Forscher über KI-Risiken„Manche Menschen haben zu viele Terminator-Filme gesehen“

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Richard Socher greift mit seiner Suchmaschine you.com Google an.

Der deutsche KI-Forscher und Unternehmer Richard Socher will mit seiner Suchmaschine you.com Google angreifen.

Der deutsche Forscher Richard Socher gilt im Silikon Valley als KI-Genie. Ein Gespräch über Chancen und Gefahren von KI – und die Dominanz der Tech-Riesen.

Die digitale Welt wird dominiert von Tech-Riesen wie Google und Meta, deren wachsende Macht, Methoden und Geschäftsmodelle höchst umstritten sind. Mit Künstlicher Intelligenz (KI) erhalten sie ein mächtiges neues Werkzeug. Richard Socher (39) arbeitet und forscht im Silicon Valley und gilt in der Tech-Branche als deutsches KI-Genie. Mit seiner Suchmaschine you.com, die auf einer Chat-Funktion mit Künstlicher Intelligenz basiert, will er Google Konkurrenz machen. Ein Gespräch über die Chancen und Gefahren von KI.

Microsoft-Gründer Bill Gates geht davon aus, dass viele Berufe mit Prestige künftig von KI übernommen werden und sich der Fokus auf Berufe an Menschen richten wird, so wie Sozialarbeit oder Pflege. Teilen Sie diese Vision?

Ja. Empathie und das Zwischenmenschliche wird immer wichtiger. Man will im Altersheim nicht einer KI eine Geschichte über seine Kindheit erzählen. Man will, dass ein anderer Mensch einem zuhört. An vielen Stellen wird eine KI nicht 100 Prozent der Jobs automatisieren, sondern Menschen effizienter machen. 50 Prozent von dem, was Radiologen tun, kann man mit KI automatisieren.

Die EU hat ein umfassendes Gesetz entworfen, das den Einsatz von KI in der EU regeln soll. Wie bewerten Sie es?

Ich wünschte, die EU wäre stärker darin, Technologie zu implementieren, statt sie immer nur zu regulieren. Ich halte es für fehlgeleitet und unausgegoren, KI schon im Abstrakten regulieren zu wollen. Das macht viel mehr Sinn, sobald es konkret wird: Straßenverkehr mit selbstfahrenden Autos, in der Medizin, im Militär und anderen Bereichen des Lebens und der Wirtschaft.

Gibt es Punkte im Gesetz, die Sie für unsinnig halten?

Definitiv. Das sind viele kleine Sachen. Es ist sehr schwierig gerade für kleine Firmen, genau angeben zu müssen, woher ihre Daten kommen, wenn sie mit Open-Source-Modellen (Modellen aus freien Quellen, Anm. der Red.) arbeiten. Die kommen halt aus dem Internet. Und wenn ich es doch weiß, weil ich die KI selbst trainiert habe, möchte ich es der Welt und damit der Konkurrenz nicht sagen müssen, wie ich sie trainiert habe. Gerade kleine Firmen brauchen einen Burggraben, damit das Kopieren für andere Firmen schwieriger wird. Sonst haben sie keine Chance.

Die Debatte über die Gefahren von KI wird auch in den USA heute viel lauter als noch vor zehn Jahren.

Das stimmt. Wir sehen jetzt ja, dass KI wirklich funktioniert. Man sieht die positiven wie negativen Effekte offensichtlicher. Es ist klar, dass KI in vielen Anwendungen reglementiert sein muss. Wenn eine Bank ihre Kreditvergabe über KI automatisieren will, muss sichergestellt sein, dass sie keine sexistischen oder rassistischen Kriterien implementiert hat. In den USA ist das bereits gesetzlich verankert, was ich gut finde. Es gibt aber auch Menschen, die zu viele Terminator-Filme gesehen haben und sich jetzt laut bei Twitter darüber verbreiten, dass die KI uns alle zerstören wird. Menschen, die nicht verstehen, wie die Technologie genau funktioniert, macht das Angst. Nichts gegen fantasievolle Geschichten, man sollte sie allerdings nicht zu ernst nehmen.

Spielen Sie damit auch auf die Experten aus Tech und Forschung an, die in einem Moratorium jüngst eine Entwicklungspause für KI-Modelle gefordert haben, um mehr Zeit für Sicherheitsstandards zu haben? Elon Musk war einer der prominenteren Vertreter.

Ja. Dieses Moratorium ergibt wenig Sinn. Man kann nicht einfach das Internet verlangsamen, weil man die Entwicklung der KI zu schnell findet. Ich vermute, dass viele von den Unterzeichnern gerade Sorge haben, den Anschluss zu verpassen. Sobald sie mit ihren Firmen wieder obenauf sind, werden sie ihre Meinung sofort ändern. Auch Elon Musk. Er ist ein schlauer Typ, der viele coole Firmen gegründet hat. Und auch er stattet seine Teslas alle paar Wochen über das Internet mit neuen Features aus und findet es toll, wenn sich diese durch KI stetig verbessern. Er hat garantiert keine Sorge, dass seine Autos durch die KI ein eigenes Bewusstsein entwickeln.

