Comic von JamiriGnadenlos komisch - eine gescheiterte Beziehung in Bildern

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"Beate" von Jamiri

Ein Pärchen sitzt am Strand, am Horizont geht die Sonne unter. „Siehst du das Meer?“, fragt er sie. „Glaubst du, ich bin blöd, oder was?“ Ein Dialog, der die Beziehung von Beate Kleinschmidt-Richter und Jan-Michael Richter, Künstlername Jamiri, auf den Punkt bringt. Zumindest ist das der Eindruck, der sich nach der Lektüre der rund 150 Seiten voller Comics, Cartoons und Einseiter aus zweieinhalb Jahrzehnten aufdrängt, die Richter in seinem neuen Buch unter dem schlichten Titel „Beate“ versammelt hat.

Knapp 25 Jahre hielt die Verbindung, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die beiden mit dem Schlussstrich auch die Peinlichkeit eines Jubiläums ersparen wollten.

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Nicht nur privat, sondern auch beruflich hat der 1966 in Hattingen an der Ruhr Geborene schon einige Höhen und Tiefen hinter sich. In einem Cartoon zeigt er sich selbst mit dem Schild „Ich habe Hunger“ auf der Straße sitzend.

Zwei arrivierte Mittdreißiger mit Hund und Kinderwagen halten begeistert bei ihm an und bezeichnen sich als seine „größten Fans“. Früher hätten sie seine Comics aus der Studentenzeitung „Unicum“ ausgeschnitten, heute kopiere man sie eben bei „Spiegel Online“.

Der Brotjob beim Hamburger Nachrichtenmagazin ist inzwischen Geschichte, die Situation für Comiczeichner in Zeiten des Internet, wo ihre Werke tausendfach für lau geteilt werden, nicht besser geworden.

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Jamiri bei der Arbeit

Das ist insofern eine Ironie des Schicksals, als Richter, obwohl er sich selbst als „technikängstlich“ bezeichnet, die zunehmende Digitalisierung unseres Alltags widergespiegelt hat wie kaum ein anderer deutscher Comickünstler.

Rein formal wechselte er von der klassischen Zeichnung zu nahezu fotorealistischen, am digitalen Zeichenbrett entstandenen Arbeiten. Dafür wird er bis heute angefeindet, als sei der Geruch von Tinte und Farbe auch 2021 noch der einzige gültige Nachweis „ehrlicher Kunst“.

Von Beates erstem Auftreten in einem Jamiri-Comic 1994 bis zu ihrer vorerst letzten Erwähnung etwa 20 Jahre später hat sich in der Welt der Computer viel getan. Die Beziehung entwickelt sich parallel zur Technikgeschichte, wobei die iMacs, Grafiktablets und schließlich das Internet das eher ausgleichende Element innerhalb seiner Biographie auszumachen scheinen.

Zur Person und Zum Comic

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Comic aus "Beate"

Jamiri ist die Kurzform von Jan-Michael Richter. Der 55-Jährige studierte Kommunikationsdesign in Essen und wurde 1992 zum Hauszeichner des Ruhrgebiet-Stadtmagazins Marabo. Regelmäßig sind seine Comics im Studentenmagazin „Unicum“ zu sehen. Von 2003 bis 2012 war Jamiri Hauszeichner von Spiegel Online. Seit 1994 sind außerdem achtzehn Comic-Alben von ihm erschienen.

„Beate - die große Gesamtausgabe“, Edition 52, 152 Seiten, 29 Euro.

Wenn er nach Hause kommt, begrüßen ihn weder seine Frau noch die zwei Katzen oder der Hund, sondern sein MacBook. Und auf Beates Drohung, sie werde sich von ihm zu trennen, antwortet der Gatte: „Diesen Hinweis nicht wieder zeigen.“

Sie rächt sich, indem sie auf seinen Vortrag, dass sich das ganze Universum durch Nullen und Einsen darstellen lasse, mit der lakonischen Bemerkung, dass es dann „wahrscheinlich mehr Nullen als Einsen“ seien.

Entsprechend betrachtet der Künstler mit Hang zu Science-Fiction und Chaostheorie seine Lebensgefährtin mal als lebensechte Simulation, mal als vertracktes Computerspiel. „Wenn Beate sauer auf mich war, hatte sie manchmal tagelang nur 72 dpi“, heißt es an einer Stelle.

Das „Beate Lösungsbuch“ verrät, dass es auf die Frage „Hab ich zugenommen? Sei ehrlich!“ keine richtige Lösung gibt, sondern der Spieler automatisch verloren hat. Und als Cyborg lässt ihre Systemsoftware auf die Frage „Liebst du mich?!“ automatisch „Bring den Müll runter!“ folgen.

Zerplatzte Illusionen

Zerplatzte Illusionen, berufliche Tristesse, Beziehungsscharmützel. All das schildert Jamiri als eine Art Karl Ove Knausgård des deutschen Comics in schonungsloser Offenheit sich selbst gegenüber.

Die pflegt er auch auf Facebook, wo er knapp 20.000 Follower an seinem Alltag teilhaben lässt – bis zur Schmerzgrenze und manchmal auch darüber hinaus.

Als er vor ein paar Monaten bei dem Versuch, sein fallendes iPad zu retten, im Badezimmer ausrutscht und sich einen komplizierten Schulterbruch zuzieht, postet er kurze Zeit später unter dem Titel „The Schulterprothesen-Files“ Fotos seiner frisch genähten Operationsnarbe.

Von der Fan-Community erging auch der dringende Ruf nach einem Beate-Sammelband, der nun im Wuppertaler Verlag Edition 52 erschienen ist. Dieser endet nach 150 Seiten mit der Trennung der beiden.

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"Beate" von Jamiri

Dass die darin mehr oder weniger unfreiwillig Porträtierte sogar einige Exemplare signiert hat, dürfte niemand mehr überrascht haben als den Künstler selbst. Die Gesamtschau zeigt, dass Liebe eben nicht nur aus filmreifen Szenen, sondern aus unzähligen Momenten fern jeder Romantik besteht, denen man mit einer ausreichenden Portion Selbstironie begegnen muss.

Der Aufarbeitung des schmerzlichen Endes widmet sich hoffentlich bald ein Folgeband. Den Kern des aktuellen Buches bringt die Titelheldin selbst auf den Punkt. Von Journalisten gefragt, was die Jamiri-Comics von anderen unterscheide und welchen Beitrag sie dazu leiste, antwortet sie: „Schreiben Sie: »Comics aus Bodenhaltung«.“

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