„Es fehlt einfach an Auseinandersetzung“

Lesezeit 7 Minuten

Herr Professor Reck, blicken wir zum Abschied zurück: Wie sind Sie zur Kunsthochschule für Medien gekommen?

Ich hatte eine Professor in Wien, außerdem habe ich in Basel und Zürich an Kunsthochschulen gearbeitet – es war eine Zeit, in der es stark um die mediale Erweiterung von Kunstgeschichte und Ästhetik ging, also um Dinge, die in meinem Gebiet lagen, auch philosophisch, denn ich beschäftige mich seit langem auch mit ästhetischer Theorie, Architektur und Design. Der erweiterte Kunstbegriff war damals – vor 20 Jahren – extrem gefragt, und da kamen für mich zwei Adressen in Frage: die Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und eben Köln.

Welcher Ruf ging der KHM voraus?

Alles zum Thema Henriette Reker

Ich kannte natürlich meinen Freund Siegfried Zielinski, der 1994 bereits an der KHM Professor war und wenig später Gründungsrektor der KHM wurde. Es gab damals nicht so viel, was man im Auge haben konnte, und die KHM versprach, ein interessantes Experiment zu sein, weil alle Techniken, die für die Bilderzeugung nötig waren, von der Holographie über die Malerei bis zur digitalen Innovation, vorhanden waren. Schon bei der Eröffnungswoche 1994 war ich dabei – es ging um „Einbildungskräfte“. Auch wegen der starken internationalen Beteiligung war dies eine Plattform, die unglaublich interessant zu werden versprach.

Welche Möglichkeiten eröffneten sich für Sie, der Schule Ihren speziellen Stempel aufzudrücken?

Ich war von Anfang meiner Berufung an am gesamten Aufbau sehr stark beteiligt. Die Kunstgeschichtsprofessur spielte eine wichtige Rolle an der KHM, da ging es stets auch um die Frage, welche wissenschaftliche Grundierung Kunststudierende brauchen. Ich war lange Sprecher der Gruppe Kunst- und Medienwissenschaften und war lange im Hochschulrat, dem heutigen Senat.

Sie haben sich immer für das Experiment stark gemacht, für die Freiheit der Kunst.

Das stimmt, die Gefahr der Routine ist groß, auch an der KHM ist eine gewisse Behäbigkeit mit der Zeit eingezogen, nicht alle Kollegen haben mitgezogen, wenn es um den Mut zum Experiment ging. Das muss man deutlich sagen: Es gibt eine starke Tendenz zur Bewahrung des Herkömmlichen. Das habe ich nicht als richtig für die KHM empfunden. Gerade die KHM ist aufgefordert, immer wieder radikal neue Formen – neben dem Bestehenden und Bewährten – für die Lehre zu finden. Es ist wichtig, nicht für die Konformitäten des Kunstmarkts und nicht für die Filmwirtschaft oder die televisuellen Apparate zu produzieren.

Wie stellt sich das aus der Perspektive der Studierenden dar?

Ich wünsche mir, dass sie Dinge ausprobieren, die sie noch nicht kennen oder können, dass sie Entdeckungen machen. Auch in dieser Hinsicht, aber das ist meine persönliche Meinung, hat eine gewisse Bequemlichkeit oder, vielleicht besser, Verzagtheit eingesetzt. Da fehlt bei vielen der Zug ins Offene. Wobei, und das will ich deutlich sagen, es immer eine Minderheit gibt, die sich auf Experimente einlässt und das Ganze nicht mit einer gewerklichen Berufsorientierung verwechselt. Eine wesentliche Legitimation von Kunsthochschulen, und eben auch der KHM, liegt darin, kritisch über die Zeit zu reflektieren – über sie und über sie hinaus zugleich.

Gab es in Köln und Nordrhein-Westfalen seitens der Sender oder der Produzenten die Erwartung an die Hochschule, dass diese nun für ihre Zwecke ausbilden werde?

Nicht immer einfach war, aus meiner Sicht und Wertung, dass wir zahlreiche Preise gewonnen haben – ich selbst bin übrigens kein Freund von Kulturpreisen, ich finde das grundsätzlich zwiespältig –, aber wir haben solche Preise nun mal gewonnen, auch im Dokumentarfilmbereich. Und dann wartet man, auf Förderung, auf Festivals wie Saarbrücken oder San Sebastián oder auch die Berlinale, das heißt, es kommt dann tatsächlich zu einer Erwartung, dass das eigene Tun im Hinblick auf einen Markt professionalisiert werden kann. Das ist schwierig, denn selbst, wenn der erste Film erfolgreich ist, heißt dies nicht, dass es so weitergeht. Jedenfalls ist es nicht richtig, einen Diplomfilm grundsätzlich als einen Debütfilm anzusehen und zu suggerieren, dass es allen möglich sein soll und wird, sich entsprechend mit einem Abschluss schon für eine Karriere zu profilieren. Jedenfalls sollte das künstlerische Experimentieren immer auch produktive Reibung sein, einen auszuhaltenden Konflikt mit den dann immer wieder eingeforderten und auch immer wieder zurückgewiesenen Marktstandards oder -vorstellungen ermöglichen und beschreiben.

