Jesus im RTL-Live-Spektakel „Die Passion“Was sagen die Kirchen dazu?

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Essen – „Ich erzähle euch die größte Geschichte aller Zeiten“, sagt Thomas Gottschalk im Clip zum Live-Spektakel „Die Passion“, die am Mittwochabend zur besten Sendezeit mit dem 71-Jährigen als Erzähler bei RTL zu sehen ist. Das ist ein vollmundiges Versprechen und zugleich eine Reminiszenz an den Monumentalfilm gleichen Namens, in dem 1965 Max von Sydow Jesus spielte.

Allerdings will der Kölner Privatsender pünktlich zu Ostern gar nicht so sehr auf die biblische Vorlage schauen. Vielmehr sollen die Themen, die das Leiden und Sterben Jesu umgeben, in die Gegenwart geholt werden. „Die Grundgedanken der Passionsgeschichte gehen weit über einen rein religiösen Hintergrund hinaus und handeln von universellen und zeitlosen menschlichen Themen“, sagt Kai Sturm, bis Ende 2021 RTL-Unterhaltungschef und jetziger RTL-Bereichsleiter Entwicklung.

Als zeitgemäße Geschichte erzählt

„Deshalb hat diese Geschichte auch in der heutigen Zeit und den aktuellen Geschehnissen nicht an Bedeutung verloren. Unser Motto #HaltDichAnMirFest richtet sich an alle! Wir möchten eine geeinte und friedliche Gesellschaft ansprechen.“

Alexander Klaws, erster Sieger der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“, spielt Jesus. Das Leiden Christi werde „ein Stück weit frei von Religion“ als zeitgemäße Geschichte erzählt, so der Sänger. „Ich bin kein Jesus, der lange Haare hat, der einen langen Bart trägt und ein weißes Gewand“, sagt Klaws, der schon im Musical „Jesus Christ Superstar“ Erfahrungen als Erlöser sammeln konnte. 

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Alexander Klaws spielt Jesus.

Auch angesichts des Ukraine-Kriegs stünden die Kernbotschaften der Erzählung im Mittelpunk. „Es wird höchste Zeit, dass wir die Leute wieder an etwas erinnern, und das ist die Nächstenliebe, die Solidarität - Werte, die wichtiger denn je sind, vor allem auch in der aktuellen Phase“, sagt Klaws.

Untermalt von deutschsprachigen Popsongs

Vorab produzierte Clips werden gezeigt, dazwischen gibt es auf der Bühne Gesang, unterstützt von einer Band und einem Chor singen die Darstellerinnen und Darsteller – neben Klaws unter anderem Ella Endlich als Maria, Mark Keller als Judas und Hennig Baum als Pontius Pilatus – moderne deutschsprachige Popsongs, die thematisch zu den Ereignissen passen.

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In Essen laufen für das Ereignis seit Tagen die Vorbereitungen: 860 Scheinwerfer wurden aufgebaut, 65 Kilometer Kabel verlegt, 75 Tonnen wiegt die gesamte Technik, insgesamt sind mehr als 375 Mitarbeiter beschäftigt, 4900 Personen werden im Publikum auf dem Burgplatz erwartet, wie RTL mitteilt.

Das leuchtende Kreuz, das in einer drei Kilometer langen Prozession von 100 Menschen abwechselnd durch die Essener Innenstadt getragen wird, wiegt 250 Kilogramm.

Kirchen beanspruchen kein Copyright auf die Bibel

Die Kirchen am Ort reagieren auf die RTL-Passion erstaunlich zugewandt. Eine Art Copyright auf die biblischen Geschichten und ihre event-taugliche Neufassung können und wollen sie nicht mehr beanspruchen, erklärt der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hinrich Claussen. „Wir erleben, dass wir als Kirchen nicht mehr unhinterfragt die Interpretations- und Deutungshoheit haben, und das müssen wir auch gar nicht.“

Hollywood habe auch nicht bei den Kirchen nachgefragt, ob die Bibel verfilmt werden dürfe, sagt die Theologin Regina Laudage-Kleeberg. Statt sich in den Schmollwinkel zurückzuziehen oder es sich auf dem Kritikersessel bequem zu machen, nehmen die Kirchen am Ort den von RTL gesetzten Impuls auf und begeben sich selbst mitten ins Getümmel.

„Als wir von den Plänen für die „Passion“ gehört haben, waren wir begeistert“, erzählt Laudage-Kleeberg, Organisationsentwicklerin beim katholischen Bistum Essen, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Sie sieht die „Passion“ als eine Chance, die „Hoffnungsressourcen“ der christlichen Botschaft in einer Bildsprache zu vermitteln, die für heutige Menschen viel mitreißender ist als unsere“.

