Interview mit Wim WendersStar-Regisseur zu Besuch bei Filmstudenten in Köln

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Wim Wenders mit Studierenden der Kölner Filmschulen, die an seinem Seminar teilnahmen

Wim Wenders mit Studierenden der Kölner Filmschulen, die an seinem Seminar teilnahmen

  • Der Regisseur Wim Wenders war in Köln zu Besuch, um einen Meisterkurs für Studenten der Kölner Filmschulen zugeben.,
  • Ein Gespräch mit ihm über das Thema seines Seminars, Ortssinn, und die Bedeutung von Filmhochschulen für die Filmkunst.

In einem alten roten Bus, einen „Salon Bus“, Baujahr 1965, fuhr der Filmemacher Wim Wenders mit Studenten der beiden Kölner Filmschulen durch die Stadt. Wenders, längst eine Legende seines Fachs, und der Nachwuchs der Internationalen Filmschule (ifs) und der Kunsthochschule für Medien (KHM) unterwegs auf der Suche nach dem Ortssinn: „A Sense of Place“, so war auch das Seminar überschrieben, das im Bus, auf Kölns Straßen, in der Aula der KHM und im Kino der ifs stattfand, und so heißt auch ein gut halbstündiger Film über dieses Zusammentreffen zwischen dem Regisseur und den Studierenden, den man online anschauen kann.

Eine zentrale Rolle spielte Wenders’ Spielfilm „Der Himmel über Berlin“, ein elegisches Drama aus dem Jahr 1987 und damit aus der noch geteilten Stadt, das ohne Drehbuch, aber mit einem großen Sinn für die Orte entstand – die Staatsbibliothek, den Hochbunker Pallasstraße, die Siegessäule, den Potsdamer Platz, damals die leere, wüste Mitte der Stadt – überhaupt für das Niemandsland, das dem damaligen Berlin einen Charakter verlieh, wie er in anderen Städten wohl kaum anzutreffen war. Wir haben Wim Wenders nach seinen Erfahrungen mit der Kölner Masterclass befragt, die die Wim Wenders Stiftung auf Initiative ihrer Kuratoriumsvorsitzenden Petra Müller, der Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung NRW, initiiert hat.

Herr Wenders, kann man Ortssinn überhaupt lernen?

Alles zum Thema Film und Fernsehen

Gute Frage. Ich weiß nur, dass man ihn verlernen kann, und dass die Menschen diesen Sinn alle einmal besser beherrscht haben. Der Ortssinn war einmal richtig überlebenswichtig und hat Fragen beantwortet wie: „Wo soll man sich niederlassen? Wo lauert hier Gefahr? Wo ist hier Wasser? Wie ist dieser Ort zu den Himmelsrichtungen ausgerichtet? Was wächst hier? Wie spielen hier die Jahreszeiten hinein? Wie weit sind andere Orte entfernt, mit denen wir Kontakt behalten wollen? Welche Erfahrungen, die wir an anderen Orten gemacht haben, sind uns hier dienlich? Oder sollen wir nicht besser gleich weiterziehen, weil sich das hier nicht gut anfühlt?“ Et cetera, et cetera

Und heute?

Inzwischen haben sich viele solche Fragen für den Einzelnen erübrigt, weil wir sie weitgehend an Institutionen oder Obrigkeit abgegeben haben, sodass dieser Einzelne, wenn er an ihm nicht bekannte Orte kommt, verloren dasteht und zu seinem Smartphone greifen muss, selbst um die Himmelsrichtungen zu bestimmen. Wer kann schon noch Pflanzen bestimmen und einen Ort „lesen“ beziehungsweise erspüren, was er „gespeichert“ hat und „erzählen“ könnte?

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Berichten Sie von Ihrer eigenen Erfahrung mit Ortssinn.

