German Conducting Award in KölnWie geht eigentlich Dirigieren?

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Die Dirigentin Anna Castro Grinstein in der Kölner Philharmonie. Sie schaut auf ihr Orchester und hat die Hände zum Dirigat erhoben, in der rechten Hand hält sie einen Taktstock.

Die Dirigentin Anna Castro Grinstein, die am German Conducting Award teilnimmt

In der Kölner Philharmonie kann man ab Donnerstag den German Conducting Award besuchen. Im Interview erzählt die Dirigentin Anna Castro Grinstein, die am Wettbewerb teilnimmt, von ihrem außergewöhnlichen Beruf.

Anna Castro Grinstein, wie haben Sie die Liebe zur Musik gefunden?

Anna Castro Grinstein: Ich habe mit sechs oder sieben Jahren angefangen, Klavier zu spielen. Es lief schon immer viel Musik bei uns zu Hause. Meine Mutter arbeitet als Choreografin für zeitgenössischen Tanz und mein Vater ist Schauspieler. Die beiden haben zusammen ein freies Theater in Buenos Aires gegründet. Wenn man als Kind mit seinen Eltern zur Arbeit geht, nimmt man diese Eindrücke natürlich mit. Ich fühle mich sehr wohl in einem Theater. Deswegen habe ich auch großes Interesse an Opern. Ein Opernhaus ist wie eine eigene kleine Welt, in der Menschen aus verschiedensten Feldern wie Technik, Musik und Organisation zusammenarbeiten. In so einem Raum fühle ich mich zu Hause.

Wann haben Sie sich entschieden, Dirigentin zu werden?

Genau kann ich das nicht sagen, aber eine Erfahrung hat mich da sehr geprägt. Als Teenager bin ich mal mit meiner Mutter zur Arbeit gegangen, als eine Opernproduktion von „Carmen“ lief. Da habe ich zum ersten Mal ein Orchester und das ganze Spektakel einer Oper live gehört. In diesem Moment wusste ich, dass ich mit dem Orchesterklang arbeiten möchte. Ich habe mich dann nach der Schule entschieden: Ich möchte Dirigentin sein. Ich möchte helfen, diesen Klang zu gestalten.

Was genau ist denn die Aufgabe einer Dirigentin?

Es hat verschiedene Aspekte. Wenn man beispielsweise mit jungen MusikernInnen oder Laien arbeitet, muss man natürlich stärker an Fundament des Stücks arbeiten. Selbst wenn eine Gruppe „Happy Birthday“ singt, muss jemand sagen: Jetzt fangen wir an, wir machen das so schnell und in dieser Lautstärke. Das heißt: Ein Mensch muss eine Meinung haben, an der wir uns orientieren. Es gibt in einem Orchester so viele unterschiedliche Persönlichkeiten, was wunderbar ist, aber man muss auch an einem Strang ziehen. Dafür ist ein Dirigent oder Dirigentin verantwortlich.

Anna Castro Grinstein muss als Dirigentin den Überblick behalten

Und bei Profimusikern?

Aspekte wie Rhythmus und Dynamik sind größtenteils schon bei der ersten Lektüre eines Stücks da. Man muss dann eine Schicht tiefer gehen und an Feinheiten arbeiten. Man will laut spielen – aber wie laut genau? Menschen nehmen das sehr unterschiedlich wahr. Was für einen Klang braucht man? Als Dirigent oder Dirigentin arbeitet man intellektuell an der Partitur, sieht die Details darin, sucht einen Klang dafür. Das zeigt man mit seinen Gesten an, und die Musiker merken sofort: Wie fängt der Klang an? Wie hört er auf? Die Säle haben auch eine sehr unterschiedliche Akustik. Der Dirigent oder die Dirigentin hat den besten Platz, um zu hören, ob die unterschiedlichen Instrumentalgruppen in einer guten Balance spielen.

Wie behält man denn den Überblick über ein ganzes Orchester, in dem teilweise über 100 Musiker spielen?

Man hört in der Regel schnell, wenn etwas nicht stimmt. Was mit etwas Erfahrung aber besser klappt, ist sich zu organisieren. Manchmal hat man vor einem Konzert nur eine kurze Probezeit von zwei oder drei Tagen. Am schwierigsten ist es als junge Dirigentin die Geduld zu haben, erstmal an den wichtigen Sachen zu arbeiten. Man findet die Baustellen des Stücks: Das kann mit dem Stil zu tun haben, mit dem Klang, dem Tempo. Und wenn man diese Ideen zusammen umsetzen kann, arbeitet man mehr an Details.

Sie können als Dirigentin in einem Stück eigene Akzente setzen. Haben Sie schon einen eigenen Stil?

Ich denke, wir alle haben einen Stil, aber man kann es nicht mit Worten beschreiben. Wir befassen uns natürlich akademisch mit Musik, aber es gibt einen Teil, der mit jedem Einzelnen von uns zu tun hat, ob Musiker oder Dirigent. Es gibt einen Teil, der mit dem Geist zu tun hat. Alles, was wir im Leben hinter uns haben, schwingt in der Musik mit. Man kommuniziert etwas mit der Energie, die man hat. Das ist nicht immer auf einem Video sichtbar; um das wahrzunehmen, muss man anwesend sein. Viele DirigentInnen mögen zurückhaltender oder nicht so energisch aussehen, bekommen aber vom Orchester einen unglaublichen Klang. Das ist am Ende des Tages das Wichtigste.

