Dreimaliger Oscar-Gewinner in KölnWie Walter Murch den Tonfilm neu erfand

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Walter Murch (rechts) arbeitet mit Francis Ford Coppola an Der Pate II

Köln – Leider ist nicht überliefert, wann dem ersten Menschen auffiel, dass Schritte im Schnee echter klingen, wenn man jemanden durch Maisstärke laufen lässt. Aber die Entdeckung hat Schule gemacht, vor allem im Kino nach Einführung des Tons: King Kongs Stimme war in Wahrheit das rückwärts abgespulte Brüllen eines Löwen, und wenn der aus flüssigem Metall bestehende T-1000 im zweiten „Terminator“-Film durch Gitterstäbe geht, flutscht eigentlich Hundefutter aus der Dose.

Auf der Tonspur ist „Der Pate“ mitunter reines Experimentalkino  

Es gibt kaum etwas Künstlicheres als filmischen Realismus, gerade wenn man das Zusammenspiel von Bild und Ton betrachtet. „Filmtöne sind wie Menschen, die ohne Pass reisen können“, sagte der Sound-Designer, Cutter und dreimalige Oscar-Gewinner Walter Murch einmal. „Sie laufen unter dem Radar.“ Was für Menschen wie Murch durchaus ein Segen ist, weil unter dem Radar so manches möglich ist, was sich Hollywoods Produzenten ansonsten wohl verbitten würden.

Wenn Michael Corleone in „Der Pate“ zwei Feinde seines Vaters in einem  Restaurant ermordet, ist das im Grunde reines Experimentalkino. Man hört das Geräusch einer Straßenbahn, als Michael die in der Toilette versteckte Pistole an sich nimmt, und man hört das metallische Kreischen und Quietschen erneut, kurz bevor er schießt – nur viel lauter. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich Gäste in ein Restaurant mit einer derartigen Geräuschkulisse verlaufen würden. Der Ton hallt vor allem in Michaels Kopf.

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Walter Murch

Niemand kann einem die „tanzenden Schatten“ des Filmtons besser erklären als Walter Murch, der Ehrengast des diesjährigen Kölner Filmfestivals „See the Sound“. Der langjährige Weggefährte der Regisseure Francis Ford Coppola und Anthony Minghella war in den 1970er Jahren maßgeblich an dem beteiligt, was der Filmhistoriker Charles Schreger als zweite Einführung des Tons bezeichnete. Dabei spielte die Erfindung von Dolby-Stereo und THX nicht einmal die entscheidende Rolle. Wichtiger war die „Entdeckung“, dass die akustische Aura eines Films genauso komponiert werden kann wie eine Partitur.

Zu hören ist dies schon in Coppolas „Der Dialog“ (1974), einem Thriller, in dem der Ton die eigentliche Hauptrolle spielt. Die Handlung dreht sich um einen Überwachungsspezialisten, der zufällig die Vorbereitungen zu einem Mord abhört und dadurch selbst ins Visier der Richtmikrofone gerät. Ein weiterer Meilenstein in der subtilen Mischung von Dialog, Musik und Effekten war „Apokalypse Now“ (1982), dessen berühmter Walkürenritt eben nicht nur wagnerianisch ist, sondern einer Partitur aus explosiven Geräuschen, Sprachfetzen und Musik gehorcht.

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Während die Tonspur im Gesamtkunstwerk des Kinos aufgeht, versucht das „See the Sound“-Festival sie aus diesem Bewusstseinsstrom herauszulösen und zu erklären, welchen Anteil Musik und Klänge daran haben. Das ist beim Werk von Filmkomponisten einfacher zu leisten als bei Sound-Designern, weil Filmmusik die Bilder mit Gefühlen und Bedeutung fluten kann, während Geräusche dem Bild lediglich etwas hinzufügen. Filmtöne werden von uns leichter akzeptiert, so Murch, weil sie scheinbar von den Dingen erzeugt werden, die man auf der Leinwand sieht. Die Maisstärke klingt wie Schnee, weil wir Schnee sehen und die Fußtapfen darin.

Preisverleihung und Festival

Walter Murch erhält den Ehrenpreis von Soundtrack Cologne am Samstag, den 11. Juni, im Rahmen des Kölner Filmfestivals See the Sound. Am Samstagnachmittag wird er in einem Panel über seine Arbeit sprechen; außerdem ist am 9. Juni der Porträtfilm Sight & Sound: The Cinema of Walter Murch in der Fritz Thyssen Stiftung zu sehen.

Das Festival See the Sound läuft vom 8. bis 12. Juni an verschiedenen Kölner Spielorten und widmet sich den Besonderheiten von Filmton und Filmmusik.  

In Köln wird Murch in doppelter Ausführung zu sehen sein: als Stargast und als Hauptdarsteller eines Porträtfilms, den Jon Lefkovitz 2019 über ihn gedreht hat. Man lernt Murch darin als bescheidenen Magier kennen, der durch einige seiner eigenen Filme, aber vor allem durch seine persönliche Filmgeschichte führt. Besonders amüsant sind dabei Szenen, in denen absichtlich ein falscher Ton läuft und etwa der heisere Sternenkrieger Chewbacca ein eher klägliches Gekläff ausstößt. Zu Beginn von Lefkovitz' Film führt Murch die filmische Tonspur auf die vor allem klanglichen Erfahrungen in der Gebärmutter zurück: „Wir reifen im Hören und werden ins Sehen geboren“, ist sein vielzitiertes Motto. Beim Kino, so Murch, war es wegen der verspäteten Einführung des Tonfilms genau umgekehrt.

Der Tonkünstler Murch ist mehr als ein Diener des Visuellen

Wie die begabteren Filmkomponisten versteht sich Murch nicht als Diener des Visuellen, sondern als Zuarbeiter des filmischen Gesamtkunstwerks. „Der Ton gibt dem Bild einen Klangkörper“, schrieb er, „verleiht den Figuren Präsenz und rückt das Geschehen mitunter in einen Kontext, der es uns erst wirklich begreifen lässt.“ So virtuos Musiker wie Sound-Designer ihre Absichten aber auch orchestrieren mögen, ihr machtvollstes Instrument ist vielleicht die Stille.

Walter Murch hat sie im grandiosen Schlussbild von Coppolas „Der Pate II“ genutzt: Während Michael Corleone allein an einem See sitzt, weicht die Klangkulisse immer weiter zurück, bis nur noch die „natürliche“ Atmosphäre zu hören ist. Dann zeigt uns Murch die Vereinsamung des Paten, indem er die Welt um ihn vollends verstummen lässt.

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