„Freitagnacht Jews“Warum sich Daniel Donskoy nirgendwo zu Hause fühlt

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Daniel Donskoy

Köln – In der ersten Folge der neuen Staffel „Freitagnacht Jews“ steht Daniel Donskoy auf dem geöffneten oberen Deck eines typischen roten Busses in London und brüllt im Hitler-Tonfall, welche Sätze er gerne irgendwann in Deutschland hören würde: „Ja, wir sind ein multikulturelles Einwanderungsland, in dem die verschiedensten Gruppierungen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln können.“

Daniel Donskoy provoziert gerne, aber nicht zum Selbstzweck

Das zu drehen sei ihm schon ein bisschen schwergefallen, räumt der Schauspieler, Musiker und Moderator im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein. Aber wer die interessanteste deutsche Sendung über Jüdischsein hierzulande und in der Welt anschaut, lernt schnell: Provokation ist ein Mittel, das er gerne nutzt, aber nie als Selbstzweck. Es geht dem 32-Jährigen um das Aufzeigen und Aufbrechen von Klischees und festgefahrenen Denkmustern.

Wer Judentum hört, denke in Deutschland an Antisemitismus und Holocaust. Das ist ihm zu wenig. „Ich glaube, dass die Show Menschen unterhalten hat und gleichzeitig gezeigt hat, wie man über jüdische Themen sprechen kann. Es hat ein paar Türen geöffnet für Formate, die danach kommen könnten, generell für »Minderheiten-Fernsehen«. Es muss nicht belastend sein, man darf auch mal lachen. Wir können uns von unserer deutschen Neurose lösen“, formuliert er seinen Anspruch an die Sendung, für die er den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis gewann.

Termine

Daniel Donskoy ist an diesem Freitag, 21. Oktober, im „Kölner Treff“ zu Gast. Der WDR zeigt die Talkshow um 22 Uhr. Danach zeigt der Sender ab 23.30 Uhr alle Folgen der neuen Staffel „Freitagnacht Jews“ (London, Buenos Aires, Tel Aviv, Istanbul). Die Folgen sind alle auch in der Mediathek zu sehen.

Die zweite Staffel der Netflix-Serie „Barbaren“ kann ab 21. Oktober gestreamt werden.

Für ihn geht das nur, wenn er die Entscheidungshoheit hat über Inhalt und Form der Sendung. Für diese Freiheit kämpfte er. Erst als der WDR sie ihm als Creative Producer einräumte, sagte er zu. Seine Sendung zeigt wie bunt und oft auch widersprüchlich Menschen den jüdischen Teil ihrer Identität leben – in der ersten Staffel bei Abendessen mit deutschen Jüdinnen und Juden und in der zweiten bei Begegnungen in London, Buenos Aires, Tel Aviv und Istanbul.

Donskoy will nicht die Stimme des Judentums in Deutschland sein. „Bei »Freitagnacht Jews« kriegen Menschen die Chance, auf ihre Art und Weise Judentum zu repräsentieren. Keiner von ihnen soll für das Ganze stehen, weil das gar nicht geht. Ich möchte nicht als Repräsentationsfigur gesehen werden. Und ich bin mir nicht sicher, ob das so ist, wenn ich irgendwo als Jude angefragt werde.“

Daher wägt er sehr genau ab, wozu er sich in der Öffentlichkeit äußert. Eine Anfrage, an einer Sendung über den Antisemitismus-Skandal auf der Documenta mitzuwirken, lehnte er ab. „Es wäre nicht angemessen thematisiert worden. Ich muss nicht mit Künstler:innen und der Kulturstaatsministerin ausdifferenziert überlegen, ob es denn antisemitisch war. Natürlich war es das. Es ist ein Riesenskandal, was da passiert ist. Die fragen mich an, weil ich Jude bin und nicht, weil ich Kunst verstehe.“ Ja, er habe als jüdischer, in Deutschland lebender Mensch eine dezidierte Meinung dazu, aber das mache ihn noch nicht zum Experten, auch nicht für Antisemitismus.

