„Halloween Ends“Die Angst vor der Angst und der Spaß daran

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Jamie Lee Curtis

Köln – Michael Myers ist müde, und das ist nur zu verständlich. 2023 erreicht er offiziell das Rentenalter. Er wird 66; seit dem nie ganz geklärten Messermord an seiner allzu umtriebigen Schwester sind 60 Jahre vergangen. Andererseits drängen sich Fragen auf: Hat Michael, der Kerl mit der ramponierten Gesichtsmaske, das Altersteilzeit-Paket selbst geschnürt? Wie kann das absolut Böse plötzlich, nach so vielen Jahrzehnten voller Mord und Totschlag, müde werden? Stellt er jetzt einen Lehrling an, trainiert ihn in der Kanalisation der Kleinstadt Haddonfield und bereitet ihn auf seinen ersten Coup in der Halloween-Nacht vor? Genau das scheint er zu tun. Man hat schon von bescheuerteren Ideen gehört, eine Horrorserie am Leben zu halten. Aber es waren nicht viele.

Jamie Lee Curtis bekommt es mit zwei Finsterlingen zu tun

Jedenfalls bekommt es Myers’ ewige Gegenspielerin Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) plötzlich mit zwei Finsterlingen zu tun: mit Michael und dem Mittzwanziger Corey, der durch einen wirklich überraschenden Freak-Unfall an Halloween zum Mobbing-Opfer geworden ist, bis er Myers als seinen Mentor akzeptiert und in seiner Stadt zurücksticht. In „Halloween Ends“ gibt es einen Moment, in dem eine schwarze Masse durch Coreys Augen strömt. Ist da ein bisschen vom Elixier des Bösen weitergegeben worden?

Je länger man über die Story nachdenkt, desto blöder wird sie. Doch wenn eine Filmserie so lange läuft – 13 Teile in 44 Jahren! –, länger jedenfalls als alle vergleichbaren „Mord durch Messer/Hackebeil/Säge…“-Metzeleien à la „Freitag, der 13.“ oder „Prom Night“, dann muss es Gründe dafür geben, dass das Publikum nicht genug davon bekommen kann. Vielleicht verkörpert Myers in seiner Mischung aus reuelosen Morden und eigener Unauslöschbarkeit für viele eine verlässliche Größe, die mit dem Morden ebenso davonkommt wie mit dem Ermordet-werden.

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Nach John Carpenters bahnbrechendem Original von 1978, das die Gesetze des Horrorfilms umschrieb, waren die zwölf folgenden „Halloween“-Werke mehr oder weniger dämlich, die meisten mehr. Man darf nicht vergessen, dass Fortsetzungen Ende der 1970er – jenseits der 007-Abenteuer – viel verpönter waren als heute. Undenkbar, dass ein Regisseur wie Steven Spielberg eine Fortsetzung von „Der weiße Hai“ drehen würde. Auch Carpenter rümpfte bei jedem „Halloween“-Angebot nur die Nase. (Die Tantiemen versorgten ihn gut.) Erst als Spielberg entschied, niemanden an Indiana Jones ranzulassen und nach „Jäger des verlorenen Schatzes“ (1981) auch den „Tempel des Todes“ (1984) selbst zu inszenieren, änderte sich die Akzeptanz von Sequels – nur war „Halloween“ nach drei verbockten Fortsetzungen gerade mal wieder toter als Michael Myers’ Blick.

Statt nun einen klugen Kopf mit einer durchdachten Geschichte zu betrauen (wie etwa bei „Scream“, der zum Teil hinreißenden „Halloween“-Hommage von 1996), lieferten wahllos engagierte Autoren und Filmemacher lieblose Gemetzel ab, in denen tumbe Charaktere geradewegs in die monströsen Messer liefen, die Michael in jedem Haushalt fand. Selbst Laurie starb einmal auf diese Art, 2000 im achten Teil, bis heute der Tiefpunkt der Reihe. Also blieb für die Fortsetzungen über viele Jahre hinweg kein Motiv ähnlich nachvollziehbar wie jenes der Geldvermehrung. (Auch der Verfasser dieser Zeilen profitierte schamlos: „Halloween II“ war vor 40 Jahren der allererste Text für diese Zeitung – „Legitimierter Schabernack gerät zu Terror“ –, Verrisse zu anderen Teilen folgten.) Noch schlimmer wurde es bloß, wenn ein Filmemacher Amok lief, so wie Rob Zombie, der 2007 versuchte, die Myers-Familie als Poor White Trash darzustellen. Zu Mord und Totschlag kam banale Hausmannspsychologie. Aber auch diesen Fehlschlag überlebte die Serie.

Schließlich trat David Gordon Green auf den Plan und sorgte für zwei Überraschungen: Mit seinem „Halloween“ erklärte er 2018 die Teile zwei bis zehn für unzulässige Sünden und löschte sie aus der Geschichte; er erfand die Strode-Troika mit starken Frauen aus drei Generationen, die endlich zusammenwächst; und er war auch sonst bemüht, Carpenters Original stilistisch gerecht zu werden.

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In „Halloween Kills“ erlaubte er sich 2021 einen Schritt zur Seite und entwarf (sinnlose) Ideen über Myers’ Metaebene; und er wagte einen Schritt nach vorne, indem er (zumindest phasenweise) das ganze Städtchen in die Hatz auf Michael Myers einbezog. Das führte zu einem Lynchmob, den man sich jahrelang ausgemalt hatte – bis man sich für die Menschen von Haddonfield schämte, deren Fratzen ohne Masken besonders unangenehm wurden. Bei seinem dritten Anlauf macht Green nun ein paar Schritte zurück: Die Opfer werden zumeist wieder plump in Eins-Gegen-Eins-Situationen verstrickt, fast wie 1978.

Die einzige Angst, die von „Halloween Ends“ ausgeht, ist jene, ob man dem Filmtitel trauen kann

Aber das damalige Schockerlebnis ist durch nichts wieder herzustellen. Die Erinnerung an die Anfänge von Laurie und Michael sorgt hingegen immer noch für Gänsehaut. Carpenter inszenierte sein Original für den Spottpreis von 325.000 Dollar mit einer Eleganz, die man in diesem Genre nur alle Jubeljahre erlebt; hinzu kam diese furios-beklemmende, hypnotische Musik. Die Tatsache, dass Carpenter nicht gewillt war, psychologische Erklärungen zu liefern, dafür ganze Phasen der Stille zu überlassen, machte das Original nur noch verstörender. Regisseur Tom Tykwer („Babylon Berlin“) jubelte Anfang 1999 in der Filmzeitschrift „Steadycam“: „Je länger der Film dauert, desto deutlicher wird, dass es zuvorderst die Ruhe ist und nicht die Geschichte, die uns gefangen nimmt. Ein schwebendes, unsicheres Klima entsteht, ganz allmählich, und das geheime Herz dieses Klimas ist zugleich das eigentliche Thema dieses Films: die Angst. (…) Die Angst vor der Angst. Und, schließlich, über den Spaß daran.“

Die einzige Angst, die von „Halloween Ends“ ausgeht, ist jene, ob man dem Filmtitel trauen kann. Am Ende dieses ausgedehnten Werbespots für scharfe, lange Messer ruht der Blick der Kamera auf Michael Myers’ herrenloser, schwer zerzauster Maske. Wollen wir mal sehen, wer sie sich schnappt. Wollen wir wirklich?

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