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Internationale Photoszene KölnWofür dieses Festival in Erinnerung bleiben wird

4 min
Jemand hält eine alte Postkarte ins Bild. Man erkennt, dass beide Aufnahmen einer Straße denselben Ort zeigen, nur im Abstand von über 100 Jahren.

Zwischen den Aufnahmen liegt mehr als ein Jahrhundert: „Negishi Mississippi Bay“ (2023)

Das Kölner Fotografie-Festival startet mit 80 Ausstellungen, darunter eine Geschichtsbeschwörung mit NS-Archivalien. 

Ein wenig haben sie sich im Kölner NS-Dokumentationszentrum schon über das erschrocken, was Pablo Lerma mit den ihnen anvertrauten Archivalien plante. Jedenfalls hatten sie etwas ganz anderes erwartet, so Annemone Christians-Bernsee, die stellvertretende Direktorin. Statt sich einige Fotografien aus der Sammlung des NS-DOK herauszugreifen und damit zu arbeiten, wollte sich der spanische Medienkünstler lieber dabei filmen, wie er sämtliche Kisten im Archiv des Hauses öffnet.

Pablo Lerma inszeniert ein Zeremoniell im NS-DOK

Am Ende konnte Lerma das NS-DOK von seiner Idee überzeugen, die in hunderten Kisten verschlossen Geschichten von Opfern wie Tätern des NS-Regimes in einer Performance, die man mit gleichem Recht eine Zeremonie nennen könnte, ans Licht zu bringen oder auch zu bannen. Das Video der Geschichtsbeschwörung dauert 14 Stunden, 15 Minuten und 59 Sekunden, und allein daraus kann man schließen, dass sich Lerma den Boxen mit der Vorsicht eines Menschen näherte, der mit wertvollen historischen Erinnerungen, aber auch mit giftigen Stoffen arbeitet.

Manche Besucher des am Freitag beginnenden Kölner Photoszene-Festivals werden sich vielleicht fragen, was Lermas Videoperformance noch mit klassischer Fotografie gemeinsam hat. Aber solche Irritationen sind offenkundig nichts, was die Photoszene-Kuratoren um Heide Häusler beunruhigt. Im Gegenteil: Im Kernprogramm der Photoszene, der „Artist meets Archive“-Reihe, trifft man die alte Photographie, von der sie sich den Namen leiht, nur noch als Spielart der Foto-, Digital-, Konzept- oder Multimediakunst. Der Qualität der Arbeiten muss das keinesfalls abträglich sein. Aber ganz sollte das Festival die Fotografie nicht in den Kunstbereich auslagern.

Die Photoszene bietet mehr als 80 Ausstellungen in Köln

Vor dem Photoszene-Auftakt würdigte Kölns Kulturdezernent Stefan Charles das Festival als einzigartige Einrichtung, die, wie sonst niemand in Köln, städtische Institutionen, Hochschulen, die freie Szene und Galerien vereine. Tatsächlich käme das Festival ohne die vielen eigenständigen Beiträge von Galerien und Ausstellungsräumen schwerlich auf die stattliche Zahl von mehr als 80 Ausstellungen; eigene Produktionen sind neben den vier „Artist meets Archive“-Projekten die „Co-Labs“, die sich in der Michael-Horbach-Stiftung, der Temporary Gallery und in den Kunsträumen der Eberplatz-Passage aktuellen Themen wie „Klimakollaps“ und Körperbildern widmen. Auf diese Weise, so Heide Häusler, verbinde die Photoszene Vergangenheit und Gegenwart des Mediums.

Das Festivalzentrum ist in diesem Jahr das Rautenstrauch-Joest-Museum, in dem bis zum 21. Mai, dem offiziellen Festivalende, eine Vielzahl von Veranstaltungen stattfinden. Weit über dieses Datum hinaus bleibt die im RJM gezeigt Archivausstellung der südafrikanischen Künstlerin Lebohang Kganye geöffnet. Wie Lerma wurde sie vom Festival eingeladen, sich der fotografischen Sammlung eines Kölner Museums zu widmen, und wie Lerma empfand auch Kganye diese Aufgabe als „schwierig“, wenn nicht als Bürde. Schließlich speist sich die Fotosammlung des RJM vornehmlich aus historischen Aufnahmen, die weiße „Kolonialherren“ von der unterdrückten indigenen Bevölkerung machten.

Wem gehören die kolonialen Fotografien in den Museen?

Es ist keine geringe Frage, wem diese Bilder gehören, und ob sie, ähnlich wie die Benin-Bronzen, als Raubgut an ihre rechtmäßigen „Besitzer“, die Abgebildeten, oder deren Heimatländer zurückgegeben werden sollten. Lebohang Kganye beantwortet sie auf Umwegen, indem sie Zeichnungen und Fotografien der deutschen Afrikareisenden Marie Pauline Thorbecke in Dioramen und einem großen Videopanorama verfremdet. Während in den Bühnenbildern der koloniale Blick symbolisch und buchstäblich um zusätzliche Dimensionen erweitert wird, verdeckt Kganye die nebeneinander aufgereihten Landschaften Thorbeckes im breit gefächerten Panorama nach und nach mit eigenen Filmaufnahmen. Menschen bewegen sich langsam von Bildschirm zu Bildschirm und schieben Kganyes Überschreibungen dabei vor sich her.

Deutlich unbefangener konnte sich der japanische Fotograf Naoya Hatakeyama den Landschaftsaufnahmen nähern, die Adolf und Frieda Fischer, Gründer des Kölner Museums für Ostasiatische Kunst, von ihren Reisen durch Japan heimbrachten. Sie gehören zu jener Sorte touristischer Ansichtskarten, die in den 1890er Jahren auch bei Japanern sehr beliebt waren, nicht zuletzt, weil sie die klassischen Motive handkolorierter Farbholzschnitte einerseits virtuos nachahmten und zugleich an Lebensechtheit übertrafen.

Für Hatakeyama ein schönes Beispiel dafür, wie die Fotografie zum Leitmedium unserer Erinnerungen wurde, indem sie die Sehnsucht nach haltbaren Souvenirs bediente. Seine Arbeit im MOK verblüfft mit Einfachheit und Charme: Er ist an die Orte historischer Aufnahmen gereist, hat die Ansichten „aktualisiert“ und seine Bilder gemeinsam mit den Vorbildern als Postkarten vervielfacht. Hatakeyama Ausstellung passt in zwei Bilderständer und wird den Besuchern gerade deswegen in Erinnerung bleiben.


„Internationale Photoszene“, mehr als 80 Ausstellungen, diverse Spielorte in Köln, 12. bis 21. Mai