Der verstorbene Kasper König blickt in einem „A bis Z“ auf sein Leben zurück und hinterlässt uns einen Leitfaden für die Zukunft.
Kasper Königs MemoirenVom Hölzchen übers Stöckchen zum Wahren und Schönen

Kasper König im Jahr 2012 in seinem Büro im Kölner Museum Ludwig
Copyright: Michael Bause
Kasper König war ein Ereignis, das sich schwer in Worte fassen ließ. Oft genug lautete „Zurücklehnen und genießen“ die Devise, während man in Gedanken die Stellen markierte, an denen man später beim Abtippen des Interviews in den sprudelnden Gedankenfluss steigen würde. Am Ende wusste König wohl selbst nicht immer, wie er dorthin gelangt war, wo er hinwollte. Aber allein das war ein Vergnügen: ihm dabei zuzusehen, wie er vom Hölzchen übers Stöckchen zum Wahren und Schönen kam.
Im Grunde kann man sich Kasper Königs Lebenserinnerungen kaum anders als in gesprochener Sprache vorstellen – aber welcher Eckermann wäre dieser Aufgabe gewachsen? Zum Ghostwriter seiner selbst wollte König gleichwohl nicht werden, wie die Herausgeber seiner jetzt erschienenen „Lebenscollage“ versichern; dies wäre ihm zu wichtigtuerisch erschienen. Stattdessen arbeitete er bis kurz vor seinem Tod im August vergangenen Jahres an einem „A bis Z“, einer „Wundertüte“ in Form eines alphabetischen Buches, das, wie unter „W“ zu lesen ist, überraschen soll, „egal wo man es aufschlägt“.
„Wundertüte“, diesen Spitznamen, so König, hätten ihm in den 80er Jahren seine Studenten an der Kunstakademie in Düsseldorf verliehen, was ihm offenbar so gut gefiel, dass man seine Buchidee auch als Konzeption eines gelungenen Lebens lesen kann: „Eine Mischung aus Privatem und Öffentlichem, Ernstem und Lustigem und Banalem, aber hoffentlich nie Langweiligem.“ Vielleicht war dies Königs wahres Erfolgsgeheimnis: Westfälische Bodenständigkeit, gepaart mit der unstillbaren Neugier auf die grenzenlose Welt der Kunst und der Furcht vor Wiederholung. Dass er sich immer wieder zusammenreißen musste, um morgens den Weg ins Direktorenbüro des Kölner Museums Ludwig zu finden, glaubt man dem Anti-Verwaltungsmenschen König gern.
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Da hängst du ruckzuck am Fliegenfänger des kölschen Klüngels und kannst deine Unabhängigkeit an den Nagel hängen
535 Seiten Lebenscollage, das wiegt nicht gerade wenig, aber auch nicht viel für eine Karriere, die im deutschen Kunstbetrieb ihresgleichen sucht: König war ein Amateur (aber ein „begnadeter“, wie er, einen Kritiker zitierend, betont), ein Ausstellungsmacher ohne Universitätsabschluss (geschweige denn Studienbeginn), der in New Yorker Ateliers, Kneipen und Galerien früh die Kontakte suchte und fand, die ihn später durchs Leben trugen: zur ersten großen Warhol-Ausstellung in Europa, zu den stadtraumzersetzenden Skulptur-Projekten in Münster, zur legendären „Westkunst“-Schau 1981 in Köln, als Rektor an die Frankfurter Städelschule und schließlich als Direktor ans Museum Ludwig.
In Köln blieb Kasper König zwölf Jahre lang und damit zwölf Jahre länger, als ihm gute (und weniger gute) Freunde prophezeit hatten. Aber innere Widerstände scheinen ihn noch mehr angespornt zu haben als äußere, weshalb sich aus der „Wundertüte“ jetzt auch eine kleine Gebrauchsanweisung für Köln destillieren lässt. Als ungläubiger Katholik, den an der Kirche das „irrationale Element“ faszinierte, brachte er immerhin die Grundvoraussetzungen mit. Und an den Karneval konnte er sich auch rasch akklimatisieren: „Ich habe es mit Freude krachen lassen.“ Von der karnevalesken Vereinsmeierei hielt sich König allerdings fern: „Da hängst du ruckzuck am Fliegenfänger des kölschen Klüngels und kannst deine Unabhängigkeit an den Nagel hängen.“

Kasper König (rechts) hängt mit Gerhard Richter Bilder auf
Copyright: Manfred Leve
Äußerlich ähnelt Kasper Königs „A bis Z“ einer Mischung aus Reader und Telefonbuch, in der sich Bild- und Textanteil allerdings die Waage halten. Zwischen „AA“ (für Aachen, den Aasee in Münster und manches andere) und „Zweizeiler“ („Der Künstler fühlt sich stets gekränkt, wenn’s anders kommt, als wie er denkt“) purzeln einem aus dem aufgeschlagenen Band unzählige Stich- und Sprichwörter, Fotografien, Kopien, Erinnerungen und Faksimiles entgegen, die Königs Leben schon deswegen genügen, weil sie kein notdürftig zusammengehaltenes Ganzes ergeben und sich stattdessen zum mehr oder weniger zufälligen Sammelsurium bekennen.
