukas dem Taxi-Driver Travis Bickle alle Ehre macht, beginnt es in seinem Kopf zu spuken – einige „verrückte“ Tage später diagnostizieren die Ärzte der Psychiatrie Holweide bei ihm Schizophrenie und Verfolgungswahn.
Die Idee zu dieser Reise in die urbane Paranoia entwickelten Hans Weingartner und Tobias Amann während ihrer Studienzeit an der Kölner Kunsthochschule für Medien. Als Hauptdarsteller gewannen sie Daniel Brühl, gedreht wurde im Kölner Stadtgebiet mit Videokameras im damals populären Dogma-Stil. „Das weiße Rauschen“ war ein Sensationserfolg und für Brühl der Beginn einer Weltkarriere. Auch Weingartner standen nach seiner Diplomarbeit viele Türen offen.
Für die Kunsthochschule für Medien ist „Das weiße Rauschen“ bis heute die beste Visitenkarte ihrer Arbeit
Für die Kunsthochschule für Medien ist „Das weiße Rauschen“ bis heute die beste Visitenkarte ihrer Arbeit. Sie war Produzentin des 2001 fertiggestellten Abschlussfilms, der das im eigenen Namen enthaltene Versprechen, populäre Medien und klassische Künste zum beiderseitigen Vorteil zu verbinden, aufs Schönste einlöste. So entstand die vielstimmige Tonspur aus dem Geist des Experimentalfilms und hob die eher konventionelle Geschichte aus der Masse der deutschen Kinoproduktionen heraus.
Mit dem „Weißen Rauschen“ hatte Köln seine Tauglichkeit als Filmstadt und als schmuddeliger Drehort abseitiger Geschichten eindrucksvoll belegt. Allerdings erfüllten sich die dadurch geweckten Hoffnungen nur teilweise: Die KHM mag eine Kaderschmiede des internationalen Kunstfilms sein, eine Eliteschule des deutschen Kinos ist sie nicht – und schon gar keine eigenständige Marke.

Robert Pattinson in einer Szene des in Köln gedrehten Films „High Life“.
Copyright: Pandora Filmverleih/dpa
Eine solche ist in Köln am ehesten die etwas einfallslos betitelte „Kölner Gruppe“. Im Grunde besteht sie aus einem losen Verbund von Enthusiasten, unter denen Markus Mischkowski und der 2021 verstorbene Kai Maria Steinkühler die bekanntesten sind. Mit ihrer „Westend“-Reihe über zwei Arbeitslose, die sich dem neoliberalen Wirtschaftsleben wie Travestiekünstler nähern, schufen Mischkowski und Steinkühler ein Genre für sich. Ihr Kölner „Westend“ (2001) liegt in einer maßgeschneiderten Nische der Filmkultur, irgendwo zwischen Autorenkino und anti-autoritärer Liebhaberei.
Geplante kommerzielle Fehlschläge sind Teil des Gruppenprogramms, weshalb Franz Müller beinahe zu erfolgreich für die Kölner Gruppe ist – bereits mit seiner KHM-Abschlussarbeit „Science-Fiction“ (2003) verabschiedete er sich vom Kurzfilm, um sich an eine Variation des Murmeltier-Themas zu wagen: Zwei Männer bemerken zufällig, dass sich niemand mehr an sie erinnert, sobald sich eine Tür zwischen ihnen und den anderen Menschen geschlossen hat. Der Gewitztere der beiden macht mit einem Fußtritt in den Allerwertesten eines Passanten die Probe aufs Exempel, danach öffnen sich die Tore zum Schlaraffenland. Einkaufen, ohne zu bezahlen, ist die Devise, und ein bisschen auch sündigen, ohne zu bereuen. Dieser Urlaub könnte nicht süßer sein, wäre er nicht gleichzeitig ein Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Sandra Hüller erhält 2020 einen Preis beim Kölner Film Festival Cologne
Copyright: Martina Goyert
Aufs in Köln stets ersehnte Weltniveau kommt man damit nicht. Das findet man dafür bei zwei Kölner Produktionsfirmen, Pandora und Heimatfilm, die, unter tätiger Mithilfe der Filmstiftung NRW, regelmäßig Stars in lokale Filmstudios und an Kölner Drehorte locken. So durfte sich Robert Pattinson bei Claudia Steffen und Christoph Friedel von Pandora dafür bedanken, dass ihm Hürth-Kalscheuren während der Dreharbeiten zu Claire Denis‘ „High Life“ zum zweiten Zuhause wurde; Bettina Brokemper von Heimatfilm fand für Lars von Trier den „Antichrist“ in den Wäldern von Eitorf und Windeck. Beide Kölner Produktionsfirmen sich hochdekoriert: Brokemper produzierte mit „Bal“ den Gewinner des Goldenen Bären des Jahres 2010, Pandora arbeitet regelmäßig mit Regisseuren wie Andreas Dresen oder Aki Kaurismäki zusammen.
