Kölner FotografMichael Bauses „Grenzgang“ zwischen Deutschland und Polen

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Ein rot-weißer Schlagbaum steht geöffnet in einem Wald.

Ein Schlagbaum in einem Wald in der Nähe von Podrosche. Aus Michael Bauses Fotobuch „Grenzgang“

Der Kölner Fotograf Michael Bause erkundet das historisch aufgeladene Grenzgebiet an Oder und Neiße und findet Orte und Menschen, die mehr verbindet als sie trennt. 

Über drei Jahre hinweg folgte Michael Bause dem Verlauf der deutsch-polnischen Grenze, immer wieder, in Etappen von mehreren Tagen oder Wochen. Sein Weg führte ihn an jeweils 923 Grenzmarkierungen vorbei, an rot-weißen Schlagbäumen im Wald oder schwarz-rot-goldenen Pfählen, die sich im Herbstlaub beinahe verlieren. Überwiegend sah er stille Landschaften und Dörfer, „Krieg in Europa“, so Bause, „erschien mir als ein längst überwundener Teil der Geschichte.“

Zwischen dem Grenzgang des Kölner Fotografen und dem Erscheinen seines gleichnamigen Buches fiel der russische Überfall auf die Ukraine. Seitdem ist der Krieg in Europa wieder allgegenwärtig, und das Friedensprojekt, für das nicht zuletzt die offene Grenze an Oder und Neiße steht, scheint aus einer weit entfernten Zeit zu stammen. 1950 hatte das besiegte Deutschland die neue polnische Westgrenze und den faktischen Verlust der eigenen „Ostgebiete“ anerkannt; als Polen im Jahr 2007 dem Europa des Schengener Abkommens beitrat, gab es niemanden mehr, der die Rechtmäßigkeit der Oder/Neiße-Grenze in Zweifel zog.

Krieg in Europa erschien mir als ein längst überwundener Teil der Geschichte.
Michael Bause

An dieser historisch aufgeladenen Landschaft, so Bause, habe ihn „der lange Weg, den Europa zurückgelegt hat“ interessiert. Aber auch der Alltag der Menschen, ihre Beziehung zueinander, und welche Spuren die ehemalige „Demarkationslinie“ in der Physiognomie der Gegend hinterlassen hat. Seine Reise folgte der Logik des kleinen Grenzverkehrs, mit ständigen Seitenwechseln in einem schmalen Korridor von jeweils zwei bis drei Kilometern rechts und links des Grenzflusses. An einer solchen Grenze, so Bause, werden Identitätsfragen konkret und zugleich durchlässig, weil man hier jeden Tag erlebt, welche Rolle der historische Zufall, auf einer der beiden Seiten aufzuwachsen, spielt.

Das Buch, sagt Bause, folgt nicht nur einem Fluss, es ist selbst einer: ein Bewusstseinsstrom aus Bildern. Man habe den einen Ort noch im Kopf, wenn man in den nächsten kommt - dieses Ineinanderfließen von Eindrücken habe er darstellen wollen, indem er immer wieder Bilder, die wenig miteinander gemein zu haben scheinen, einander auf Doppelseiten gegenüber stellt. Wie Hindernisse im Flusslauf stehen die Begegnungen mit Anwohnern auf den Buchseiten. Mit jedem Zitat (stets in Deutsch und Polnisch) leitet Bause einen neuen Abschnitt der Reise ein.

Blick auf die Oder mit Bäumen am entfernten Horizont.

Ein kleines Fischerboot am polnischen Ufer der Oder.

Der fotografische Grenzgang beginnt im Norden, auf der deutschen Seite bei Usedom. Man sieht einen Teich, in dem sich der Himmel spiegelt, einen Mann auf einem Kriegsgräberfriedhof und immer wieder Wasser, Schiffe und Fischer. Oft sind die Motive im Anschnitt zu sehen, und weil Bause seine Aufnahmen (bis auf die Porträts) die gesamte Seite ausfüllen lässt, stoßen sie besonders hart aneinander. Man wird dadurch in den unruhigen Bilderstrom hineingezogen, fühlt sich den Menschen und Orten nah. Selbst wenn sich der Blick weitet, drängt der Vordergrund den Horizont zum oberen Bildrand; auch malerischen Landschaftsbildern verleiht das eine verblüffende Unmittelbarkeit.

Bause hat sich bewusst nicht auf die Pirsch nach allegorischen oder auch nur kuriosen, das Landleben auskostenden Einzelbildern gemacht. Aber er lässt sie auch nicht achtlos am Wegesrand liegen. Er zeigt einen Mann, der durch ein Miniaturdorf stakst, einen verwaisten Parkplatz am „Sonnenmarkt“ und einen Weltkriegspanzer im Abendlicht. Aber vor allem sieht man eine Landschaft, die auf beiden Seiten der Grenze in Ruhe gelassen wurde und die mehr verbindet als sie trennt. Die übers Buch verstreuten Grenzpfosten sind keine politischen Ausrufezeichen mehr, sondern Kommas im Erzählfluss einer gemeinsamen Geschichte.

Der Landstrich des Buchs berührt auch Bauses Familiengeschichte; seine Mutter überquerte die Oder in jungen Jahren auf der Flucht nach Westen. Aber das bleibt im Hintergrund. Sehr persönlich ist dafür der begleitende Essay, für den Bause, der regelmäßig auch für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ tätig ist, Christiane Hoffmann als Autorin gewinnen konnte. Die stellvertretende Regierungssprecherin berichtet von ihren familiären Erfahrungen mit den beiden deutschen Grenzflüssen (die Elbe gesellt sich bei ihr zur Oder) und erinnert daran, dass die deutsch-polnische Grenze sehr viel durchlässiger war als die innerdeutsche.

Auch bei Michael Bause ist der Grenzstreifen von Oder und Neiße kein Niemandsland mehr, wenn es jemals eines war. Zwischen Usedom und Zittau traf er viele Menschen, die nirgendwo anders leben wollten, als in dieser historisch aufgeladenen Abgeschiedenheit. Für sie ist es eine Heimat und für Europa wieder ein Sehnsuchtsort.


Michael Bause: „Grenzgang/Pogranicznicy“, Revolver Publishing, 212 Seiten, ca. 140 Abb., Deutsch/Polnisch, 28 Euro.

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