Gürzenich Orchester und Concerto Köln in der PhilharmonieEin prachtvolles Stück nordischer Spätromantik

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Jan Lisiecki

Der kanadische Pianist Jan Lisiecki spielte mit dem Gürzenich Orchester in der Kölner Philharmonie.

In der Kölner Philharmonie widmeten sich sowohl das Gürzenich Orchester als auch das Concerto Köln der Romantik.

„In einen entspannten Spaziergang unter weitem Himmel“, so das vollmundige Versprechen im Programmheft, verwandele Jan Lisiecki das Klavierkonzert von Edvard Grieg. Wer das schrieb, hatte vermutlich nicht das philharmonische Meisterkonzert im Januar 2023 erlebt, bei dem der junge Kanadier das berühmte Stück schon einmal denkbar hart in die Zange nahm. In der Gürzenich-Matinee ging Lisiecki nun zwar grundsätzlich freundlicher ans Werk, aber von einem „entspannten Spaziergang“ konnte auch diesmal keine Rede sein: Gemeißelte Oktavkaskaden im Kopfsatz und eruptiv hervorbrechende Sextolengruppen im Finale prägten eine Interpretation, die weit mehr aus dem festen Griff als aus dem lockeren Schwung lebte.

Finnischer Nordwind in der Kölner Philharmonie

Im lyrischen Mittelsatz mit seiner reich verzierten Diskantlinie war er dann aber plötzlich wieder ganz da, jener behutsam auskostende, flexibel formende Ton, der Lisieckis Chopin-Spiel so unverwechselbar macht. Und mit Chopins „Regentropfen-Prélude“ verabschiedete er sich auch - fern aller Sentimentalität, ganz auf die unterschwellig pochende Bedrohung des Mittelteils setzend.

„Nordwind“ war das Programm überschrieben, mit dem der 23-jährige Finne Tarmo Peltokoski beim Gürzenich-Orchester debütierte. An den Beginn hatte der ebenso hochbegabte wie selbstbewusste Jungstar ein kurzes Stück seines Kollegen Esa-Pekka Salonen gesetzt: „Helix“ arbeitet mit kühl kalkulierten Klangeffekten und jagt das Orchester in eine applaustreibende Schlusssteigerung. „Kapellmeistermusik“ nannte man so etwas früher mal.

Sehr viel mehr Substanz führte da schon Jean Sibelius’ zweite Sinfonie ins Rennen, die das Gürzenich-Orchester als prachtvolles Stück nordischer Spätromantik mit intensiven Aromen in den Raum stellte. Dass sich hier in raffinierten Spaltklang-Wirkungen und asynchron verschobenen Feldstrukturen bereits die Moderne ankündigt, nahm man weniger deutlich wahr - dafür fehlte es der Darstellung an innerer Balance und Präzision im rhythmischen Detail. Das mochte auch am Maestro liegen, der allzu freigiebige Einladungen ans Blech verteilte und besonders im Finale den Klang mit jugendlichem Überschwang in die Breite trieb.

Concerto ebenfalls mit Flügel auf der Bühne

Auch beim Nachmittagskonzert mit Concerto Köln stand ein Flügel auf dem Podium - aber hier war es kein Steinway mit tonnenschwerem Stahlrahmen, sondern ein zierliches Hammerklavier, an dem Tobias Koch das dritte Klavierkonzert von Felix Mendelssohn Bartholdy vorführte. Das dritte? Ganz recht: 2009 hat der amerikanische Musikforscher R. Larry Todd ein nachgelassenes Fragment des Meisters rekonstruiert und dreisätzig ausgebaut; für das fehlende Finale bediente er sich aus dem zeitgleich entstandenen Violinkonzert.

Die schwache Klangprojektion des historischen Flügels kompensierte der Düsseldorfer Pianist sehr geschickt durch sein beredtes, frei ausgreifendes Spiel, dem die oft leicht vorangehenden Bässe den Eindruck größerer Räumlichkeit verliehen. Unter Leitung des jungen, sehr ideenreich gestaltenden Belgiers Martijn Dendievel setzte Concerto Köln auch das Schlussstück, Schumanns „Rheinische“ Sinfonie, markant in Szene. Trennscharf in der Textur, stark in den Taktschwerpunkten und robust in der Tanzlaune verbreitete die Darstellung durchaus anschaulich den Charakter rheinischer Lebensfreude.

Weniger überzeugend waren zuvor drei Sätze aus Mendelssohns Schauspielmusik zum „Sommernachtstraum“ ausgefallen. Angesichts des arg verfilzten Streichergewebes in der Ouvertüre hob man schon verwundert die Brauen - schließlich saß hier ein international aktives Originalklang-Ensemble an den Pulten. Noch befremdlicher war das exzessiv eingesetzte Portamento, das sich in allen Werken wie Schmierseife über das romantische Melos legte. Mag sein, dass hier letzte Einsichten der historischen Aufführungspraxis verarbeitet wurden - aber das machte die Sache keineswegs genussreicher.

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