Er zeigt nie sein Gesicht Afrikas berühmtester Investigativreporter zu Gast bei Günter Wallraff

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Die beiden sitzen nebeinander vor einer Tür. Anas trägt einen Hut mit einem Perlenvorhang, der sein Gesicht verdeckt.

Günter Wallraff trifft sich in Köln mit Anas Aremeyaw Anas, dem wohl berühmtesten Investigativreporter Afrikas.

Anas Aremeyaw Anas ist Günter Wallraffs Schüler und entlarvte als investigativer Journalist schon zahllose Missstände. Damit hat er sich mächtige Feinde gemacht.

Er arbeitete als Gastarbeiter bei Thyssen, schleuste sich als Redakteur bei der „Bild“ ein und verkleidete sich in einer umstrittenen Aktion als Schwarzer, um Alltagsrassismus in Deutschland aufzudecken. Günter Wallraff schlüpfte schon in viele Rollen und jeder kennt mindestens eine seiner Geschichten. Hierzulande eher unbekannt ist, dass seine Methode einen Nachahmer gefunden hat, der sie „mit Leidenschaft und Virtuosität“ weiterentwickelt hat, so Wallraff.

Anfang Juli treffen sich die beiden in Wallraffs Wohnung in Köln-Ehrenfeld. Der ghanaische Investigativreporter Anas Aremeyaw Anas deckte in Tansania Ritualmorde an Menschen mit Albinismus auf und schleuste sich als katholischer Priester in ein Gefängnis in Bangkok ein, um einem Mafioso die Beichte abzunehmen. Mittlerweile hat er sich als einer der bekanntesten investigativen Journalisten Afrikas etabliert, führt eine private Detektei und bildet seine Mitarbeitenden aus. „Günter Wallraff war derjenige, der mir die Motivation gegeben hat, um diesen investigativen Journalismus zu machen“, sagt Anas.

Günter Wallraff inspirierte Anas zum investigativen Journalismus

Zum ersten Mal trafen sich die beiden Anfang der 2000er in Johannesburg. Wallraff hielt dort einen Vortrag über seine Arbeit. Anas verfolgte seine Methode genau – er hatte während eines Auslandsaufenthalts in Hamburg bereits von Wallraff gehört. In Johannesburg wurde ihm dann bewusst: Das ist die Art des Journalismus, die er selbst machen will. „Er hat mich zum Vorbild genommen“, sagt Wallraff bei ihrem Treffen in Köln. „Aber mittlerweile ist er auch für mich zu einem Vorbild geworden. Etwas Besseres kann einem ja nicht passieren.“

Einmal haben sich die beiden auch in Ghana getroffen. Anas war mitten in einer seiner Recherchen. Ein Whistleblower hatte ihm gesteckt, dass in einer psychiatrischen Klinik in Accra desaströse Zustände herrschten: Patienten wurden misshandelt und Pfleger wie Ärzte verkauften ihnen Drogen. Noch während Anas als Patient dort eingeschleust war, kam Günter Wallraff nach Ghana. Um seinen Mentor wenigstens für kurze Zeit sprechen zu können, brach Anas nachts aus der Psychiatrie aus.

Anas Aremeyaw Anas schützt seine Identität mit einem Perlenvorhang

„Es war ein sehr kurzes Treffen“, sagt Anas. „Aber es hat mich erfüllt. Ich hatte sehr viel von ihm gelernt. Und wenn mein Idol schon in meinem Land war, musste ich ihn sehen.“ Damit ging er ein Risiko ein, aber ein überschaubares, wie er klarstellt. „Ich wusste, wann ich aus- und wieder einbrechen konnte. Und ich wusste, dass es ihn nicht glücklich gemacht hätte, wenn ich für das Treffen die Untersuchung gefährdet hätte.“

Anas größter Trumpf ist, dass kaum jemand weiß, wie er aussieht. Auch in Köln trägt er sein Erkennungszeichen: Einen Hut mit einem Perlenvorhang, der sein Gesicht verdeckt. Es ist ein wirkmächtiges Symbol und Teil seiner Selbstinszenierung. Wenn er sich bewegt, hält er den Vorhang mit seiner Hand fest, damit der Schwung der Bewegung nichts offenlegt. So kann er jederzeit in verschiedene Rollen schlüpfen, ohne erkannt zu werden. Mittlerweile arbeitet Anas auch mit prothetischen Masken. „Du wärst geschockt zu sehen, in was ich mich verwandeln kann. In Dubai war ich ein Scheich, mal war ich ein Anwalt, mal ein alter Mann.“