So finden mehr Menschen Zugang zu Oper und klassischer Musik

Was motiviert Sie dabei, so viel Arbeit in ein Stück zu stecken?

Es ist mir wichtig, gemeinsam mit dem Orchester das Beste aus einem Musikstück heraus zu holen, damit das Publikum berührt wird, nachdenken kann oder einfach einen unterhaltsamen Moment verbringt. Meine Hauptmotivation ist also diese Verbindung zwischen MusikerInnen und Publikum, die aus der Musik entsteht.

Viele Menschen haben keinen Zugang zu Opern oder klassischer Musik. Woran liegt das?

Vielleicht hat eine Person es einmal versucht, sich eine Oper anzuschauen, und da dieses bestimmte Stück ihrem Geschmack nicht entsprochen hat, versucht sie es nicht wieder. Aber eigentlich ist es wie ein Kinobesuch. Es gibt ganz unterschiedliche Filme: Komödien, Dramas, Krimis. Nicht alles trifft den eigenen Geschmack, aber die wenigsten würden sagen: Ich mag überhaupt keine Filme. Es ist das Gleiche mit Opern. Es gibt Wagner, Rossini, Verdi, es gibt zeitgenössische Opern. Wir müssen einen besseren Job darin machen, diese Vielfalt zu zeigen. Gerade moderne Libretti bieten da eine sehr interessante Gelegenheit. Mit ihnen kann man Menschen ansprechen, die nie in eine Oper gegangen sind, und ihnen zeigen, dass wir über etwas sprechen, was mit ihrem Leben zu tun hat.

Der German Conducting Award in der Kölner Philharmonie

Eine Gelegenheit in diese Welt zu schnuppern, ist auch der German Conducting Award, an dem Sie teilnehmen. Wie läuft der Wettbewerb ab?

Ich finde, dieser Wettbewerb ist sehr besonders, weil wir in der ersten Runde mit zwei verschiedenen Orchestern arbeiten dürfen. Wir machen Opernrepertoire mit dem Gürzenich-Orchester und Sängern aus der Oper Köln und danach arbeiten wir mit dem WDR Sinfonieorchester und machen sinfonisches Repertoire. Eine Jury sucht dann sechs Kandidaten aus, die in die zweite Runde kommen, und dann drei Kandidaten für die Finalrunde. Aber unabhängig davon, ob man weiterkommt, ist es für uns eine unglaubliche Gelegenheit, mit so tollen Orchestern arbeiten zu dürfen. Man lernt dabei unglaublich viel.

Haben Sie Vorgaben dafür, was sie dirigieren?

Eine Herausforderung bei solchen Wettbewerben ist, dass man ein großes Repertoire vorbereitet – für die erste Runde drei Opernensembles und drei Sinfonien - und erst einen Tag vorher weiß, was man spielen darf. Bei den Proben haben wir dann jeweils 20 Minuten Zeit mit den Orchestern und spielen einen Satz. Die Stücke gehören zum normalen Repertoire eines Dirigenten, man kennt es also vielleicht aus anderen Jobs oder von der Musikhochschule. Es ist im Detail vorzubereiten, was eine organisatorische Herausforderung ist.

Zur Person

Anna Castro Grinstein (geboren 01.06.1990) ist eine Dirigentin aus Buenos Aires. 2017 zog sie für ihr Masterstudium nach Freiburg und arbeitet seitdem in Deutschland freiberuflich als Dirigentin. 2023 war sie Conducting Fellow des Aix-en-Provence Festival und dirigierte das Balthasar-Neumann-Orchester. Sie wurde als Britten Pears Young Artist 23‘ ausgewählt und arbeitet mit dem Jette Parker-Programm des Royal Opera House mit dem Schwerpunkt auf zeitgenössischer Oper. 2022 wurde sie von Barbara Hannigans Innitiative „Momentum, our future now“ gefördert. Sie gehört zu den 12 Teilnehmern des German Conducting Award.

Zum Wettbewerb

Der German Conducting Award ist ein Wettbewerb des Deutschen Musikrats. In der ersten Runde erarbeiten 12 ausgewählte Dirigenten und Dirigentinnen ein Opern-Repertoire mit dem Gürzenich Orchester und der Oper Köln und ein sinfonisches Repertoire mit dem WDR Sinfonieorchester. Sechs Kandidaten kommen in die zweite Runde (05.10 um 10:00 Uhr, 12:10 Uhr), drei in die dritte Runde (06.10 um 10:00 Uhr, 14:00 Uhr). Die Auftritte ab der zweiten Runde sind öffentlich, der Eintritt ist frei. Es findet ein Abschlusskonzert am 07.10. um 20 Uhr in der Kölner Philharmonie statt, Tickets gibt es für 29 Euro (ermäßigt: 12 Euro). Alle Infos gibt es hier

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