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Florian Illies über die Familie MannEine Hölle menschlicher Kälte

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3 min
Florian Illies bei der lit.Cologne Spezial

Florian Illies bei der lit.Cologne Spezial

Bei der lit.Cologne Spezial stellt Illies in der Kölner Flora sein Buch über die ersten Exilmonate im Jahr 1933 vor.

Ja, wenn „das Heißgetränk im Nachtzug fehlt“, dann kann das schon eine „sehr große Verärgerung bewirken“, eine „erhebliche Behagensminderung“. Vor allem, wenn man Thomas Mann heißt. Wohlgemerkt: Die Beschwerde gilt nicht etwa einer Erfahrung, die nun wirklich verstörend ist, nämlich der Tatsache, dass man sich auf der Flucht vor den Nazis dem Exil an der französischen Mittelmeerküste nähert. Sondern sie gilt eben dem Fehlen besagten „Heißgetränks“. Wie schön, dass sie immerhin den Weg in die distinguiert-ausgesuchte Formel der „Behagensminderung“ findet.

Thomas Mann at his best: Dank Florian Illies' Darstellungskraft rückt dem Leser der deutsche Großschriftsteller, dessen 150. Geburtstag die literarische Welt in diesem Jahr begeht, nachdrücklich auf den Pelz. Sympathisch wird er ihm ob seiner neurotischen Wehleidigkeit und narzisstischen Selbstbezogenheit übrigens nicht – dass er dies wird, lag wohl auch nicht unbedingt im Interesse des Autors, der sein neues Buch über die ersten 1933er Exilmonate der Familie Mann in Sanary-sur-Mer (bei Toulon) jetzt im Gespräch mit Mona Ameziane in der Kölner Flora vorstellte. Der Abend im Rahmen der lit.Cologne spezial zeitigte übrigens ein volles Haus – Indiz des Bestsellererfolgs, den Illies auch mit „Wenn die Sonne untergeht“ unfehlbar erzielen wird.

Die Lesung einzelner Passagen geriet zu einem Erlebnis

Tatsächlich fährt das Buch auf der Spur jener Fakten und Fiktion mischenden „atmosphärischen Epochenerzählung“, welches Genre sich allgemein in diesen Jahren großer Beliebtheit erfreut und jede Menge Fortsetzungen erwarten lässt. Wer böse ist, könnte von einer „Masche“ sprechen. Illies selbst eröffnete die Reihe seiner einschlägigen Titel 2012 mit „1913“, aber auch sein Kollege Uwe Wittstock zum Beispiel ist da gut unterwegs.

Die Lesung einzelner Passagen durch den Verfasser geriet jetzt übrigens zu einem Erlebnis sui generis: Illies zelebrierte seinen Text durch die manierierte Rhythmisierung und Phrasierung der Satzperioden – eine preziöse Erlesenheit war da am Werk, die eine womöglich ironische Annäherung an den Gegenstand, eben Thomas Mann, vermuten lassen konnte.

Allemal lebt das Buch von der Vergegenwärtigung einer Drucksituation, in der sich Privates und Weltgeschichtliches faszinierend verschränken, von der atemberaubend-ungleichzeitigen Gleichzeitigkeit der Vorgänge: Während sich in Deutschland die Diktatur brutal etabliert, machen die – untereinander verfeindeten – Emigranten, die sich in dem idyllischen Fischerdorf am Mittelmeer gleichsam in einer Kolonie versammeln (auch Brecht, Feuchtwanger, Werfel und viele andere sind dauerhaft oder sporadisch dabei), wenn auch unfreiwillige Sommerurlaube. Klar, zumal den Patriarchen selbst werfen die Umstände aus der Bahn, das Planetensystem büßt seine Sonne ein, die Kinder – Klaus, Erika, Golo, Monika – emanzipieren sich. 

Die Situation im neuen Domizil der Villa La Tranquille bleibt somit für alle Beteiligten unangenehm: Illies stellt das Innenleben der Mann-Familie und zumal die gemeinsamen Mittagessen als Hölle dar – eine Hölle menschlicher Kälte, in der zum Beispiel eine Tochter, Elisabeth, gehätschelt wird, während den meisten anderen, selbst wenn sie krampfig Konversationsthemen vorbereitet haben, verachtungsvolle Gleichgültigkeit entgegenschlägt. Illies hat nach eigener Auskunft – auch um „Fleisch“ an die prekäre Lebensform Sanary zu kriegen – bislang unentdeckte und -veröffentlichte Quellen recherchiert, etwa Tagebücher von Golo, Arnold Zweig und Lion Feuchtwanger. Freilich: Dass man – selbst als ergriffener Thomas Mann-Leser – selbst wohl eher ungern Mitglied des Clans gewesen wäre, wusste man auch schon vorher.