Interview mit Sabine Töpperwien„Das ist nicht mein Fußball, so wie ich ihn liebe“

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Radioreporterin Sabine Töpperwien geht nach 35 Jahren beim WDR in den Ruhestand 

Radioreporterin Sabine Töpperwien geht nach 35 Jahren beim WDR in den Ruhestand 

  • Die Radioreporterin Sabine Töpperwien geht nach 35 Jahren beim WDR in den Ruhestand. Ein Gespräch über Geisterspiele, ihre Rolle als Pionierin und ihren Lieblingsklub.

Frau Töpperwien, was ist eigentlich so besonders an einer nach Schweiß müffelnden Männerkabine? Sabine Töpperwien: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Otto Rehhagel hatte mich – es muss 1987 oder 1988 gewesen sein – bei einem Interview abblitzen lassen, weil er meinte, ich sei noch nie in einer nach Schweiß riechenden Männerkabine gewesen. Für ihn war das wohl eine Art heiliger Ort, wo Tacheles geredet, Geheimnisse bewahrt und zu dem Frauen niemals Zugang haben werden. Mit anderen Worten: Von Fußball hat die keine Ahnung.

Hat Sie das getroffen?

Ja. Ich war damals 27 Jahre alt, neu im Job, er als Trainer von Werder Bremen schon eine Ikone. Das Rehhagel-Beispiel war ja nur die Spitze des Eisbergs. So etwas habe ich gerade zu Beginn meiner Karriere häufiger erlebt. Übrigens 1990 auch mit Christoph Daum, damals Trainer beim 1. FC Köln. Der musterte mich von oben bis unten und sagte dann: „Schicken Sie mir Töppi. Mit Ihnen rede ich nicht über Fußball.“

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Er meinte Ihren Bruder Rolf, ebenfalls ein berühmter Kommentator, der lange fürs ZDF gearbeitet hat.

Richtig. Er ist zehn Jahre älter als ich und war mir immer ein wichtiger Ratgeber. Als ich entschieden habe, nicht Lehrerin, sondern Fußballkommentatorin zu werden, hat er mir gepredigt: Wenn Du das wirklich willst, darfst Du nicht zart besaitet sein. Die Leute werden Dir von vorneherein mit Misstrauen und Unverständnis begegnen. Darauf musst Du mental vorbereitet sein.

Sie haben die Zweifler längst eines Besseren belehrt. Sie waren die erste Frau, die ein Bundesligaspiel der Männer live kommentiert hat, insgesamt waren es mehr als 700. Zuhörer wie Kollegen nennen Sie eine Legende. Jetzt gehen Sie in den vorzeitigen Ruhestand. Warum?

Ich scheine mit meinen Sehnen und Nerven nicht ganz so stabil ausgerüstet zu sein. Ich hatte schon früher kleinere Probleme damit. Während Corona und der Arbeit am PC wurde es schlimmer. Ich hatte Ansätze von Lähmungserscheinungen und Blockaden. Das habe ich in den Griff bekommen. Geblieben aber ist die Überlastung und Reizung. Es ist nicht operabel. Die Ärzte sagen, wenn ich die Computerarbeit lasse, dann wird das wieder. Aber ich bin ja in erster Linie Chefin des WDR-Sportcampus und sitze 80 Prozent der Arbeitszeit vor dem Computer. Ich habe 35 Jahre lang mit Vollgas gearbeitet. Dann lieber jetzt gehen und Platz machen für die nächste Generation.

Dabei hatten Sie nicht einmal ein echtes Abschiedsspiel. So kann eine Legende doch nicht abtreten.

So etwas Ähnliches hat meine Redaktion auch gesagt. Aber im Moment möchte ich das nicht. Ich bin eine Reporterin voller Emotionen und Leidenschaft. Ich brauche das Publikum im Stadion, da muss ein Hexenkessel sein. Ohne Fans ist die Atmosphäre in den Stadien trostlos. Das ist nicht mein Fußball, so wie ich ihn liebe. Aber sollten irgendwann wieder Zuschauer ins Stadion dürfen und sollte der FC nicht absteigen, möchte ich noch einmal Köln gegen Bayern kommentieren. Das wäre toll.

