Als Fotografin in der Ukraine„Das nach Hause kommen ist das Schwierigste“

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Zu sehen sind Frauen mit ihren Kindern. Am Gleis steht ein blau-weiß gestreifter Zug.

Am Bahnhof in Lviv warten Geflüchtete auf den Zug nach Polen.

Sitara Thalia Ambrosio war als Fotojournalistin in der Ukraine. Sie hat die LGBTQ+-Community dabei begleitet, wie sie den Kriegsalltag bewältigt. Das Projekt war mit dem Titel „Fragile as Glass“ als Ausstellung zu sehen.

Sie waren als Fotografin in der Ukraine. Können Sie etwas darüber erzählen?

Ich war letztes Jahr mit dem Beginn der russischen Invasion als Fotojournalistin in der Ukraine. Da habe ich viel Zeit in der West-Ukraine verbracht, vor allem in der Stadt Lwiw. Ich habe dort queere Menschen kennengelernt und die ersten Fotos für „Fragile as Glass“ gemacht. Das ist tatsächlich ein Satz, den einer meiner Protagonisten gesagt hat. Er sagte, unsere Welt sei so zerbrechlich wie Glas. Mittlerweile ist die Serie zu einem Langzeitprojekt geworden. Letztes Jahr war ich dafür auch in Kiew und in Nikopol.

Was haben Ihnen die Menschen in der Ukraine erzählt?

Alles zum Thema LGBTQI+ – News für und über queere Menschen

Das ist unterschiedlich. Ich habe mich ja vor allem mit jungen queeren Menschen seit Beginn des Angriffskrieges beschäftigt. Deren Alltag in ihrem Land im Krieg stand bei mir sehr im Fokus. Dabei war mir vor allem wichtig, nicht nur die Herausforderungen zu zeigen, sondern auch die kraftgebenden Momente. Eine Protagonistin erzählt, dass die kleinen Augenblicke für sie wichtig geworden sind. Ihren Geburtstag zu feiern, hat einen anderen Stellenwert bekommen. Es gibt ihr viel Kraft, dann ihre Freunde zu sehen. Ein Protagonist namens Yehor berichtet dagegen, dass er unter Angstzuständen leidet, Depressionen hat und manchmal nicht weiß, wie er morgens aufstehen soll.

Sie halten durch Ihre Arbeit sehr intime Momente fest. Wie schaffen Sie es, ein solches Vertrauen herzustellen, dass Sie bei einer Geburtstagsfeier dabei sein dürfen?

Da spielt neben Empathie vor allem Zeit eine große Rolle. Es sind die stilleren Momente, in denen vermeintlich gar nicht so viel passiert, die es möglich machen, so nah ranzukommen. Es gibt auch Momente, da spielen wir Karten oder kochen zusammen. Auch bei dieser Geburtstagsfeier fotografiere ich, aber meine Kamera ist nicht in jedem Moment präsent. Ich glaube, diese Momente sind wichtig, um Vertrauen zu bekommen. Um wirklich zeigen zu können: Ich bin interessiert an eurer Perspektive. Ich will das verstehen.

Russlands Angriffskrieg aus Sicht der ukrainischen LGBTQI+-Community

Für einen queeren Menschen ist die Bedrohung ja einerseits durch den Krieg selbst vorhanden, aber auch durch die Normen, die Russland durchsetzen möchte. Wie gehen die Menschen, mit denen Sie geredet haben, damit um?

Wenn wir über queere Menschen und ihre Situation dort sprechen, müssen wir verstehen, dass in Russland ein zutiefst homo- und transfeindliches Klima herrscht. Diese Menschengruppen wären natürlich einer größeren Gefahr ausgesetzt, wenn die Ukraine in russische Hand fallen würde. Queeres Leben ist in Russland so gut wie unmöglich, und das betrifft jetzt auch die queere Community in der Ukraine. Der Umgang damit ist unterschiedlich. Es gibt in der Ukraine queere Menschen, die sich dem Militär angeschlossen haben und ihr Land an der Front verteidigen. In meiner Serie gibt es aber auch Edward, ein*e Aktivist*in bei Kiew Pride. Edward hat einen anderen Umgang und kämpft nicht, aber schafft Aufklärung, macht Aktivismus und gibt dem Ganzen eine mediale Bühne. Der Umgang damit ist unterschiedlich, aber die Bedrohung bleibt für diese Personengruppen gleich.

Haben Sie beobachtet, wie Menschen mit dem Luftalarm umgehen? Hat man da irgendwann Routine oder ist es jedes Mal die Angst, dass jetzt auch bei ihnen Raketen einschlagen könnten?

Es gibt in meiner Serie ein Foto von mehreren meiner Protagonist:innen, die in Decken eingewickelt am Fenster sitzen. Russland greift gezielt Energiesysteme an, und deswegen funktionierten viele Heizungen über den Winter nicht. Zu dem Zeitpunkt ist gerade Luftalarm in Lwiw, die vier sitzen aber am Fenster. Das ist das Schlimmste, was du machen kannst, wenn Luftalarm ist. Wenn das Fenster bei einem möglichen Einschlag splittert, kann das schwere Verletzungen verursachen. Aber wenn du so lange in einem Land lebst, in dem Krieg ist…

Gewöhnt man sich daran?

