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Buch von Ricarda Lang und Steffen MauDie Gegenwart ist nichts für Feiglinge

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4 min
Doppelinterview  Ricarda Lang und Steffen Mau, fotografiert am 01. Oktober2025 in Berlin. Foto: Maurizio Gambarini/FUNKE Foto Services

Ricarda Lang und Steffen Mau

Soziologe Steffen Mau und Politikerin Ricarda Lang sprechen in ihrem lesenswerten Buch „Der große Umbruch“ über die Krisen unserer Zeit.

Die Gegenwart, könnte man in Abwandlung eines Bonmots zum Thema Alter sagen, die Gegenwart ist nichts für Feiglinge. Krisen, nichts als Krisen rundum - und wir mittendrin. Was aber tun angesichts der täglichen Dosis an Nachrichten über Konflikte, Kriege, Katastrophen? Was tun, wenn Putin droht, das Klima kippt, der Sozialstaat bröckelt, die Demokratie schwächelt? Diese Fragen haben sich der Sozialwissenschaftler Steffen Mau und die ehemalige Spitzenpolitikerin Ricarda Lang gestellt, sind ins Gespräch miteinander gegangen und herausgekommen ist dabei ein ausgesprochen lesenswerter Dialog, der jetzt unter dem Titel „Der große Umbruch“ erschienen ist.

Vor allem der zunehmenden Unversöhnlichkeit in der öffentlichen Debatte, dem Zerfall der traditionellen Parteienlandschaft, der Ermattung der liberalen Demokratie widmen sich die beiden ungleichen Gesprächspartner. Dabei gilt ihre Aufmerksamkeit nicht nur der Entwicklung in Deutschland, sie nehmen auch die epochalen Veränderungen im internationalen Beziehungsgeflecht in den Blick: Der Aufstieg Chinas, wo augenscheinlich der Beweis geführt wird, dass prosperierende Wirtschaft auch in autoritären Systemen und nicht nur in liberalen westlichen Gesellschaften möglich ist. Was bedeutet es für Europa, was unter der Regierung Trump in der westlichen Vormacht USA gerade passiert? Was die Uneinigkeit der Europäer, die zunehmend an Einfluss in der Welt verlieren? Das bildet den Rahmen für den Gang der Dinge in Deutschland.

Wachsender Verdruss an den Verhältnissen

Dort spüren Mau und Lang dem wachsenden Verdruss an den Verhältnissen nach, dem Aufstieg der Populisten von AfD, Linkspartei und BSW. Sie beschreiben als Ursache eine alternde Gesellschaft, die von der Geschwindigkeit des Wandels zunehmend überfordert ist. Das alte Geschäftsmodell der Bundesrepublik hat ausgedient, wirtschaftlich wie sozial. Die Exportmärkte? Weitgehend weggebrochen. Die äußere Sicherheit? Gefährdet. Das Aufstiegsversprechen? Wird nicht mehr eingelöst. Stattdessen Herausforderungen wie Migration, marode Infrastruktur, leere Kassen.

So flüchten weite Teile auch des Bürgertums zu denen, die eine schnelle Besserung und eine Rückkehr zur nostalgisch verklärten Vergangenheit versprechen. Die Stabilität Nachkriegsdeutschlands beruhte nicht zuletzt darauf, dass eine freiheitliche Demokratie auch geliefert hat: Wiederaufbau, Wohlstand, Aufstieg. Inzwischen, so der Befund, ist das System so überkomplex geworden, dass es viele Prozesse mit ausufernden bürokratischen Gängelungen blockiert. Die deutsche Regelungswut will Einzelfall-Gerechtigkeit, schafft aber nur noch Stillstand.

Es ist ein wilder Parforceritt durch die drängendsten Themen geworden, bei einigen sogar nur skizzenhaft. Das tut dem Gesamteindruck jedoch nur wenig Abbruch. Der Soziologe Steffen Mau gilt seit seiner Einladung zu einer Kabinettsklausur und dem Bestseller „Triggerpunkte“ als so etwas wie ein Star unter Deutschlands Gesellschaftsanalytikern. Die Perspektive der ehemaligen Grünen-Spitzenpolitikerin, mittlerweile auch im bürgerlichen Lager durchaus geschätzt, ergänzt den Blick auf die turbulente Gegenwart. Es ist ein ernsthafter Versuch, ohne Besserwisserei auf die großen Veränderungen unseres Alltags Antworten zu finden. Dabei trifft Wissenschaft auf Politik, jünger auf älter, Ost (Mau) auf West (Lang), Mann auf Frau, was dem Gespräch guttut.

Wohltuend hebt es sich ab von schärfer kontrovers geführten Gesprächen, in denen quasi wie aus Schützengräben mit verfestigten Standpunkten argumentiert wird. Der gegenseitige Respekt zwischen dem scharfsinnigen Soziologen und der Frau aus dem Maschinenraum des Politikbetriebs prägt diesen Dialog. Bei allem angemessenen Ernst, Apokalyptiker und Alarmisten werden von dem Autoren-Duo nicht bedient.

Schlichte Lösungen haben sie nicht

Und, frei nach Erich Kästner, wo bleibt das Positive? Die schlichten Lösungen des verantwortungslosen Populismus haben Steffen Mau und Ricarda Lang nicht und das ist gut so, denn damit bleiben sie glaubwürdig. Aber sie stehen für einen leisen Optimismus, dass diese Gesellschaft zusammenbleibt, den ausgehandelten Kompromiss nicht als Schwäche, sondern als Stärke sieht.

Die Empörungslogik der sogenannten Sozialen Medien muss gebrochen werden, mit Angeboten, die nicht von Tech-Oligarchen stammen, sondern europäisch organisiert wird. Nur so kann die notwendige öffentliche Debatte sich frei entfalten. Demokratische Institutionen müssen transparenter werden, so die Botschaft des Buches, die Parteien sich stärker öffnen und auch für Seiteneinsteiger wieder attraktiv werden. Da gibt es etwas zu lernen von den sozialen Bewegungen und auch den Sozialen Medien mit ihren Communities.

Es sind zahlreiche Ansätze, die das Duo entwickelt – kein großer Wurf, aber viele kleine Schritte. Angesichts der oft verantwortungslosen Großsprecherei der lärmenden öffentlichen Debatte steht „Der große Umbruch“ in der besten Tradition der Demokratie: Denken, Diskutieren und dann realistische Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.


Ricarda Lang, Steffen Mau: „Der große Umbruch - Ein Gespräch über Krisen, Konflikte und Kompromisse“, Ullstein, 400 Seiten, 24,99 Euro, E-Book: 20,99 Euro.