Museum für Angewandte KunstWie man aus der Not eine Tugend macht

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Ein Ornamentstich von Mark Catesby zeigt eine blaue Schlange neben einer Blume mit orangenfarbenen Blüten.

Ornamentstich einer Wampum-Schlange von den Bahamas

Die Historische Sammlung des Kölner Museums für Angewandte Kunst ist bis auf Weiteres geschlossen. Stattdessen zeigt das MAKK 35 selten gezeigte Objekte in neuem Licht. 

Clara wurde 1738 in Bengalen geboren und starb 1758 in London. Unter den Panzernashörnern war sie ein Kolumbus, denn im Jahr 1741 eroberte sie den Kontinent Europa und überlebte dies als erste ihrer Art lange genug, um es zu historischem Ruhm zu bringen. Sie ging auf eine 17-jährige Ausstellungstournee und stand für unzählige Stiche, Gemälde und Figuren Modell – bis zu ihrer Ankunft glichen Nashörner für europäische Künstler Fabeltieren.

Eine Stegreif-Schau zum Nulltarif

Man kann in Claras unfreiwilliger Berühmtheit eine stilbildende Form zoologischer Ausbeutung sehen oder auch ein Beispiel früher Globalisierung – in der aktuellen Sammlungspräsentation des Kölner Museums für Angewandte Kunst kommt beides in einem Stück Meissener Porzellan zusammen. 1747 hatte Clara in Dresden Station gemacht, um 1749 entwarf der Bildhauer Johann Joachim Kaendler ihr Ebenbild für die kurfürstlich-sächsische Porzellanmanufaktur. Allerdings scheint Kaendlers Fantasie in den zwei Jahren etwas ins Niedliche geschäumt zu sein. Jedenfalls ähnelt das Panzernashorn bei ihm einem bunten Schnabeltier mit Stupsnase und hängender Zunge.

Clara gehört zu den jüngeren Erwerbungen des Kölner Museums, erst 2013 wurde sie angekauft. Seit Beginn der Sanierungsarbeiten am maroden Museumsbau droht ihr als Teil der Historischen Sammlung ein längeres Dasein im Schatten von Teilschließungen und Renovierungsplänen. Stattdessen gehört sie nun zu den glücklichen „Ausgewählten“ einer Stegreif-Schau, in der die MAKK-Kuratoren für die Dauer eines Jahres sieben „Aspekte“ der geschlossenen Abteilung präsentieren.

Drei grünlich schimmernde Tafelgläser mit Trompetenfüßen stehen vor einer weißen Wand.

Josef Maria Olbrichs seltene Tafelgläser für die Künstlerkolonie Mathildenhöhe

Will man an Corona-Pandemie und Sanierungsstau etwas Gutes für die Kölner Museen finden, so liegt es in der Zeit, die das eine wie das andere Ungemach den Kuratoren für die Arbeit mit der eigenen Sammlung verschafft. MAKK-Direktorin Petra Hesse betont jedenfalls, wie intensiv das siebenköpfige Museumsteam die eigenen Bestände während der vergangenen drei Jahren erforschte und dass die „Ausgewählt“-Ausstellung dem Publikum auch einen Türspalt zur Arbeit an der Neukonzeption der Historischen Sammlung öffnet. So befänden sich unter den 35 gezeigten Objekten einige neue Zuschreibungen und etliche „Entdeckungen“, die seit Jahrzehnten nicht mehr öffentlich zu sehen und im Depot gleichsam verschollen waren.

Das Prinzip der Stegreif-Ausstellung (das Budget lag laut Hesse bei null) ist einfach: Jede Kuratorin stellt fünf Objekte zu einem „Aspekt“ ihres Arbeitsalltags aus. Bei Hesse sind dies Behältnismöbel, also kostbar verzierte Kästchen, Kassetten und Schachteln, von denen das MAKK deutlich mehr besitzt, als es selbst der langjährigen Direktorin bewusst gewesen war. Mit einem solchen Bestand könne man in Zukunft durchaus renommieren, glaubt Hesse, ein vom Land NRW gefördertes Forschungsvolontariat soll nähere Aufschlüsse bringen.

Peter Flötners Stammväter der Deutschen sind eine kleine Sensation

Romana Rebbelmund nahm einige Gemälde und Objekte näher in den Blick, die seit den 1920er Jahren nicht mehr wissenschaftlich erforscht wurden. Eine schöne „Geburt Christi“ ordnete sie dem Umkreis Martin Schongauers zu und ein aus Lindenholz geschnitzter Erzengel mit Flammenschwert dem des Bildhauers Johann Baptist Straub. Eine Rarität sind die trompetenfüßigen Stangengläser, die Josef Maria Olbrich für das Eckhaus der „Dreihäusergruppe“ in der Darmstädter Künstlerkolonie Mathildenhöhe entwarf, und eine kleine Sensation die vollständigen „13 Stammväter der Deutschen“, eine Bleiplakettenreihe des Nürnberger Baumeisters, Goldschmieds und Medailleurs Peter Flötner (1490-1546). Auf die historische Belastbarkeit der germanischen Ahnenreihe (von Tuiscon und Mannus bis Arminius und Karl V.) sollte man nicht allzu viel geben; aber selbst in Nürnberg haben sie laut Rebbelmund nicht den vollständigen Satz.

Die Schau ähnelt einem Schnelldurchgang durch die Historische Sammlung, aber einem, in dem das einzelne Objekt mehr Raum und Aufmerksamkeit erhält. Auch ein feuervergoldeter Messergriffbeschlag sonnt sich nun im Licht des musealen Ruhms, das sonst eher einer Clara vorbehalten war, oder auch die Druckgrafik einer ungiftigen Wampum-Schlange von den Bahamas. Nach so viel Kunstfertigkeit steht man am Ende des Parcours etwas verblüfft vor einem eher rustikal zersägten Stoßzahn, der dem Museum von Zollamt übereignet wurde. Die beschlagnahmte Schmuggelware dient als Rohstofflager für die Restaurierungsabteilung des Museums und eröffnet beim Thema Globalisierung noch einmal einen ganz eigenen Aspekt.

„Ausgewählt 1“, Museum für Angewandte Kunst, An der Rechtschule, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr. Eintritt frei.

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