„Toleriertes Aufsichtsdefizit“Kritik an WDR-Rundfunkrat nach Schlesinger-Affäre

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Der WDR-Rundfunkrat soll Intendant Tom Buhrow auf die Finger schauen.

  • An der Wächterfunktion des WDR-Rundfunkrats werden immer wieder Zweifel laut, zuletzt wurde dieser sogar als „Abnick-Verein“ verspottet.

Köln – Für WDR-Intendant Tom Buhrow liegt der Hauptgrund für die vieldiskutierte RBB-Affäre in der mangelnden Kontrolle der Senderleitung, namentlich der mittlerweile entlassenen Intendantin Patricia Schlesinger. Aber wie steht es um die Aufsicht des WDR?

Neben internen Kontrollinstanzen sind für diese zwei Aufsichtsgremien zuständig, der neunköpfige, insbesondere mit Haushaltsfragen befasste Verwaltungsrat, sowie der Rundfunkrat, in dem laut Selbstbeschreibung 55 ehrenamtliche Vertreter der Allgemeinheit „über alle grundsätzlichen Fragen zu Angeboten, Struktur und Finanzen des WDR“ beraten. An der Wächterfunktion des Rundfunkrats werden freilich immer wieder Zweifel laut, zuletzt wurde dieser sogar als „Abnick-Verein“ verspottet.

Appell von Gerhart Baum und Jürgen Bremer

In einem aktuellen „Appell“ mahnen zwei aktive beziehungsweise ehemalige WDR-Rundfunkräte, der einstige Bundesinnenminister Gerhart Baum und der Medienrechtler Jürgen Bremer, eine dringende Neubestimmung der Aufsichtsgremien und insbesondere des Rundfunkrates an. „Auf ARD-Ebene gibt es ein bisher toleriertes, strukturelles Aufsichtsdefizit“, schreiben sie. „Das wird überwunden werden müssen, um Angriffen auf die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks begegnen zu können.“ Besonders dringlich sei die Diskussion über das Selbstverständnis der Rundfunkräte, so die Autoren, weil diesen demnächst eine noch größere Bedeutung zukomme.

Nach den Vorstellungen des neuen Medienstaatsvertrages setzte die Politik nur noch die Rahmenbedingungen und einen Mindestbestand an linearen Programmen fest. Alles andere werde der Selbstverwaltung der Sender übertragen. „Das ist ein revolutionärer Schritt“, so Baum und Bremer.

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Für diese Revolution sind die ARD-Rundfunkräte aber schlecht gewappnet, finden die Verfasser des „Appells“. Es fehle den Gremien an professionellen Strukturen und an Selbstbewusstsein, die eigene Kontrollfunktion tatsächlich auszuüben, zudem würden ihre Kompetenzen mit denen der Verwaltungsräte kollidieren. „Die theoretisch logische Aufgabenteilung von Rundfunk- und Verwaltungsrat führt in der Praxis zu einer teilweise unübersichtlichen Gemengelage, die eine gute Aufsicht schwierig macht. Beim WDR hat die Summe der Entscheidungen des Verwaltungsrates erheblichen Einfluss auf das Programm. Der Rundfunkrat wird dadurch in seiner Programmkompetenz eingeschränkt, der Verwaltungsrat durch den Rundfunkrat in seiner Haushalts- und Finanzkompetenz. Zwei Gremien führen so zu mehr Beratung, am Ende aber zu weniger Kontrolle.“

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Gruppenbild des WDR-Rundfunkrates

Die fehlende Professionalität des RBB-Rundfunkrats hatte auch Buhrow implizit bemängelt; dessen WDR-Pendant sieht der Intendant hingegen dank einer zehnköpfigen, vom Sender unabhängigen Geschäftsstelle deutlich besser ausgestattet.

Allerdings löst eine Geschäftsstelle nach Baum und Bremer keinesfalls die strukturellen Probleme. So werde der Rundfunkrat bei besonders wichtigen und „teuren“ Programmverträgen wie etwa der Entlohnung von Fernseh-Moderatoren ebenso wenig hinzugezogen wie bei wesentlichen Entscheidungen über das Redaktionsgefüge; diese Fälle trage der Intendant stattdessen allein dem Verwaltungsrat vor, obwohl sie die Programmhoheit des Rundfunkrats unmittelbar betreffen.

Es mag auch an diesen unklaren Kompetenzen liegen, dass es den Rundfunkräten möglicherweise am Selbstbewusstsein gegenüber den Intendanten mangelt. Jedenfalls empfinden es Baum und Bremer als „seltsam“, dass „bisher noch kein Haushaltsentwurf der Intendanten aufgrund von Gremienberatungen substantiell verändert“ worden sei.

In Sachen Transparenz gibt es beim WDR einigen Nachholbedarf

Sehr geringe Kompetenzen haben laut „Appell“ die Rundfunkräte der einzelnen Landessender im ARD-Gesamtgebilde. Hier werde auch der WDR-Rundfunkrat selten in maßgebliche Entscheidungen eingebunden, meist nur im Rahmen der Haushaltsplanung, bei der der WDR-Anteil des ARD-Etats genehmigt werden muss.

„Angesichts der neuen Aufgabenstellung“, so Baum und Bremer, „muss auf dieser Ebene ein neues Miteinander sowohl unter den Gremien der Sender entwickelt werden, als auch bei Beschlüssen der ARD.“

Auch in Sachen Transparenz gibt es demnach einigen Nachholbedarf, beim ZDF sei dies deutlich besser geregelt als etwa beim WDR. Gerade die Arbeit des Verwaltungsrats „bleibe eher im Verborgenen“. „Selbst der Rundfunkrat erfährt nicht, was in dem Gremium verhandelt wird. Auch Entscheidungen über Spitzenpersonal im Programm erfährt der Rundfunkrat meistens aus der Presse.“ Der Rundfunkrat wiederum veröffentliche gerade nur so viel, um den gesetzlichen Transparenz-Vorschriften noch zu genügen.

Gerhart Baum

Gerhart Baum

„Diese Zurückhaltung übt der Rundfunkrat im Übrigen nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit, sondern auch gegen sich selbst. Er verzichtet auf Protokolle von Präsidiumssitzungen. Er erfährt nicht, wann das Spitzengremium des Rundfunkrats tagt, er kennt dessen Tagesordnung und Themen nicht. Protokolle der Gremienvorsitzenden-Konferenz werden dem WDR-Rundfunkrat nicht vorgelegt.“

Der „Appell“ schließt mit der Ermahnung, beide Gremien müssten „ihre Kontrollfunktion selbstbewusster wahrnehmen und damit der Öffentlichkeit signalisieren, dass sie im Interesse der Allgemeinheit handeln“. Also das tun, wozu sie geschaffen wurden.

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