Recherche mit der BBC deckte Korruption im Fußball auf

Günter Wallraff schenkt ihm bei ihrem Treffen eine Muschelkette aus Ghana und schlägt vor, daraus noch eine Tarnmaske zu machen. Die beiden lachen, Anas lobt die Kette und hängt sie sich sofort um den Hals. Sie umschiffen damit humorvoll den Hauptgrund für Anas Maskerade. Die Perlen sind seine Lebensversicherung. Er hat sich mit seiner Arbeit einige mächtige Feinde gemacht. „Einer der Jungen, mit denen ich gearbeitet habe, Ahmed Suale, wurde erschossen. Zwei Schüsse in den Kopf, einen in seinen Hals. Das ist das Risiko unserer Arbeit.“

Seine Recherchen zum ghanaischen Fußball haben hohe Wellen geschlagen, dazu kooperierte er mit der BBC. Sein Team stellte Kontakt zu Schiedsrichtern her und bot ihnen Bestechungsgelder an, damit sie Spiele zugunsten eines Teams pfiffen. „Wir haben so über hundert Schiedsrichter überführen können, über den afrikanischen Kontinent verteilt. Wir hatten Schiedsrichter, die für die Weltmeisterschaft gepfiffen haben.“ Über diese Kontakte kamen sie bis an die Spitze des afrikanischen Fußballs: Kwesi Nyantaky, Präsident des ghanaischen Fußballverbandes, Vizepräsident des afrikanischen Fußballverbandes und Mitglied des Fifa-Rats. Er nahm vor Anas Kameras eine hohe Geldsumme an, mutmaßlich 65.000 Dollar. Nach der Enthüllung verlor er alle seine Ämter.

Für Wallraff liegt die Grenze des investigativen Journalismus in der Privatspäre

Doch Anas Methode ist nicht unumstritten. Seine Gegner sprechen von Tatprovokation. Der ghanaische Politiker Kennedy Agyapong rief sogar dazu auf, Anas zu hängen. Der verteidigt die gefilmten Bestechungsversuche als einzigen Weg, an die Schuldigen zu kommen. „Es gab wegen dieser Geschichte 66 Prozesse. Ich habe alle gewonnen.“ Zudem sei er selbst Jurist, er wisse also, welche Beweismittel er bei seinen Recherchen sammeln muss, damit sie vor Gericht standhalten.

Der schmale Grat provoziert auch Grenzüberschritte. Wallraff hat deshalb klare Prinzipien entwickelt: „Bei mir ist der Privatbereich absolut tabu - selbst bei meinen größten Gegnern habe ich mich immer daran gehalten. Private Verfehlungen habe ich nie zum Thema gemacht. Ausnahmen gibt es, wenn jemand Menschenleben auf dem Gewissen hat und Gefahr im Verzug ist, etwa beim damaligen Putschgeneral Spionola. Den konnte man nicht anonymisieren.“ Wallraff hatte sich damals als deutscher Waffenhändler ausgegeben und so die Putschpläne des ehemaligen portugiesischen Staatspräsidenten öffentlich gemacht.

Anas verteidigt Wallraffs Blackfacing 

Doch beim Thema Grenzen gibt es Meinungsverschiedenheiten. Wallraff wurde wegen seiner Verkleidung als Schwarzer „Blackfacing“ vorgeworfen. Ihn interessiert Anas Einschätzung. Der sieht das pragmatisch. „Ich glaube, der Zweck heiligt hier die Mittel. Wenn er am Ende das Ziel seiner Ermittlung erreicht und damit Rassismus in seinem Land aufdeckt, dann ist es o.k.“

Anas wiederum überschritt eine Grenze, die Wallraff heilig ist: Das Beichtgeheimnis. In einem Gefängnis in Bangkok nahm er, verkleidet als Priester, einem inhaftierten Mafioso die Beichte ab. So deckte er auf, dass dort Ausländer – etwa ghanaische Gefangene – misshandelt wurden. Durch Anas Enthüllungen sei ein Gesetz im ghanaischen Parlament verabschiedet worden, um die Gefangenen zurück in ihre Heimat zu überführen. „Man wägt diese Dinge immer miteinander ab. Lasse ich die Gefangenen im Gefängnis? Oder überschreite ich diese Linie, um sie dort rauszuholen?“ Wallraff ergänzt, dass die Grenzen anders zu bewerten seien, wenn es um Menschenleben geht.

Das nächste Treffen der Reporter steht bereits fest

Auch wenn die beiden bereits auf ein Lebenswerk als investigative Journalisten zurückblicken können, gehen ihnen nicht die Themen aus. Anas steckt bereits in einem bisher unveröffentlichten Projekt: Elektroschrott, der nach Afrika gebracht wird. Die Entsorgung des Mülls ist wegen der darin enthaltenen Stoffe sehr gesundheitsgefährdend. „In der nächsten Story werde ich die Unternehmen entlarven, die darin involviert sind.“

Auch ein Termin für den nächsten Deutschlandbesuch steht bereits fest. Im November will er Wallraff wieder treffen, um gemeinsam mit seinem Mentor eine investigative Recherche zu besprechen. Man darf gespannt sein, welche Rollen die beiden dann annehmen werden.

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