„Hart aber fair“Historiker: „Impfpflicht hat schwere Nebenwirkungen“

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Prof. Dr. Malte Thießen (r) ist Medizinhistoriker und erforscht die Geschichte des Impfens. Er sprach sich in der Sendung gegen eine Impfplicht aus. 

Köln – Die Omikron-Welle der Corona-Pandemie bringt uns aktuell täglich neue Höchstwerte bei den Infektionszahlen und heizt die Debatte um eine mögliche Impfpflicht zusätzlich an. Die hoch ansteckende neueste Variante von SARS CoV 2 verursacht wohl weniger schwere Verläufe. Und wir wissen inzwischen: Eine Impfung schützt zwar vor schlimmer Krankheit, aber nicht sicher vor einer Ansteckung.

Thema des Abends: „In der Omikronwelle: Was bringt eine Impfpflicht?“

Wäre eine allgemeine Impfpflicht also überhaupt noch gerechtfertigt? Könnte sie das Pandemiegeschehen ausbremsen und uns eine Art neue Normalität mit Corona ermöglichen? Moderator Frank Plasberg diskutierte diese Fragen am Montagabend in seiner Sendung „Hart aber fair“ unter der Überschrift „In der Omikronwelle: Was bringt eine Impfpflicht?“.

Seine Gäste:

Alles zum Thema Hart aber fair

  • Malu Dreyer, SPD, Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz
  • Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion
  • Prof. Dr. Timo Ulrichs, Epidemiologe, Professor für internationale Not- und Katastrophenhilfe an der Berliner akkon Hochschule für Humanwissenschaften
  • Michael Bröcker, Journalist, Chefredakteur der Media Pioneer GmbH
  • Prof. Dr. Malte Thießen, Medizinhistoriker, erforscht die Geschichte des Impfens

Es ging nicht ums Impfen an sich. Dass der Piks gegen Corona das Mittel der Wahl ist, um aus der Pandemie herauszukommen, da waren sich Gäste und Moderator absolut einig. Bei ihm werde „auf wissenschaftlicher Basis“ diskutiert, stellte Plasberg gleich zu Beginn klar. Die Antwort auf Corona heiße Impfen. „Zu diskutieren gibt es da allenfalls wen und wann“, sagte der Moderator in seiner Einleitung.

Historiker gibt in „Hart aber fair“ Rückblick in die Pocken-Zeit

Aber soll der Staat seine Bürger zum Impfen verpflichten? In dieser Frage herrschte keine Einigkeit hinter den Rednerpulten und es wurde beherzt, wenn auch eher zahm diskutiert. Im Team Impfpflicht waren der Epidemiologe Ulrichs und SPD-Politikerin Dreyer. Dem Team Impfpflichtgegner gehörten der Journalist Bröcker und FDP-Politikerin Aschenberg-Dugnus an. Historiker Thießen beeindruckte mit seinem Exkurs in die Vergangenheit: Etwa in die Zeit vor 220 Jahren, als der Pocken-Impfstoff aus dem Eiter von Kuhpocken gewonnen wurde und Karikaturen die Angst der Menschen abbildeten, durch die Impfung zu halben Kühen zu werden.

Thießen sortierte sich dennoch ins Team Bröcker/Aschenberg-Dugnus ein. Seine Begründung: „Die Impfpflicht hat vier schwere Nebenwirkungen.“ 1. Sie mobilisiere auch jene, die durchaus fürs Impfen seien, aber andere Ängste hätten. „Dann verliert man die, mit denen man durchaus reden könnte.“ 2. Sie sei „ein stumpfes Schwert“. Sanktionen brächten nichts, wer sich partout nicht impfen lassen wolle, werde die Strafe zahlen. 3. Das Fälschungswesen werde florieren. „Und das ist nicht nur ärgerlich, sondern auch eine große Gesundheitsgefahr“, sagte Thießen. Und 4.: „Eine Impfpflicht ist eine Kultur des Misstrauens und bricht mit dem, was eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik ist, nämlich Freiwilligkeit.“

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Zu Beginn der Sendung spielte Frank Plasberg ein Zitat von Anthony Fauci ein, dem medizinischen Chefberater des US-Präsidenten. Der hatte gesagt: „Omikron wird letztlich fast jeden finden.“ Im Verlauf der Sendung untermauerte der Moderator diese Theorie noch mit der brandaktuellen Meldung, dass bei der Handball-EM nun sieben der deutschen Nationalspieler positiv getestet worden seien. Macht das die Impfpflicht überflüssig? Weil sich die breite Immunisierung so quasi von selbst einstellen wird? Hier unterschieden sich die Schlussfolgerungen der beiden Meinungsblöcke wie folgt:

Befürworter und Gegner der Impfplicht ziehen ihr Resümee

Team Impfpflicht war der Ansicht: Nein, denn die Impflücke ist in Deutschland noch zu groß. „Zehn Millionen Ungeimpfte sind ein zu großes Risiko“, betonte Dreyer. „Durchlaufen wäre eine Möglichkeit, wenn wir eine jüngere Bevölkerung hätten oder eine besser immunisierte“, befand Ulrich, so hingegen gelte: „Wir brauchen die Impfpflicht, es ist der einzige Weg, um aus der Pandemie herauszukommen.“ Dabei hat er den Blick in Richtung Herbst gerichtet auf mögliche neue Virus-Varianten, über die aktuell niemand sagen kann, welcher Art sie sein werden. Möglich sei, dass sich die für den Menschen schädlichen Aspekte von Omikron und Delta verknüpfen – dann hätten wir wohlmöglich ein sich rasant ausbreitendes Virus, das klinisch schwere Krankheitsverläufe auslöst. Und alles ginge von vorn los, wenn nicht genügend Menschen im Land geimpft sind.

Team freiwilliges Impfen meinte: Mehr impfen ja, aber nicht per Anordnung. Journalist Bröcker empfindet die Impfpflicht als „Panikreaktion der Politik“ eine „überstürzte Aktion“, obwohl die Endphase der Pandemie doch möglicherweise bereits erreicht sei. Er ist überzeugt: „Wir müssen einfach mit dem Virus leben lernen.“ Und für FDP-Politikerin Aschenberg-Dugnus steht fest: „Sie können nicht mit einer Pflicht Ängste nehmen.“ Sie präferiere daher ein Anreiz-System. Freier Eintritt, Bratwurst für lau, eine kostenlose Jahreskarte für den Lieblingsklub. Zumal: „Es ist ja nicht so, dass, wenn wir eine Pflicht hätten, plötzlich alle geimpft wären.“

Nun führt der Bundestag in der kommenden Woche eine „Orientierungsdebatte“ zum Thema Impfpflicht. Die Impfquote muss hoch, so viel steht fest. Doch der Weg dorthin ist derart umstritten, dass es im Parlament wohl ein wenig hitziger zugehen wird als am Montagabend bei Plasberg.  

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