Warum sind Frauen als Fußballkommentatorinnen noch immer exotische Erscheinungen?

Eines habe ich gelernt: Der Fisch stinkt vom Kopf her. Entscheidungsträger sind meistens noch immer Männer. Sie besetzen Frauen höchstens als Alibi oder weil Sie von oben Druck bekommen. Dadurch bleiben Frauen weiter Fremdkörper. Weil Fußball in Deutschland aber so wichtig ist, wollen das Männer am liebsten selbst machen.

Wenn man mit Frauen spricht, die in Männerdomänen Karriere gemacht haben, gleichen sich die Erzählungen in einer Hinsicht: Es war oft ein Weg des Belächelns, der Demütigungen und Entwürdigungen.

Ich empfinde das als Trauerspiel. Als Ausdruck unserer gesellschaftlichen Probleme. Ich bin an sich kein Fan der Frauenquote, weil ich finde, dass es um Leistung gehen muss und nicht um das Geschlecht. Auch wenn es bitter ist: Vielleicht braucht es vorübergehend die Frauenquote, um die Dinge in die richtige Richtung zu lenken. Ich appelliere an die Entscheidungsträger, offener und mutiger zu werden und Frauen zu unterstützen. Erst dann werden Ressentiments abnehmen.

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Offenbar hat man Sie bereits erhört. Die ARD will Ihnen zu Ehren das WM-Finale 2022 im Radio von einer Frau kommentieren lassen.

Ich hatte schon oft gesagt, dass ich das nicht mehr erleben werde. Umso mehr freue ich mich, dass es jetzt so schnell passiert – und das bei der WM 2022 und auch schon bei der EURO.

Bei der EM 2016 gab es einen üblen Rückfall in vergangen geglaubte Zeiten. Claudia Neumann durfte im ZDF als erste Frau im Fernsehen ein Männerspiel kommentieren. Danach wurde sie mit sexistischen Sprüchen attackiert. Hätten Sie das für möglich gehalten?

Nein, ich war entsetzt. Ich dachte, dass wir im Hinblick auf Gleichberechtigung, Fairplay und Umgang miteinander weiter sind. Zugleich war ich begeistert, wie sich das ZDF bedingungslos hinter sie gestellt hat. So muss das sein.

Die ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein hat in einer Hommage an Sie geschrieben, eine Mischung aus Naivität und Unbekümmertheit hätte Ihnen geholfen, sich der Empörungswelt zu entziehen. Würden Sie sich das zuschreiben?

Nein, aber ich musste sehr darüber schmunzeln. Meine Naivität und Unbekümmertheit habe ich 1985 in einer Redaktionssitzung des NDR abgelegt, als man mir sagte, dass ich besser Rhythmische Sportgymnastik kommentieren solle, aber auf keinen Fall Fußball. „Sie sind doch eine Frau“, sagte der Chef.

Was ging da in Ihnen vor?

Mir wurde heiß und kalt. Ich war damals 25 Jahre alt. Ich bin typische Waage-Frau, harmoniebedürftig, ausgleichend und nicht krawallig. Ich habe die Faust in der Tasche geballt und gesagt: „Tut mir leid, ich habe keine Ahnung von Rhythmischer Sportgymnastik. Das ist ja ganz toll, was die Frauen können mit Keule und Band. Aber wenn Sie eine Frau suchen für typische Frauensportarten, dann bin ich nicht die Richtige.“ Wir haben uns dann erstmal auf Hockey geeinigt.

Es heißt, sie hätten als Jugendliche Fußballspiele mit Hilfe eines Sprungseils kommentiert.

Ich interessiere mich für Fußball seit Anfang der 1970er Jahre. Früher habe ich mit dem Kofferradio die Bundesliga verfolgt und kommentiert. Das Sprungseil war mein Mikrofon. Damals war die große Zeit des FC Bayern München, und so wurde ich Bayern-Fan. Zum Leidwesen meines Bruders, der immer ein Herz für die Kleinen hatte. Ich habe jeden Samstag direkt nach den Spielen die Tabelle handschriftlich in einem großen dicken Buch ausgerechnet. Mein Ehrgeiz war, schneller zu sein als damals Kurt Brumme im WDR.

