Chilly Gonzales„Weihnachten ist kein christliches Fest mehr“

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Lebt seit 2011 in Köln: Piano-Star Chilly Gonzales

  • Chilly Gonzales, kanadischer Pianostar mit Wohnsitz in Köln, hat ein Weihnachtsalbum aufgenommen.
  • Hier erzählt er, wie in seiner nicht-religiösen jüdischen Familie gefeiert wurde.
  • Am Mittwochabend zeigt Arte sein Special zum Fest: „A Very Chilly Christmas“.

Köln – Vor ein paar Jahren habe ich angefangen, an Weihnachten ein Mitsing-Fest für Freunde und Familie zu veranstalten. Als ich vor mehr als 20 Jahren von Kanada nach Europa gezogen bin, hatte ich mich noch darüber gefreut, Weihnachten endlich allein verbringen zu können, ohne den Druck, mit meiner Familie feiern zu müssen.

Das Fest hat bei mir immer gemischte Gefühle ausgelöst. Diese Pflicht, fröhlich zu sein und Geld auszugeben. Irgendwann fängt man an, diese Lieder zu hassen, die man in jedem TV-Spot hört, sie werden zu einer Last. Genau darum geht es in meinem Album „A Very Chilly Christmas“ und auch in meinem Weihnachtsspecial: Versetzen wir uns mal in die Lage von Santa Claus: Was er macht, sollte unbefangen, rein und voller Liebe sein, stattdessen es ist ein weiterer Teil des Kapitalismus. Wie trennt man die guten Seiten der Weihnacht von den schlechten?

Die nicht-religiöse jüdische Familie

Ich komme aus einer nicht-religiösen jüdischen Familie, da ging es an Weihnachten vor allem darum, sich dem Rest der Gesellschaft anzupassen, den kapitalistischen Erwartungen zu entsprechen. Die sind viel zu mächtig, als dass man ihnen widerstehen könnte. Wenn du Kinder hast, werden die Kinder sagen: Wir wollen unsere Geschenke. Da ist es ganz egal, dass du eigentlich jüdisch bist.

Wir haben die klassischen Traditionen befolgt: Ein Weihnachtsbaum, haufenweise Geschenke, ein großes Truthahnessen. Wir haben Weihnachten gefeiert, nur nicht auf die christliche Art. Es ging nicht um Jesu Geburt, sondern um Santa Claus.

Die unterhaltsamsten Weihnachtslieder handeln alle von Santa Claus und nicht von Jesus. In einer „South Park“-Folge treten Santa und Jesus gemeinsam als eine Art Las-Vegas-Act auf und Jesus beschwert sich darüber, dass es hunderte von Lieder über den Weihnachtsmann gibt und nur eine Handvoll über ihn. Ich denke, die „South Park“-Macher haben das ganz richtig erkannt: Weihnachten ist kein christliches Fest mehr. Vielleicht ist das ja gut so.

Viele Jahre hatte ich die Weihnachtstage also damit verbracht, zu Hause Musik zu komponieren. Das war ein ganz spezielles Gefühl, zu arbeiten, während sich alle anderen dem drängenden Fest beugen mussten. Als stünde die ganze restliche kreative Energie mir zur Verfügung. Aber dann haben mich irgendwann Freunde aus Köln eingeladen, Weihnachten mit ihrer Familie zu verbringen. Ich setzte mich bei ihnen ans Klavier und wir haben gemeinsam Weihnachtslieder gesungen.

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Diese Stücke sind wirklich etwas Besonderes. Ich dachte mir: Wenn ich diese Energie aus musikalischer Liebe und kindlicher Zusammengehörigkeit, zu der ich selbst so lange den Bezug verloren hatte, zurückbringen könnte, vielleicht finden dann auch andere Menschen den Weg zurück.

Ich habe bereits im Sommer 2019 mit den ersten Aufnahmen zu meinem Weihnachtsalbum begonnen. Um ehrlich zu sein, war ich mir damals noch nicht ganz sicher, ob das Projekt überhaupt etwas werden würde. Es gab Songs, zu denen ich keinen Zugang fand. „Little Drummer Boy“, zum Beispiel. Das hat erst jetzt, in dem Weihnachtsspecial-Special geklappt, das ich gerade zusammen mit Freunden in Paris gedreht habe: Man braucht doch tatsächlich einen Schlagzeuger, um es zu spielen.

Im Frühling 2020 habe ich das Projekt dann ernsthaft verfolgt. Da war schon klar, dass 2020 ein ziemlich seltsames Jahr ist und sich Weihnachten wohl anders anfühlen wird. Obwohl ich nicht ahnte, dass es so schlimm wird.

Das Album sollte diese nonchalanten, mühelosen Momente beim Spielen einfangen. Ich musste mich nicht erst zwei Jahre hinsetzen, um neue Stücke zu komponieren, das hatten ja bereits andere für mich gemacht.

Einfach fließen lassen

Ich konnte also direkt mit dem letzten und schönsten Teil des Aufnahmeprozesses anfangen: Es einfach fließen lassen. Wenn etwas nach drei Versuchen nicht funktionierte, habe ich es einfach beiseitegelegt. Kein Stress. Ich musste auch nichts Neues sagen, nur etwas zu einem laufenden Gespräch beitragen. Ich fühlte mich frei, weswegen das auch mein jazzigstes Album geworden ist.

Schwierig war nur der einzige Originalsong, den ich zusammen mit Feist komponiert habe, „Bannister Bough“. Der sollte neben all diesen bewährten Klassiker bestehen können. Ein enger Freund hat mir später erzählte, dass ihm erst klar wurde, dass es sich hier um einen neuen Song handelt, als er einen Artikel über das Album las. „Ich dachte, Feist und du hätten einfach einen Klassiker gecovert.“ Prima, wir haben unseren Job getan.

Ein Jude, der Weihnachten liebt

Jarvis Cocker singt „Snow Falls in Manhattan“ von David Berman. Das ist eigentlich kein Weihnachtslied, aber ich hoffe, dass wir eines daraus gemacht haben, dass wir seine versteckte Weihnachtsbotschaft an die Oberfläche gebracht haben. Die traurige Geschichte hinter dem Lied ist, dass wir David Berman, nur wenige Wochen, nachdem das Stück veröffentlicht wurde, auf tragische Weise verloren haben. Das ist mein Tribut an diesen großen Musiker. Nebenbei auch ein Jude, der Weihnachten liebte.

Ein großes Vorbild für das Album ist „A Charlie Brown Christmas“ vom Pianisten Vince Guaraldi. Das hat die gleiche verspielte und traurige Art – traurig, nicht depressiv. Man fühlt sich weniger einsam, wenn man diese Musik hört.

Lieder sind der Geist des Festes

Für mich machen die Lieder den Geist der Weihnacht aus. Alle suchen nach der Bedeutung von Weihnachten, darum geht es ja auch in dem Charlie-Brown- Special. Weihnachtslieder haben nichts im Soundtrack einer Fernsehwerbung zu suchen, sie gehören nach Hause, ans Klavier, mit Leute darum herum, die sie mitsingen. Auch wenn das 2020 kaum geht.

Ich werde Weihnachten mit Teilen meiner Familie in London verbringen. Da kann ich mein Klavier bis an die Balkontür schieben und wir singen draußen Weihnachtslieder, das ist mit Gruppen bis zu zehn Leuten noch erlaubt. Zusammen werden wir die Bedeutung von Weihnachten finden. Weil wir das verdammt noch mal tun müssen.

Aufgezeichnet von Christian Bos

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