Buch über „eine bedrohte Spezies“Das haben alte weiße Männer nicht verdient

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Nena Brockhaus und Franca Lehfeldt

Nena Brockhaus (r.) und Franca Lehfeldt wollen die Ehre „alter weiser Männer“ retten.

Franca Lehfeldt und Nena Brockhaus haben sich zum Ziel gesetzt, eine nach ihrer Ansicht bedrohte Spezies zu retten: Alte weise Männer. 

Die Liste marginalisierter Gruppen, für die man sich starkmachen kann, ist unendlich lang. In unserer Gesellschaft sehen sich Menschen, die zum Beispiel schwarz, jüdisch, geflüchtet oder homosexuell sind, allzu oft mit Hass und Ablehnung konfrontiert.

Die beiden Springer-Journalistinnen Nena Brockhaus und Franca Lehfeldt - ja, das ist die Frau von Christian Lindner - haben hingegen eine völlig andere „bedrohte Spezies“ ausgemacht, für deren vermeintlich nötige Ehrenrettung sie viel Zeit und Energie aufgebracht haben: Alte weiße Männer. Wobei sie bei Brockhaus und Lehfeldt zu alten weisen Männern werden. Weiß sind sie allerdings trotzdem. Zumindest die zehn, die sie für lange Interviews ausgesucht haben.

Schwer erträgliches Anhimmeln

Ihr Buch, das aktuell auf Platz sechs der Spiegel-Bestseller-Liste steht, ist natürlich eine Antwort auf Sophie Passmanns „Alte weiße Männer“, das 2019 erschienen ist. An diesem arbeiten sie sich in der Einleitung auch ausführlich ab. „Die Realität ist, dass Feministinnen den alten weißen Mann vehement für ihren Geschlechterkampf missbrauchen.“ Spätestens seit der MeToo-Bewegung sei der an allem schuld.

Nun ist es zweifellos richtig, dass es niemandem hilft, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe in eine Ecke zu stellen. Pauschalisierungen vertiefen nur bestehende Gräben. Selbstverständlich gibt es auch alte, weiße Männer, die sich seit langem für Gleichberechtigung einsetzen. Und zweifellos blicken viele ältere Männer auf ein Lebenswerk zurück, von dem man viel lernen kann.

Was allerdings genauso wenig hilft, ist, eben diese Gruppe völlig unkritisch auf ein Podest zu stellen und sie dann auf schwer erträgliche Weise anzuhimmeln. Dem „feministischen Zeitgeist“ sei es zu verdanken, dass viele dieser Männer zuweilen scheu seien und nur schwer Vertrauen fassten, schreiben die Autorinnen. Das ist schon eine ziemliche steile These. Man muss sich nur mal eine x-beliebige Talkshow ansehen, um zu erkennen, dass von einem Verstummen dieser Männer-Generation nun wirklich keine Rede sein kann. 

Aber gut, lassen wir uns ein auf Lehfeldts und Brockmanns Ankündigung, diesen Männern zuzuhören. Ihre Definition der Zielgruppe: Älter als 70, beruflich erfolgreich, in seinem Fachgebiet eine Koryphäe. Fünf Interviews hat Lehfeldt geführt, fünf Brockmann. Und die Auswahl ist dann doch überraschend. Lehfeldt fragt vor allem Männer aus ihrem eigenen Kosmos: Stefan Aust, Heiner Bremer, Wolfgang Reitzle, Peer Steinbrück und ihren Vater Claus-Holger Lehfeldt. Brockhaus befragt Mario Adorf, Heiner Lauterbach (der erst im April 70 wird), Herbert Reul, Edmund Stoiber und Thomas Strüngmann.

Kritische Distanz sucht man hier vergeblich

Man kann mit diesen Männern über vieles reden, und das tun die beiden auch. Aber mit den Fragen, um die es im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Debatte über „alte weiße Männer“ geht, beschäftigen sie sich nur am Rande. Machtmissbrauch, Sexismus, fehlende Gleichberechtigung - das kommt in der Welt von Lehfeldt und Brockhaus nicht vor. 

Sie reden lieber über die Karrieren ihrer Gesprächspartner. Und sie tun das in einer wirklich unangenehm anbiedernden Art und Weise. „Sind Sie wirklich so furchtlos, Herr Reul?“, fragt Brockhaus den NRW-Innenminister. „Wahnsinn. Was für ein Leben!“ ruft sie „einem der erfolgreichsten Wirtschaftsmanager“, Wolfgang Reitzle, zu. Und Lehfeldt sagt zu Heiner Bremer, er habe sie „gewissermaßen adoptiert (...), in manchen Wochen spreche ich dich öfter als meine Eltern.“

Kritische Distanz sucht man hier also vergeblich. Auch hinterfragen sie die Privilegien, die diesen Männern halfen, erfolgreich zu werden, nicht. Jedes Interview ist eine Dauer-Lobhudelei, die den Befragten ins bestmögliche Licht rückt.  

Auch das können sie ja gerne machen, aber dann sollen die beiden bitte nicht so tun, als leiste das einen Beitrag zu der gesellschaftlichen Debatte, die wir in der Tat dringend führen müssen. Und Weisheit mit Erfolg und Macht gleichzusetzen, ist ein gefährlicher Glaubenssatz. Weisheit hätte man ganz sicher auch bei Menschen gefunden, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. 

„Alte weise Männer“ trägt nichts zu der Debatte bei. Alles, was Lehfeldt und Brockhaus ihren Gegnerinnen vorwerfen, machen sie selbst: Einseitigkeit, Pauschalisierungen, Engstirnigkeit. Dieses Buch ist vor allem aus dem Kalkül entstanden, mit steilen Thesen viele Bücher zu verkaufen. Und das ist ja wunderbar aufgegangen. 


Nena Brockhaus und Franca Lehfeldt: „Alte weise Männer - Hommage an eine bedrohte Spezies“, Gräfe und Unzer Edition, 272 Seiten, 19,99 Euro.

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