In diesen reizvollen Reisesouvenirs findet sich Grundsätzliches und Anekdotisches, Ernstes, Heiteres und Banales, aber, wie versprochen, nichts Langweiliges. Jedenfalls nicht von König, der etwa unter „Klofenster“ erzählt, wie ihn Harald Szeemann (ein weiterer legendärer Ausstellungsmacher) einmal in einer Kölner Kneipe abfüllte, um in Ruhe über Königs Ausstellung „Von hier aus“ wettern zu können. „Er wollte mich richtig fertig machen, und es war kein Ende in Sicht. Ich bin dann ab aufs Klo, hab die Tür zugeschlossen und – zack – bin durchs Fenster raus stiften gegangen.“ So was liest man – zack – sonst nicht in dicken Schwarten aus dem Kunstbetrieb.
Die Selbstbeweihräucherung der Kunstwelt war König verdächtig – sich selbst nahm er dabei nicht aus. Bei passender Gelegenheit konnte er mit sich beinahe so scharf ins Gericht gehen, wie mit Bürokraten (oder wen er dafür hielt), milderte die strenge Selbstzucht aber gern mit Ironie. Im „A bis Z“ findet sich unter „Identitätspolitik“ der Eintrag: „Gefährliches Territorium, da gerät der Esel schnell aufs Glatteis.“ Man kann sich denken, welchen westfälischen Sturkopf er dabei im Sinn hatte.
Streitbar bleibt Kasper König auch in seinem „Vermächtnis“
Aber keine Sorge: Streitbar bleibt König auch in seinem „Vermächtnis“, nicht zuletzt mit Blick auf die eigene Zunft. Einigen Kollegen attestiert er, sie würden in ihren Memoiren „lügen, dass sich die Balken biegen“, um sich dann selbst bei einer trügerischen Erinnerung zu ertappen. „Da bist du felsenfest davon überzeugt, den kranken Beuys nur wenige Tage vor seinem Tod kreidebleich aus dem Wuppertaler Museum getragen zu haben. Und dann gräbt dein Büro einen alten Zeitungsausschnitt aus, der belegt, dass der Künstler nach seinem Schwächeanfall doch noch fünfeinhalb Jahre auf dieser Erde weilte.“ Wenigstens hatte das abgebildete Beweisfoto eine „fast biblische Theatralik“.
Mit König staunen wir, was sein Büro für den Band alles ausgegraben hat – allein die Klärung der Bildrechte dürfte eine Herkulesaufgabe gewesen sein. Ergänzt werden diese Fundsachen durch Gastbeiträge von Freunden, Kollegen und Weggefährten, in denen es dann schon mal etwas getragener, ausschweifender und sogar langweilig werden darf. In seinen Originalbeiträgen bleibt König dagegen untypisch kurz angebunden, beinahe altersweise abgeklärt. Sein jüngeres Ich ergreift in zahlreichen als Faksimile abgedruckten Interviews das Wort – so kommt immer wieder ein anregendes Selbstgespräch über die Jahrzehnte hinweg in Gang.
Über dieser heiteren Aphoristik vergisst man beinahe, dass nicht nur im Buch, sondern auch in der realen Lebenscollage Kasper Königs viel harte Arbeit steckt. Sie bildete das Fundament dafür, was man mit Weitblick, einem Gespür für das Kommende (und Bleibende) umschreiben könnte oder auch mit dem Wagemut, immer wieder neue Fehler zu begehen, statt sich auf alten auszuruhen. So ist dieses „A bis Z“ nicht nur ein Abschiedsgruß, sondern auch ein Leitfaden für die Zukunft.
Andreas Prinzig, Ulrich Wilmes (Hrsg): „Kasper König A bis Z - Eine Lebenscollage“, Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 535 Seiten, 48 Euro