Aber es muss doch KI-Potential geben, dass Ihnen Sorge bereitet.

Natürlich. Die KI-Technologie ist nur so gut wie die Systeme, die Menschen und die Daten, die sie beeinflussen. Die gleiche KI, die Bilder verstehen kann, um Brustkrebs zu definieren oder Gehirnblutungen zu finden, kann man so trainieren, dass eine Drohne mit einem kleinen Hebelmechanismus und einer Handgranate automatisch losfliegt. Das ist mittlerweile ziemlich einfach – und angsteinflößend. Das müssen wir regulieren. Automatisches Töten wollen wir nicht unterstützen, ähnlich wie Atomwaffen. Im Krieg gibt es sehr viele schreckliche Möglichkeiten, die schon jetzt machbar sind. Ein anderes Beispiel sind KI-Modelle, die rassistisch oder sexistisch sind, weil sie auf unseren vorhandenen Daten beruhen.

KI kann das Internet mit Fake News und gefälschten Bilder überschwemmen.

Das ist auf jeden Fall auch ein Problem. Wir alle sollten unsere Eltern und Großeltern noch einmal warnen, dass sie nicht allem vertrauen sollen, was sie im Internet sehen. Ich dachte eigentlich, das wäre schon klar. Denn auch mit Photoshop konnte man in den vergangenen zehn Jahren schon viele Bilder fälschen. Jetzt ist es noch einfacher, kostet noch weniger und geht schneller. Kritische Internet-Kompetenz wird immer wichtiger.

Wie können Privatmenschen oder Firmen ihre Daten schützen, damit diese nicht in die KI einfließen?

Wenn man das nicht will, stellt man seine Daten besser nicht ins Internet. Ein populärer Illustrator hat verständlicherweise etwas dagegen, wenn die KI seinen Stil leicht, billig und schnell kopieren kann. Andererseits konnte auch Monet nicht alle verklagen, die seinen impressionistischen Stil kopiert haben[1] . Es war auch nicht optimal für Pferdekutscher, dass jeder auf einmal Auto fahren konnte. Auf einmal kann jeder Illustrator sein. Die KI wird diesen Job, so wie andere auch, unglaublich verändern. Die Frage ist, wie wir diesen Wandel und diese enorme Effizienz-Steigerung sozial gerecht gestalten.

Was macht Ihre Suchmaschine You.com denn besser als Google?

Bei uns hat man eine deutlich bessere Privatsphäre, wird nicht ständig von Werbung verfolgt. Wer den Privatmodus verwendet, wird gar nicht analysiert. Außerdem geben wir den Nutzern schneller eine komplette Antwort auf ihre Fragen, statt sie wie Google möglichst lange im eigenen Ökosystem zu halten, damit noch mehr Werbung im nächsten und übernächsten Klick gezeigt werden kann.

Der Kampf von David gegen Goliath klingt gegen Ihr Vorhaben, Google anzugreifen, nach einem Kinderspiel. Wie oft werden Sie für verrückt erklärt?

Ein bis zweimal die Woche sicherlich (lacht). Es ist in der Tat ein sehr schwieriges Unterfangen, aber im Gegensatz zu David und Goliath wird es nicht so sein, dass am Ende einer tot ist. Es gibt viele Fastfood-Ketten auf der Welt. Suchmaschinen auch. You.com kann sehr erfolgreich werden, ohne Google vom Thron zu stoßen. Google ist eine Riesenfirma, die E-Mails, Karten, Suchen und vieles andere macht. Wir fokussieren uns nur auf die Suche. Selbst, wenn wir am Ende nur 5 oder 10 Prozent aller Suchen auf der Welt organisieren, haben wir viel Einfluss, helfen Menschen dabei, schneller, kreativer und effizienter zu sein oder besser zu lernen.

Versuchen die großen Player, Ihnen den Wettbewerb so schwer wie möglich zu machen?

Ja!

Ein Beispiel?

Wenn ein Nutzer you.com als Standard-Suchmaschine im Chrome-Browser installieren will, unternimmt Google viel, um das zu verhindern. 50 Prozent aller Nutzer, die uns gerne als Standardbrowser installieren wollen, verlieren wir schon beim Versuch sofort wieder. Das ist nur eines von vielen Beispielen.

Es braucht doch riesige Datensätze, viel Rechenleistung und viel Geld, um eine KI zu trainieren. Wie können Sie da mehr sein als eine Schnecke im Rennen der Tech-Giganten mit ihren unglaublichen Möglichkeiten?

