„Blütenlese“Die schönste Kölner Blumenmode in einem Band

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Ein Paar schwarze Schnürstiefel mit Blumendekor und Totenkopfprägung vor grauem Hintergrund

Doc-Martens-Schnürstiefel mit Blumendekor und Totenkopfprägung

Das Kölner Museum für Angewandte Kunst besitzt eine riesige Modesammlung. Jetzt gibt es die schönsten und schrägsten Blumenstücke des MAKK in einem Bildband. 

Sag’s mit Blumen, wenn Du verstanden werden willst, aber was haben uns Rosen, Vergissmeinnicht und Quitte auf dem genarbten schwarzen Leder eines Militärstiefels zu erzählen? Seit 1901 stellt die englische Firma Griggs and Co. schwere Schuhe für Bergarbeiter und Soldaten her, 1960 brachten sie das erste Modell mit einer vom deutschen Wehrmachtsarzt Klaus Maertens entwickelten luftgepolsterten Gummisohle heraus.

Als anglifizierte Doc-Martens sind die Traditionstreter mittlerweile im Mainstream angekommen, und so brachte die Dr. Martens Airwair Group vor fünf Jahren auch einen Damenstiefel im robusten „Rockabilly Remix“ mit Blumendekor und Totenkopfprägung heraus. Die ebenso gender- wie verkaufssensible Botschaft dahinter erschließt sich leicht: Männliches Design und weiblicher Schmuck gehören schon lange nicht mehr getrennten Welten an.

Moderne Schnürstiefel mit Blumen und Totenkopfprägung

Das Schnürstiefelmodell „Nyberg Aunt Sally Black“ gehört zu den eher ungewöhnlichen Stücken in der riesigen Modesammlung des Kölner Museums für Angewandte Kunst. Aber vermutlich durfte er gerade deswegen nicht in der „Blütenlese“ fehlen, als die das MAKK seinen zwölften Bestandskatalog bewirbt. Patricia Brattig, Kuratorin der Textil- und Modeabteilung, fasst unter diesem Titel „modische Tendenzen“ vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart zusammen, und zwar unter dem Leitmotiv „Blumen in der Mode“. Es ist bereits der vierte Bildband, auf dessen Seiten das MAKK seine Modesammlung ausbreitet – zuletzt erschien 2015 „Modedesigner von A bis Z“.

Jetzt folgt also ein Band mit Blumenmode, der natürlich nur eine historische Auswahl bieten kann (zumal die Kölner Sammlung offenbar kaum außereuropäische Mode enthält) und neben den erwartbaren Sommerkleidern auch eher ungewöhnliches wie Schutzhüllen für Mobiltelefone, Schnupftabakdosen oder Schuhe zeigt. Die ausführlich beschriebenen Sammlungsstücke sind nicht chronologisch, sondern nach der Abfolge der Jahreszeiten geordnet, was die Sache etwas unübersichtlich, aber auch weniger buchhalterisch macht. Fantasieblüten erhalten ein eigenes Kapitel, der Winter wird mit verzierten Coronamasken überbrückt. Eigentlich hätte man zur Publikation auch eine passende Ausstellung erwartet – aber die fiel wohl wahlweise der Pandemie oder den Umbauarbeiten im Museum zum Opfer.

Seit jeher gelten Blumen als Inbegriff natürlicher Schönheit und Vollkommenheit

In ihrer kurzen Einführung erinnert Brattig an die traditionelle Symbolik der Blumen als Inbegriff natürlicher Schönheit und Vollkommenheit, meist angewandt auf die äußeren Vorzüge und inneren Werte der Weiblichkeit. Bis heute stehen Rosen für die Liebe und Lilien für die Unschuld, allerdings wurzelt die europäische Blumenmode, wie Brattig ausführt, in einem geschlechtsübergreifenden, kulturell variablen Schmuckbedürfnis. Erst nach Ende des französischen Absolutismus blieb die Blume zusehends der weiblichen Garderobe vorbehalten.

Blumen für den Herren muss man in der „Blütenlese“ dann auch suchen. Das MAKK hat einige geblümten Langbinder (vulgo: Krawatten) im Angebot, einige Westen von Wolfgang Joop und – als deren historisches Vorbild – einen höfischen Herrenanzug aus dem Frankreich der Jahre 1804/14. Dieser „Habit de Cour“ besteht aus einem knielangen Rock über kurzer Weste und einer Kniebundhose und wird geprägt durch eine fantasievolle Blumenstickerei. Laut Brattik bleibt die Botanik der Verzierung unbestimmbar, Blätter und Fruchtstände würden aber auf Artischocke oder Distel, Efeu und wilden Wein verweisen.

Ein Höfischer Herrenanzug (Habit de Cour) mit Disteln aus dem Frankreich der Jahre 1804/14

Höfischer Herrenanzug aus Frankreich mit Disteln (um 1804/14)

Der Anzug war offenbar eine Maßanfertigung für einen leicht buckligen Mann und gehörte zur halboffiziellen Staatskleidung am napoleonischen Hof. Als erster Konsul der Republik hatte Napoleon per Dekret die Rückkehr zur Mode des Absolutismus verfügt, aber von der alten Monarchie lediglich die modische Hülle übernommen. Unter seiner Herrschaft ging die Uniformierung des männlichen Hofstaats voran, Beamte sollten wie Militärs sofort in ihrer Funktion erkennbar sein. Herren ohne offizielle oder militärische Stellung trugen eine etwas freiere Hoftracht; zu ihr gehört auch das Kölner Sammlungsstück.

Ähnlich verspielt erscheint eine aus Gold gefertigte Schnupftabakdose mit Verzierungen in Form von Rosen, Ranunkeln und Vergissmeinnicht (vor 1829). Solche Kleinode waren bei Männern und Frauen gleichermaßen beliebt (gerne auch als Liebespfand) und kamen in vielen Varianten vor: mit Geheimfächern, Porträtminiaturen, verborgenen Spiegeln, integrierten Spielautomaten oder erotischen Bildern, die hinter Schiebedeckeln verborgen waren. Schnupftabakdosen waren Statussymbole, Friedrich der Große sammelte sie, obwohl er seinen Tabak angeblich lose in der Rocktasche trug und damit sogar seinen Kaffee würzte.

Die bürgerliche Mode lässt sich im Wesentlichen als Abkehr von derlei Luxus deuten. Mit dem Aufstieg des Bürgertums begann die Absetzbewegung vom Gekünstelten des adligen Lebens, perfekt vorgeführt in einem Löwenzahn-Kleid in gedeckten Farben aus den Jahren um 1795/98. Der Schnitt ist betont einfach, der Rock weit geschnitten, der Stoff fließt elegant.

Um 1855 hatte sich der bürgerliche Geschmack allerdings schon wieder vom Primat der Bequemlichkeit fortbewegt: Die schmale Taille eines Krinolinenkleids mit Rosen- und Enzianblüten verlieh dessen Trägerin die Form einer Tischglocke, was die dunkelgrüne Seidenbandgarnitur noch zusätzlich betont. Selten lässt sich die Besitzerin eines historischen Modestücks ermitteln, in diesem Fall ist es gelungen. Sie hieß Julie Bertha Auguste Proetzel, geborene Diederichs, und war die Tochter eines Gutsherrn. Das Kleid blieb bis 2003 in Privatbesitz und hatte zuletzt eine dezidiert kölnische Funktion - als Karnevalskostüm.

Patricia Brattig, Petra Hesse (Hg.): „Blütenlese. Die Blume in der Mode“, Museum für Angewandte Kunst, Köln, 303 Seiten, 29,90 Euro.

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