Historiker Arnold AngenendtTod eines großen Forschers und Lehrers

Arnold Angenendt, 1934 bis 2021
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Köln – Es spricht für die Ausstrahlung eines Wissenschaftlers, wenn ihm ein Spitzname anhängt. „Nöll“, so nannten Freunde und Mitbrüder den katholischen Kirchenhistoriker Arnold Angenendt. Wer den blitzgescheiten Geistlichen dozieren hörte, wusste sofort, wieso.
Das niederrheinische Idiom des 1934 in Asperden bei Goch geborenen Bauernsohns verlor sich auch in jahrzehntelanger Lehrtätigkeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster nicht.
Vorlesungen waren Kult
Seine Vorlesungen als Professor in den Jahren von 1983 bis 1999 waren Kult. Das vermeintlich graue Fach Kirchengeschichte geriet bei ihm zu einem Abenteuer-Trip in geistige, soziokulturelle und religiöse Landschaften vergangener Jahrhunderte. Als einer der ersten Vertreter seines Fachs machte er die französische „Annales“-Schule und die „Nouvelle histoire“ für die kirchengeschichtliche Forschung fruchtbar.
Die Frage, ob Kirchengeschichte Theologie sei, beantwortete Angenendt in seiner Arbeit immer damit, dass dogmatische Vorgaben, etwa zum Wesen der Kirche, nicht den historischen Befund bestimmen können. Wenn die Kirchengeschichte, namentlich die katholische, als Disziplin heute Gesprächspartnerin auf Augenhöhe sei, dann sei das wesentlich Angenendts Verdienst, sagte die Bonner Kirchenhistorikerin Gisela Muschiol, zum 80. Geburtstag ihres Lehrers.
Für Kirchenbashing nicht zu haben
Für Apologetik war Angenendt jedenfalls nie zu haben, für einseitiges Kirchenbashing aber auch nicht. Sein Buch „Toleranz und Gewalt“ (2007) ist eine Antwort auf das Verdikt des Philosophen Herbert Schnädelbach über das Christentum als blutrünstige, intolerante Religion. Angenendt weist bei Reizthemen wie den Kreuzzügen, Inquisition, Hexenverbrennung oder Judenpogromen zahlreiche Mythenbildungen nach, die der Wirklichkeit nicht gerecht werden.
Der Arzt, Theologe und Bestseller-Autor Manfred Lütz hat 2018 aus dem 800-Seiten-Werk eine Art „Volks-Angenendt“ unter dem Titel „Der Skandal der Skandale“ destilliert, dessen Entstehung der an Parkinson erkrankte Ideengeber noch begleitend verfolgte.
Akt der Emanzipation
„Wo immer ich auftrete, begegne ich Entgegnungen von der Art: »Sie wollen doch wohl nicht behaupten, dass . . .«“, erzählte Angenendt einmal in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er erkläre sich das mit einer Emanzipation von der Kirche, bei der viele Zeitgenossen zu den anscheinend plausiblen Argumenten einer »Kriminalgeschichte des Christentums« gegriffen hätten.
Diese Argumente seien dann „unantastbarer als das Credo“. Dennoch, so Angenendt, „ist zu sagen, was die wissenschaftliche Forschung erarbeitet hat“.
Akribie und Leidenschaft
Es ist zu sagen. Das erinnert nicht von ungefähr an den großen protestantischen Kirchenhistoriker Leopold von Ranke und dessen Anspruch an größtmögliche Objektivität des Historikers. Ihm folgte auch Arnold Angenendts unübertroffenes Hauptwerk „Die Geschichte der Religiösität im Mittelalter“ (erste Auflage 1997). Es brachte das Licht einer vermeintlich finsteren Epoche neu zum Vorschein.
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Und auch in dieses Buch ging ein, was Angenendt auszeichnete: intensives Quellenstudium mit ans Obsessive grenzender Akribie und Leidenschaft für das Sujet. Faulheit – Denkfaulheit zumal – war ihm ein Gräuel. Das machte er seinen Studierenden notfalls auch in gebührender Deutlichkeit klar.
2015 erschien Angenendts Buch „Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum“. Hier forderte er unter anderem, den Pflichtzölibat und die katholische Sexualmoral zu überprüfen. Drei Jahre später kam unter dem programmatischen Titel „Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Toleranz in der Geschichte des Christentums“ ein weiteres – letztes – Buch heraus.
Prediger mit Fangemeinde
Als Priester und Seelsorger trat Angenendt vor allem in der Münsteraner Dominikanerkirche in Erscheinung, wohin seine weit über die Universität hinausreichend Fangemeinde sonntags pilgerte.
Auf seiner Grabplatte wollte Angenendt die Worte stehen haben: „Hier ruht einer, der fortwährend gutachten musste. Mögest du, oh Herr, ihn nicht schlecht achten.“ In der Nacht zum Montag, drei Tage vor Vollendung seines 87. Lebensjahrs, ist Arnold Angenendt in Münster gestorben.