Die Bayern, wirklich?

Ich habe darüber eigentlich nie wirklich gesprochen. Als Reporterin muss man ja objektiv sein und sollte nicht damit hausieren gehen, für wen man privat fiebert. Sepp Maier und Franz Beckenbauer waren meine Superidole. Ich hatte die Ehre, beide 2019 im Deutschen Fußballmuseum kennenzulernen und mich mit ihnen auszutauschen. Ich hatte als Jurymitglied die Jahrhundertelf mitgewählt. Wir haben zusammen Fotos gemacht, die jetzt in meinem Büro hängen. Da ist für mich ein Traum in Erfüllung gegangen. Von den Bayern habe ich immer Unterstützung und Wertschätzungen erhalten. Da gab es nie was anderes.

Zur Person

Sabine Töpperwien, 1960 in Seesen im Harz geboren, ist die erste Frau, die in Deutschland ein Fußballspiel live kommentiert hat. Nach ihrem Studium der Sportwissenschaften fing sie 1989 beim WDR an, dessen Sportchefin Töpperwien seit 2001 ist. Im Radio berichtete sie von Hunderten Fußballspielen sowie von acht Olympischen Spielen. (red)

Dann dürfte das Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund 2013, von dem Sie aus Wembley berichtet haben, eine besondere Herausforderung für Sie gewesen sein.

Neben dem UEFA-Cup-Sieg der Schalker gegen Inter Mailand 1997, das ich zusammen mit Manni Breuckmann kommentiert habe, war es sicher eines meiner ganz großen Spiele. Ein deutsch-deutsches Finale hatte es noch nie gegeben. Dann noch im heiligen Wembley-Stadion. Mir ist das Herz aufgegangen. Da muss man sich schon zusammenreißen, gerade hinsetzen und sagen: Jetzt funktionierst Du. Übrigens hat mir nie jemand vorgeworfen, dass ich da parteiisch gewesen wäre. Ich habe bei allen Toren gleich laut reportiert.

Wie man hört, schwärmen Sie auch für Thomas Müller?

Für mich ist er das Synonym für das „Mia san mia“ des FC Bayern. Er ist ein Weltklassefußballer, aber auch ein fantastischer Mensch. Er ist ein Teamplayer, ein Kämpfer, will immer gewinnen, zerreißt sich. Er hat die schwere Zeit unter Pep Guardiola weggesteckt, ohne öffentlich schmutzige Wäsche zu waschen. Und seit man mangels Publikum im Stadion alles hören kann, hat er sich den wunderbaren Spitznamen „Radio Müller“ erworben. Er sendet ununterbrochen. Das ist natürlich meine Welt.

Man könnte meinen, ein Mann für die Nationalmannschaft...

Dass er dort ausgebootet wurde, geht gar nicht. Ich schätze Jogi Löw als Bundestrainer, aber die Nummer verstehe ich bis heute nicht.

Sie kommen aus dem Harz und wohnen seit 1989 in Köln. Wie stehen Sie zum 1. FC Köln?

Er steht mir nah, und ich leide auch mit. Es ist fantastisch in diesem Stadion, auch für uns Radioreporter. Man sitzt so dicht dran. Die Zeit vor dem Spiel wird in Deutschland nirgendwo so schön inszeniert wie beim FC. Wenn ich daran denke, bekomme ich Gänsehaut. Der Verein hat etwas Magisches. Traurig ist aber auch, dass es hinter den Kulissen immer wieder rumort. Zu viel Kleinkrieg, zu viel Eitelkeiten. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich dieser Traditionsverein, ohne den diese Stadt nur halb ist, stabilisiert.

Jetzt bitte noch ein Blick in die Glaskugel. Wird der FC absteigen?

Schalke wird es nicht schaffen. Bielefeld wird sich retten. Und der FC auch.

Das Gespräch führte Christian Parth

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