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Early Music FestivalSelbst Gustav Mahler wirkt hier alt - und tänzerisch

Lesezeit 3 Minuten
Musikerin Ekaterina Perlina steht in einem weißen Oberteil mit ihrer Violine bei einem Konzert der Kammermusik aus dem 18. Jahrhundert im Veranstaltungsaal Ventana.

Musikerin Ekaterina Perlina beim Festival des Kölner Zentrums für alte Musik Foto: 

Das Kölner Zentrum für Alte Musik (Zamus) bietet Konzerte zwischen Hildegard von Bingen und der frühen Neuzeit.  

Unter das Motto „Ekstase und Kontemplation“ hat das Kölner Zentrum für Alte Musik (Zamus) sein diesjähriges „Early Music Festival“ gestellt. Auf den ersten Blick wäre man geneigt, das für ein Allerweltsmotto zu halten: Bewegt sich nicht alle nennenswerte Musik im Spannungsfeld von Kontemplation und Ekstase?

Ein bisschen mehr Fleisch steckt freilich schon am konzeptionellen Knochen. Es gibt im Programm spannende Schnittstellen zu anderen Künsten und Kulturen, wodurch sich das Verhältnis von Geistigem und Körperlichem, von Regel und Freiheit, von Begrenztheit und Entgrenzung immer wieder neu tariert.

Mittlerweile ist Halbzeit beim Festival, das in diesem Jahr erstmals unter der künstlerischen Leitung der Barockgeigerin Midori Seiler steht. Bei einem Ausflug ins alte Spanien rückten Barockmusik und Flamenco zusammen; Hildegard von Bingen war Gegenstand eines „interdisziplinären Musik-Theater-Laborformats“ zur Thematik des Opferns. Der traditionelle Konzertmarathon zur Festivalmitte gipfelte in einem historischen Tanzball im Stadtgarten; ein konzentriertes Symposium hatte sich tags zuvor mit dem kolonialen Erbe der Alten Musik befasst.

Ein wichtiges Anliegen des Early Music Festival ist die Nachwuchspflege

Ganz gleich, wie man den Terminus „early music“ fasst, ob man einen Unterschied zwischen „früher“ und „alter“ Musik macht und wo überhaupt man die historischen Grenzen zieht - letzten Ende geht es vor allem darum, wie man auf die Musik einer sich entfernenden Vergangenheit blickt. Gustav Mahler ist da noch vergleichsweise nah - aber auch seine Musik unterlag bereits starken Perspektivwechseln, wie das Klavierduo Alexandra Nepomnyashchaya und Richard Egarr im Ventana am Beispiel des berühmten Adagiettos aus der fünften Sinfonie zeigte.

Allein schon durch die Restituierung des überlieferten Originaltempos verlor das Stück seine lastende Morbidität, wurde beweglich, durchsichtig, fast tänzerisch. Noch besser passte der wunderbar erdig-holzig klingende, in gedämpften Klangfarben leuchtende Pleyel-Flügel von 1848 zu Carl Czernys vierhändigem Arrangement von Beethovens „Pastorale“, die das exzellente Duo ganz aus der pianistischen Figuration heraus entwickelte, ohne die pastosen Texturen des Originals nachbauen zu wollen.

Ein wichtiges Anliegen des Early Music Festival ist die Nachwuchspflege. Im Rahmen der zamus: academy widmeten sich diesmal junge Talente der Originalklangszene unter Anleitung von Clara Blessing (Oboe) und Kristin von der Goltz (Violoncello) barocker Kammermusik aus Italien, Frankreich und Deutschland. Die unterschiedlichen nationalen Zungenschläge der Stücke waren stilsicher erfasst; was den tüchtigen Youngsters vielleicht noch fehlte, war (vor allem in den langsamen Sätzen) ein zielgerichtetes, dem Bewegungsimpuls folgendes, gewissermaßen den Wald vor Bäumen im Blick behaltendes Musizieren.

Nachdenklich machte dieser Festival-Beitrag nicht zuletzt, weil sich mit der barocken Kammermusik ein bedeutender, nahezu unüberschaubar großer Werkbestand öffnet, für den es in Köln (aber nicht nur da) kaum etablierte Aufführungs-Strukturen gibt. Wenn das Zamus hier mit dem architektonisch, akustisch und atmosphärisch vorzüglichen Ventana in Sülz auch übers Jahr einen zentralen Anlaufpunkt schaffen könnte, wäre das für die Alte Musik in Köln ein enormer Gewinn. Einstweilen empfehlen sich aber - hier und an anderen Orten der Stadt - noch die Veranstaltungen des aktuellen Festivals, das am 31. Mai mit einer „transdisziplinären Arbeit zur Bewohnbarkeit des Planeten“ in der Werkhalle der Deutzer TanzFaktur endet.