Die Erfolge der Kölner Verleihfirma Rapid Eye Movies liegen hingegen schon etwas zurück; in den 2000er Jahren half sie maßgeblich dabei, das asiatische Kino mit Regiestars wie Johnnie To und Hirokazu Koreeda in Deutschland als Massenphänomen zu etablieren; auch auf der Bollywood-Welle ritt Rapid Eye Movies mit, solange sie hielt. Klein, aber ausdauernd ist Real Fiction; es fördert das dokumentarische Kino als Verleih, Produktionsfirma und mit dem Festival „Stranger than Fiction“.
Eine Nischengesellschaft sind die Kölner Filmfestivals. Sie widmen sich so unterschiedlichen Themen wie dem Filmton (Soundtrack Cologne), einzelnen Ländern (Visions of Iran), einem Kontinent (Afrika Film Festival) oder dem Kurzfilm. Die verschiedenen Versuche der Lokalpolitik, ein großes Publikumsfestival zu etablieren, sind hingegen gescheitert oder nicht über Ansätze hinausgekommen. Das Frauen-Film-Fest findet im jährlichen Wechsel mit Dortmund statt, die 2002 gegründete Kunstfilmbiennale ging sieben Jahre später schon wieder ein.
Am ehesten könnte das hochsubventionierte Film-Festival-Cologne zu den großen Publikumsfesten in München und Hamburg aufschließen – an eine Konkurrenz zur Berlinale ist ohnehin nicht zu denken. Allerdings mag sich Festivalleiterin Martina Richter nicht entscheiden, ob sich das Festival dem künstlerischen Film widmen oder seine Wurzen in der internationalen Fernsehbranche pflegen soll; gerade das NRW-Programm wirkt mitunter wie eine Abspielfläche der Filmstiftung. Zuletzt wurde zudem von Mitarbeitern ein vergiftetes Betriebsklima kritisiert.
Angeblich arbeiten rund 12.000 Menschen in der Köln Film- und Fernsehwirtschaft, etwa 1000 Film- und Fernsehproduktionen werden hier jährlich ganz oder teilweise auf den Weg ins Kino oder auf die Bildschirme gebracht. Die Grenzen zwischen Film- und Fernsehen sind vielfach fließend, doch dürfte Köln eher eine Fernseh- als eine Filmstadt sein. Eine Stadt der Filmkultur ist sie ohnehin nicht.
Den Plan eines kommunalen Kinos, das die Filmgeschichte pflegt, hat die Politik nie ernsthaft verfolgt und dem Sterben der Cinemathek im Museum Ludwig tatenlos zugesehen. Stattdessen delegierte sie die Pflege der Filmkunst an private Initiativen, die oftmals am Rande des Existenzminimums (und des Sichtfeldes des Publikums) agieren. Dieser Flickenteppich engagierter Klein- und Spartenfestivals wird von der Politik gerne als kulturelle Vielfalt gefeiert. Doch wird diese Vielfalt nicht selten durch Selbstausbeutung und prekäre Arbeitsverhältnisse erkauft.