Ich habe einmal einen australischen Architekten kennengelernt, weil er einer seiner Vorlesungen denselben Titel gegeben hat wie ich: „A Sense of Place“. Der Mann heißt Glen Murcutt und baut in meinen Augen die schönsten und einfachsten Häuser, die man sich nur vorstellen kann. Ich habe auch in zweien von ihnen dann einmal wohnen können, beide im australischen Outback. Auf meine Frage an ihn, warum er denn nie irgendwo anders gebaut hätte als in Australien, hat er gesagt: „Woanders, zum Beispiel in Deinem Land, müsste ich erst zehn Jahre leben, bevor ich da ein Haus bauen könnte. Ich müsste das Klima verstehen, die Jahreszeiten, die Natur, die Insekten, und auch die Menschen in Deinem Land, bevor ich mir zutrauen würde, dort einen kompetenten Ortssinn zu haben. Ohne den kann ich nicht bauen.“ Aber, um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich denke schon, dass jemand seinen Ortssinn heute noch schärfen kann, einfach, indem man ihn sich wieder vor Augen führt, selbst wenn es nur das Manko ist, das man erst einmal spürt. Den Mangel daran zu begreifen, ist schon ein erster Schritt, ihn wieder zu erlernen.

Welche Rolle spielte Ihr Film „Der Himmel über Berlin“ bei der Masterclass, und warum haben Sie diesen Film ausgewählt?

Wir hatten diesen Film ausgesucht, weil er durchaus beispielhaft für das Thema ist. Der Film wurde aus Liebe zu dieser Stadt gemacht, als eine Hommage an sie, wenn Sie so wollen. Er bezog sich auf alle Orte, die ich dort mochte, und die ich wochen- und monatelang gesucht und immer wieder besucht habe, und aus der Kenntnis dieser Orte heraus ist der Film dann entstanden. Wir hatten ja nie ein richtiges Drehbuch dafür, und im Grunde ist er Tag um Tag erfunden worden, und zwar immer aus den Straßen, Häusern und Plätzen heraus. Die Stadt war Co-Autor, mehr als in jedem anderen meiner Filme.

Sie haben schon manches Roadmovie gedreht? Welche Erfahrungen konnten Sie nun bei Ihrem Masterclass-Roadmovie sammeln?

Zum Beispiel: Dass man, wenn man an einem kalten Tag mit vielen Menschen in einem alten Bus losfährt und dreht, dieser dann ganz schnell von innen beschlägt und man von außen nichts mehr sieht, auch wenn man doch gerade das zeigen wollte, was draußen vorbeizieht.

Zur Person

Wim Wenders wurde 1945 in Düsseldorf geboren. Er ist einer der einflussreichsten deutschen Regisseure, zudem ist er Fotograf. Ursprünglich wollte er Maler werden. Er gehört zu den Protagonisten des Neuen deutschen Films und Mitbegründern des Filmverlags der Autoren. Die Düsseldorfer Wenders Stiftung versammelt sein Werk, zu dem Filme wie „Paris, Texas“ und „Der Himmel über Berlin“ zählen. (F.O.)

Eine grundsätzliche Frage zur Filmausbildung: Hat sich der Film durch den intensiven Ausbau der Ausbildung in den vergangenen Jahren verändert? In welcher Hinsicht?

Es gibt in Deutschland jetzt mehr als eine gute Handvoll Filmhochschulen, an denen man richtig was lernen kann, und die einen nicht unvorbereitet in die Filmlandschaft entlassen. Ich rechne die beiden Kölner Hochschulen dazu, die ifs und die KHM. Trotzdem bleibt ein altes Prinzip erhalten, das ich in meiner eigenen Studienzeit an der HFF in München gelernt habe und das ich auch später als Professor an der HfbK in Hamburg bestätigt gesehen habe: Als Filmstudent lernt man am meisten von seinen Mitstudenten und beim gemeinsamen Machen. Da kann einem noch so viel als Lernstoff angeboten werden, die wichtigen Sachen lernt man, indem man sich mit anderen zusammentut und gemeinsam einen Film macht. Vor allem lernt man dabei, dass Filmen keine einsame Tätigkeit ist, sondern ein kollektiver Prozess. Gut, heute können auch Einzelkämpfer mit digitalen Mitteln selbst und allein drehen, selbst schneiden et cetera, aber das ist dann letzten Endes auch schon wieder ein Verlust, (siehe Ortssinn oben,) nicht nur ein „Gewinn“.

Der Film „A Sense of Place“ ist zu sehen unter den Internetadressen:

www.khm.de

www.filmschule.de

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