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„Ich will nicht die Projektionsfläche sein für die Betroffenheit von Menschen. Leider wird man da eher benutzt, als dass man etwas beitragen kann.“ Was er mache, sei gesellschaftskritisch, aber er könne immer nur seine Meinung, seine Sicht auf die Dinge präsentieren. Und: „Ich würde mir eher das Bein abhacken, bevor ich anfange über alles meine Meinung kundzutun.“ Es gebe schon genug von der Sorte auf Twitter, die sich die Köpfe einhauen und anderen erklären, wie sie zu leben haben. „Auf die Party geh’ ich nicht. Ich bleib’ lieber beim Verbinden und Brückenschlagen, das kann ich besser. Wir sind gar nicht so unterschiedlich, wie wir manchmal glauben. Es gibt Gemeinsamkeiten und auf Basis dieser Gemeinsamkeiten entsteht Empathie für dein Gegenüber.“ Die, die auch ihn im Netz regelmäßig mit Hass überschütten, sollen nicht gewinnen.

Daniel Donskoy passt in keine Schublade – und fühlt sich genau damit ausgesprochen wohl. Geboren wurde er 1990 in Russland, er kam als Baby mit seinen Eltern nach Berlin, nach deren Trennung zog er mit seiner Mutter 2002 nach Tel Aviv. In London studierte er Schauspiel. Er spricht Deutsch, Englisch, Russisch und Hebräisch, lebt mal in Berlin, mal in London. Und was bedeutet Heimat für ihn? Das sei seine Lieblingsfrage, erwidert er lachend: „Ich fühle mich nirgendwo zu Hause. Ich sehne mich auch nicht danach, mich irgendwo zugehörig zu fühlen.“

In „The Crown“ spielte er den Geliebten von Lady Di

In Deutschland wurde er als Hauptdarsteller der harmlos-lustigen RTL-Serie „Sankt Maik“ bekannt, in der er als falscher katholischer Priester zu sehen war. Doch das war nur der Anfang. Er macht Musik, spielt den Gerichtsmediziner im „Tatort“ aus Hannover und den Geliebten von Lady Di in der Netflix-Serie „The Crown“. In der zweiten Staffel von „Barbaren“ über die Konflikte zwischen Römern und Germanen nach der Varus-Schlacht wird er zum Fiesling Flavius. Herausfordernd sei das gewesen, „aber vor allem war es ein emotionaler Kick, einen so intriganten, schlimmen, unangenehmen Menschen zu spielen. Er steht am moralischen Abgrund.“ Donskoy musste Latein sprechen, reiten, kämpfen. Keine leichte Aufgabe, aber er geht gerne an Grenzen, für Dreharbeiten saß er auch schon mit gebrochenen Rippen auf einem Pferd.

Er ist ein Workaholic. Jedes Jahr nehme er sich vor, es das nächste Jahr ruhiger anzugehen. „Und dann liege ich am 24. Dezember halb tot da und brauche einen Monat, um wieder klarzukommen. Ich wage zu bezweifeln, ob das gesund ist. Aber irgendwie liebe ich es. Ist das masochistisch? Vielleicht. Genieß ich es? Ganz klar: ja !“ Gibt es den großen Karriereplan? Jein. Er lässt die Dinge auf sich zukommen, weiß aber auch, was er will: in allen Genres spielen, international und in Deutschland erfolgreich sein. „Ich bin bewusst in die Kunst gegangen, weil das eine wundervolle Sprache ist, in der man sich als Mensch entfalten darf und etwas bewegen kann. Ich liebe das. Ich kann meine Welt und Wahrnehmung so verpacken, dass es für andere Menschen sichtbar und fühlbar wird.“

Da ist sie wieder, die Sehnsucht, Brücken zu bauen und Gräben zu überwinden. Man kann das naiv finden. Man kann es aber auch mutig nennen.

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