Eigenes Rahmenprogramm des Bistums Essen

Laudage-Kleeberg zitiert den „Altmeister“ der Pastoraltheologie, Paul Michael Zulehner: Wenn Christlichkeit außerhalb der üblichen kirchlichen „Container“ präsent ist, „dann wird das Reich Gottes größer und nicht kleiner“.

Das Bistum und der evangelische Kirchenkreis Essen begleiten die Aufführung der „Passion“ mit einem eigenen Rahmenprogramm: Der Dom und die Marktkirche sind als Gebetsräume geöffnet. Es gibt vier eigene „Nachdenk-Stationen“ in der Essener Innenstadt zu zentralen Begriffen der Passion wie Kreuz, Angst und Liebe. Auch in der Fußgängerzone halten sich Seelsorgerinnen und Seelsorger für Gespräche bereit.

Und am Ende des Events steht ein ökumenischer Abendsegen von der Showbühne für alle Zuschauerinnen und Zuschauer. Durch die begleitenden seelsorglichen Angebote und Begegnungen in Gemeinden vor Ort werde das Fernseh-Event zu einer vielschichtigen „Hybridveranstaltung“, sagt Hinrich Claussen von der EKD. Die Kirchen sollten sich „als kompetente Gesprächspartner ins Spiel bringen“ und nicht als Trittbrettfahrer fühlen, rät Claussen: „Auf einen guten Zug kann man gerne aufspringen.“

Essener Bischof Overbeck ist gespannt

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der von seiner Dienstwohnung aus direkten Blick auf den Burgplatz mit der Eventbühne hat, wird sich das Spektakel live ansehen und ist nach eigenen Worten gespannt.

Die Passion sei ein „Angebot, sich mit der Leidensgeschichte Jesu auseinanderzusetzen“ – als ein weiteres Glied in einer jahrhundertelangen Kette musikalischer, theatralischer und anderer künstlerischer Aneignungen des Ursprungsstoffs. „Jeder Mensch kann für sich selbst entscheiden, ob dieses TV-Event der richtige Rahmen dafür ist“, sagt Overbeck.

Schnittmenge zwischen Christentum und Popkultur

Overbecks Leiterin der Bistumsabteilung „Glaube und Liturgie“, Theresa Kohlmeyer, würdigt die Qualität der Inszenierung. Sie sei „durchaus gut gemacht und auf dem Stand der Forschung“. Beispielsweise werde etwa das Schwanken von Pontius Pilatus vor der Verurteilung Christi zutreffend wiedergegeben.

Der Frankfurter Theologieprofessor Knut Wenzel, ausgewiesener Experte für die Schnittmengen zwischen Christentum und Popkultur, verweist auf eine lange, fruchtbare Geschichte der Berührung zwischen beiden Welten. Für ein „echtes“ popkulturelles Ereignis fehle der RTL-Passion der Impuls von unten. „Es ist die Inszenierung eines Medienkonzerns“, sagt Wenzel dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, räumt aber ein, dass „Popkultur als Subkultur selten in Reinform vorkommt“. Der kommerzielle Anteil liege der Popkultur „in den Genen“.

Von jeher seien die „Großerzählungen“ der christlichen Überlieferung mit ihren lebensprallen Stoffen offen für popkulturelle Zugriffe. Dagegen sei auch nichts einzuwenden. „Banalisierungselemente sind an sich nicht schlimm. In der Volksreligion waren und sind sie eh schon da“, sagt Wenzel.

Wenn allerdings ausgerechnet die Passion aus dem großen Ganzen der Evangelien gelöst und für eine kommerzielle Nutzanwendung dienstbar gemacht werde, dann sei das doch „krass“, gibt Wenzel zu bedenken. „Das ist so, als wäre Jesus im Original die Attraktion auf einem Event der Römer gewesen.“

In den Niederlanden schon lange erfolgreich

Dass ein Unterhaltungsdienstleister wie RTL in den Kartagen vor Ostern ein eigenes Angebot parallel zu den Liturgien der Kirchen auf den Markt bringe, könnte der Wahrnehmung folgen, dass die „Produkte“ der einstigen Markenartikler an Attraktivität verloren haben, ohne dass damit auch ein Bedarf an Sinn und spiritueller Vertiefung verschwunden wäre.

Das erzählerische Konzept übernahm RTL vom niederländischen Fernsehen. Dort ist das Live-Event schon seit zwölf Jahren Bestandteil des Ostern-Programms. Auslöser war eine Umfrage von 2007, nach der weniger als 30 Prozent der niederländischen Bevölkerung die Ostergeschichte kannten, wie Jacco Doornbos, Erfinder, Produzent und Regisseur des Formats sagte. Einige Jahre später seien es dank des jährlichen TV-Events mit Top-Einschaltquoten bereits 56 Prozent gewesen. Es wird sich zeigen, ob die RTL-Variante in Deutschland eine ähnliche Wirkung haben wird. 

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