Gewohnheit ist das falsche Wort, aber auf irgendeine Art und Weise findest du dich damit ab. Und wenn dreimal am Tag Luftalarm ist, nimmst du das irgendwann nicht mehr so genau. Irgendwann gehst du nicht mehr in den Luftschutzbunker. So geht es vielen Menschen dort. Weil es einfach eine große Belastung ist, den halben Tag in einem Luftschutzbunker rumzusitzen.

Sasha N. und sein Freund Roman leben in einer WG. Wegen der russischen Angriffe auf die Energiesysteme fallen die Heizungen aus, deshalb sitzen sie in Decken eingewickelt am Fenster.

Sasha und seine Freunde haben sich so sehr an den Luftalarm gewöhnt, dass sie nicht mehr in den Luftschutzbunker gehen.

Die Menschen arrangieren sich irgendwie damit, weil sie weitermachen müssen und keine Wahl haben?

Ja, im Endeffekt ist es so. Es ist das Tragische, dass du aus dieser Situation jetzt nicht direkt rauskommst. Du musst einen Umgang mit dieser Situation finden, und dann stellt sich natürlich die Frage, inwiefern macht das meine Psyche mit, ständig in einem Luftschutzbunker zu sitzen. Oder sage ich irgendwann, das halte ich nicht mehr aus. Irgendwie muss das Leben weitergehen. Natürlich ist es eine große Gefahr, dass es bei einem Luftschlag viele Verletzte oder auch Tote gibt, weil Menschen nicht die Luftschutzbunker aufgesucht haben. Aber wenn du ständig mit dieser Angst und in diesem Krieg lebst, kann das irgendwann dein Umgang damit werden.

Gibt es bei diesen Menschen die Hoffnung, dass das bald vorbei sein könnte?

Ich glaube, das ist auch sehr unterschiedlich. Viele Menschen und auch meine Protagonist*innen haben die große Hoffnung, dass dieser Krieg bald zu Ende ist. Als ich Ende letzten Jahres da war, haben viele gesagt: Diesen Frühling hört der Krieg hoffentlich auf. Dann ist es vorbei, und wir müssen das Land wieder aufbauen. Diese Hoffnung hält auch lebendig.

Wie sich Fotografin Sitara Thalia Ambrosio auf ihre Einsätze vorbereitet

Sie waren in der Vergangenheit auch an der bosnisch-kroatischen Grenze und in Syrien. Wie bereiten Sie sich auf einen Einsatz in so einem Gebiet vor?

Das ist sehr davon abhängig, in welches Land man reist und zu welchem Thema man arbeitet. Wichtig ist es vor allem, sich auch medizinisch auf das Arbeiten vor Ort vorzubereiten. Gleich bleibt die Recherche, die von zu Hause aus startet. Es ist wichtig, sich vorher mit dem Land vertraut zu machen. Was sind die größten Gefahren, die auf dich zukommen können? Was sind Backup-Pläne? Eine der wichtigsten Sachen ist das Back-Office. Wenn das keine Redaktion übernimmt, was bei Freiberuflern oft der Fall ist, greife ich auf mein Netzwerk von Journalist*innen zurück, die zu Hause sind und wissen, was ich vorhabe, damit sie reagieren können, wenn ich mich nicht zurückmelde.

Hatten Sie Situationen in Ihren Reisen, in denen Sie akut in Gefahr geraten sind?

Bisher bin ich eher daran vorbeigeschlittert und hatte keine Situationen, in denen mein Leben akut bedroht war. Aber in brenzlige Situationen gerät man immer wieder. In Syrien ist bei einer Familie in Hassaka, die mein Kollege und ich für eine Zeitung begleitet haben, quasi direkt vor der Haustür eine Autobombe hochgegangen. Wir waren zu dem Zeitpunkt nicht in der Stadt, es war also keine akute Bedrohung, aber natürlich macht es einem bewusst, dass solche Dinge passieren. Man kann sich nur so gut es geht darauf vorbereiten, auf die schlimmsten Situationen gefasst sein, Pläne machen und sich gut ausstatten, um so sinnvoll wie möglich zu agieren.

Wie ist es für Sie, von solchen Einsätzen wieder nach Hause zu kommen?

Nach Hause kommen und sich seiner eigenen Privilegien bewusst zu werden, ist das Schwierigste. Es braucht immer ein paar Tage, um wieder in einer anderen Lebensrealität anzukommen. Trotzdem bin ich auch dankbar, dass ich jedes Mal aufs Neue losfahren kann. Es ist ein Privileg, losfahren und berichten zu können, aber auch wieder nach Hause zu kommen.

Zur Person

Sitara Thalia Ambrosio ist eine freiberufliche Fotojournalistin. Als Fotografin war sie unter anderem in der Ukraine, in Syrien und an der bosnisch-kroatischen Grenze. Für ihre Multimediareportage „Kandvala“ über Geflüchtete auf der Balkanroute wurde sie mit dem Deutschen Multimediapreis und mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

Sitara Thalia Ambrosio vor der Ausstellung „Fragile as Glass“

Sitara Thalia Ambrosio vor der Ausstellung „Fragile as Glass“

Ihr Projekt „Fragile as Glass“ dokumentiert, wie die LGBTQ+-Community in der Ukraine mit dem Krieg umgeht. Die Fotos gewannen den Residenzpreis des Hellerau Photography Award und waren vom 18. März bis zum 7. Mai im Europäischen Zentrum der Künste Dresden als Ausstellung zu sehen. 

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