Das ist aber doch ein grundsätzliches Problem: Es gibt sehr viele Studenten mittlerweile, die auf den Markt drängen, und zu wenige Beschäftigungsmöglichkeiten.

Absolut. Wenn die Rechtfertigung die wäre, dass man nur Leute zum Abschluss bringt, die dann auch eine Chance haben, im Markt anzukommen, dann können wir da überhaupt nicht bestehen – das ist allerdings auch gar nicht der Sinn der Sache oder ein vernünftiges Anliegen einer Hochschule wie der unseren, aber es stellt sich heraus, dass zunehmend viele Studierende eine solche Erwartung haben.

Was hat sich noch geändert im Lauf der vergangenen Jahre?

Was sich wirklich geändert hat, ist die technologische Entwicklung. Vor 25 Jahren brauchte man Techniker und Spezialisten an Maschinen, die einen unglaublichen Platz eingenommen haben. Heute ist es so, dass jedes Smartphone in seinen Möglichkeiten identisch ist mit Dingen, die vor 25 Jahren riesiger Studios bedurften. Alle machen Bilder, permanent, alle können mit Smartphones Filme drehen. Wir stehen vor der Frage, was eine Kunsthochschule da eigentlich macht? Wir haben nicht mehr das Privileg auf technisch gestützte Bilder, bewegt oder nicht. Das ist Alltagspraxis geworden. Das heißt, wir machen Bilder neben anderen, und dies zu reflektieren, ist eine große Aufgabe und Herausforderung. Ich glaube nicht, dass die breite Masse der Lehrenden und der Studierenden bei uns so weit ist, bereits verstanden zu haben, was das bedeutet.

Wenn Sie zurückblicken, auf was sind Sie besonders stolz?

Ich habe mich gefreut, dass wir eine Reihe neuer Kolleginnen und Kollegen gewinnen konnten, auch für neue Professuren – „Netze“ zum Beispiel. Wir haben auch im Wissenschaftsbereich neue Professuren entwickelt und bekommen, eine Erweiterung von Gender zu Queer. Es gibt eine Professur Globalisierungsdiskurse, die neu ist. Und es ist uns endlich, mit guter Hilfe des Ministeriums, in meiner Amtszeit gelungen, das literarische Schreiben an der KHM als einen neuen Schwerpunkt einzurichten. Das ergibt neue Verbindungen zum Erzählerischen. Wir profitieren enorm davon, sei es im Sound, Film, Drehbuch … bis hin zu den Netzen. Grundsätzlich bin ich immer eingetreten für die Freiheit der Kunst, die eine Utopie ist und zugleich eine Verpflichtung, und ich glaube, dass es gelungen ist, diesen Diskurs in kritischer Weise aufrecht zu erhalten. Darauf bin ich stolz. Gerne wäre ich stolz darauf gewesen, wenn wir eine neue Liegenschaft gefunden hätten ...

... Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund!

Jedoch ist der Kultur- und Wissenschaftsministerin in NRW, Frau Pfeiffer-Poensgen, bewusst, dass die Situation am Filzengraben unerträglich ist, immerhin. Ich hätte mir erhofft, dass wir an diesem Punkt unkomplizierter und schneller vorangekommen wären.

Wie ist Köln in anderer Hinsicht als Standort für die KHM? Ist die Stadt gut für die Schule?

Gut, der Name lautet: Kunsthochschule für Medien Köln – insofern ist der Standort gar nicht disponibel. Das ist in Köln gesetzt. Natürlich ist Berlin in vielerlei Hinsicht attraktiver, von Wien, Paris und anderen Städten kenne ich eine metropolitane Intellektualität, die es in Köln nicht gibt, und es fehlen auch andere Dinge, die es interessant machen könnten, dass es die KHM hier gibt: Köln braucht wieder eine Kunsthalle wie früher. Natürlich gibt es großartige Museen und Galerien, es gibt einen Kunstverein, es gibt ein rühriges Mediennetzwerk NRW und manches mehr, aber das ist zu wenig für die Stadt. Solange es nicht ausreichend viele pulsierende Orte wie die erwähnte, nicht mehr existente Kunsthalle gibt, fehlt einfach Auseinandersetzung. Wenn ich also drüber nachdenke, finde ich Köln nicht ideal. Aber wir sind hier und fördern das internationale Renommee der Stadt, sind auch froh, dass wir von dieser, genauer von der OB Henriette Reker, eine Zusicherung auf eine Perspektive für einen prominenten, angemessenen, sichtbaren Standort erhalten haben.

Foto: Peter Lang

ZUR PERSON

Hans Ulrich Reck wurde 1953 in Schönenwerd in der Schweiz geboren. Er studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Tübingen und Kommunikationsdesign bei Bazon Brock an der Bergischen Universität – Gesamthochschule Wuppertal. 1995 kam er als Professor für Kunstgeschichte an die Kunsthochschule für Medien in Köln, 2014 wurde er deren Rektor. (ksta)

KStA abonnieren