Man muss in der Tat einiges an Geld haben, aber es müssen nicht mehr Hunderte Millionen oder Milliarden sein. Denn die KI hat sich stark verbessert und viele Forschungsergebnisse, auch Teile, die ich mit meinen Forschungsteams publiziert habe in den letzten Jahren, sind freie Quellen (Open Source). Jeder kann sie nutzen. Ein Start-up kann also eine 80-Prozent-Lösung implementieren. Wenn man dann einmal Nutzer hat, lässt sich die KI immer weiter verbessern.

Es lässt sich kein Geld damit verdienen lässt, einer KI zu sagen: Mach, was du willst. Denn sie könnte einfach sagen: Ich will im Internet surfen und mir Youtubevideos angucken.
Richard Socher

Sie beraten auch die deutsche Bundesregierung in Sachen KI und sprechen von einem gefährlichen Rückstand, den Deutschland hat. Was muss die Bundesregierung konkret tun, damit wir den Anschluss verlieren?  

Informatik und Programmieren muss Pflichtfach werden in Schulen und Gymnasien. Und wir brauchen mehr Risikokapital-Support, also Venture-Capital-Fonds, damit die in Start-ups investieren, in deutsche Firmen, die neue Ideen haben. Da muss weiter dereguliert werden.

Wird es in Zukunft eine „Artificial General Intelligence“ geben, also eine Künstliche Intelligenz , die selbstständig denkt, eigenständig handeln kann?

Davon bin ich überzeugt. Nicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren, eher in 100 bis 200 Jahren. Denn dafür sind sehr viele Zutaten nötig, die es so noch nicht gibt. Außerdem arbeitet kein oder kaum ein Forscher momentan daran, einer KI die Freiheit zu geben, ihre eigenen Ziele zu setzen. Das liegt daran, dass sich kein Geld damit verdienen lässt, einer KI zu sagen: Mach, was du willst. Denn sie könnte einfach sagen: Ich will im Internet surfen und mir Youtubevideos angucken.

Aber wird sich die KI wirklich für Youtube-Videos entscheiden oder doch eher die Weltherrschaft anstreben?

Momentan ist die KI nur so gut wie die Systeme und die Daten, die sie hat. Und die Daten, die sie in den dunkleren Teilen des Internets liest, sind suboptimal. Diesen Spiegel, den wir uns da als Menschheit vorhalten, wollen wir wahrscheinlich nicht tausendfach automatisieren. Aber eine wirkliche KI, die noch intelligenter ist als wir es sind, muss unsere evolutionär bedingte Psychologie nicht annehmen. Ich bleibe da positiv.

Warum?

Man liest viel zu selten Science-Fiction-Bücher, in denen die Welt besser wird. Statistisch gesehen sterben immer weniger Kinder, weniger Frauen sterben bei der Geburt, wir können jetzt Viren genauso gut wie Bakterien als Krankheit lösen: Es macht aber nicht so viel Spaß, davon zu lesen. Dementsprechend werden wir in den nächsten Jahren mehr „Black Mirror“-Episoden (eine düstere Netflix-Serie, Anm. der Red.) sehen als optimistische Szenarien. Vor 200 Jahren hätte ein König nicht so gut leben können wie heute ein normaler Mittelklasse-Mensch in einer normalen Wohnung. Die Welt insgesamt verbessert sich, die Zukunft ist bereits hier. Sie ist nur noch nicht gleich und gerecht verteilt.

Im Internet werden Sie übrigens häufiger mal als „Nerd-Version von Ed Sheeran“ beschrieben. Einverstanden damit?

(lacht) Das höre ich zum ersten Mal. Allerdings habe ich schon ab und zu spaßeshalber Autogramme unterschrieben, weil mich jemand mit Ed Sheeran verwechselt hat. Das fand ich lustig. Manche sagen über Menschen mit anderer Hautfarbe: Die sehen alle gleich aus. Die rothaarige Version davon ist offenbar: Rotschopfe sehen alle gleich aus.

Mögen Sie wenigstens Sheerans Musik?

Es sind ein paar süße Songs dabei, aber ein bisschen schnulzig ist er schon auch.

Wissentliche Verfälschung ist eine Sache. Ich habe you.com vorhin mal gefragt, wer ich, Kendra Stenzel, eigentlich bin. Der Chatbot hat mir dazu viel Richtiges erzählt, aber auch, dass ich einen Abschluss in Biologie und Maschinenbau vom MIT hätte. Von dem wüsste ich nichts. Werden wir dahin kommen, dass wir dieser Art von Fehlern auf You, Bing und Co. nicht mehr begegnen?

Wenn man nur den Namen anfragt, dann kombiniert die KI mehrere mögliche Kendras oder Stenzels. Das haben wir jetzt schon um einiges verbessert, aber ähnlich wie man am Anfang von Google vor 20 Jahren gelernt hat, wie man gut googelt, lernt man momentan, wie kann man besser yout. Idealerweise sagt man, welche von den Kendras dieser Welt man sucht und gibt dann etwas mehr Informationen ein. 

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