Popstadt Köln„Dass AnnenMayKantereit zu zwei Dritteln nach Berlin gezogen ist, hat Gründe“

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Der Kölner Kulturdezernent Stefan Charles (r.), c/o-pop-Chef Norbert Oberhaus (l.) und Paulina Rduch (Klubkomm)

Kulturdezernent Stefan Charles (r.), c/o-pop-Chef Norbert Oberhaus (l.) und Paulina Rduch (Vorstand der Klubkomm) diskutieren im Interview über den Erhalt der Kölner Clubszene und die Popkultur-Stadt Köln.

Köln war mal Pop-Hauptstadt Deutschlands - Standort großer Plattenfirmen, Viva sowie der Musikmesse Popkomm. Und heute? 

Kulturdezernent Stefan Charles, c/o-pop-Chef Norbert Oberhaus und Paulina Rduch, im Vorstand der Kölner Klubkomm, sprechen im gemeinsamen Interview über die gefährdete Clubszene Kölns, die schwierige Situation für Musiker und Musikerinnen, Berlin als Konkurrenz und 20 Jahre c/o pop. 

Herr Charles, lange bevor Sie in Köln Kulturdezernent wurden, haben Sie in der Popbranche gearbeitet, haben Songs verfasst und einen großen Club geleitet. Welches Image, welche Strahlkraft hatte Köln damals für Sie von der Schweiz aus?

Charles: Ich war regelmäßiger Besucher der Popkomm (eine Musikmesse, die bis 2003 in Köln stattfand, Anm. der Red.). Ich kenne auch noch die legendären Messe-Partys im Hyatt-Hotel. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt damals.

„Damals“ ist lange her, Sie sprechen über die Mitte der 90er-Jahre?

Charles: Das stimmt. Aber die elektronische Musik aus Köln, der damals sogenannte Sound of Cologne, die hat mich wirklich beeinflusst. Ich kannte auch die Protagonisten und Protagonistinnen von damals und alles, was hier in NRW rund um Kraftwerk entstanden ist. Es war absolut prägend für die Musik weltweit, was da passiert ist. Insofern ist Köln für mich musikalisch gesehen ein absoluter Kraft-Ort. Ich bin überzeugt, so etwas geht auch nicht verloren. Es kann sich verändern, aber die DNA bleibt.

Verloren gegangen ist Köln natürlich so einiges: Viva, die PopKomm, die Plattenfirmen, die Künstler, die in Scharen nach Berlin gezogen sind. Die glorreichen Zeiten sind vorbei. Wie erleben Sie die Popstadt Köln jetzt?

Charles: Ich ziehe nicht jede Nacht durch die Clubs. Da bin ich ehrlicherweise auch nicht mehr das Zielpublikum. Wir hatten anlässlich des Holger-Czukay-Preises, wo ich den Jury-Vorsitz habe, eine Diskussion, die das ein bisschen veranschaulicht. Das ist der höchst dotierte Preis für Popmusik in Deutschland. Einmal im Jahr will die Stadt Köln mit diesem Preis eine Wertschätzung des Popmusikschaffens in Köln ausdrücken. Weil wir da aber retrospektiv auf das Lebenswerk und die Relevanz gucken, waren das bislang oft männliche Künstler oder Kollektive. Jetzt haben wir gemerkt, dass es falsch ist, den Preis nur denen zu geben, die früher mal etwas Relevantes gemacht haben.

Wie sieht Ihre Alternative aus?

Charles: Wir wollen auch die ganz diversen jungen Künstler und Künstlerinnen ehren, die ganz aktuell tolle Musik in Köln machen. Deswegen haben wir jetzt einen Zukunftspreis eingerichtet. Inzwischen habe ich schon viel von dem angehört, was gerade in Köln passiert, und es gefällt mir sowohl von der Qualität her als auch insofern, dass es diese viel heterogenere Gesellschaft abbildet.

Paulina Rduch, Sie gehören seit diesem Jahr zum Vorstand der Klubkomm, dem Interessenverband der Kölner Clubs und Veranstaltenden. Sie sind früh und hoch engagiert in die Kölner Szene eingestiegen. Was frustriert Sie heute im täglichen Klein-Klein?

Rduch: Was mir persönlich sehr wehtut, ist das Clubsterben und wie sich Viertel dadurch verändern. Das beste Beispiel dafür ist Ehrenfeld. Als ich da vor fast zehn Jahren hingezogen bin, war das Angebot an Clubs deutlich höher. Jetzt haben wir eigentlich nur noch drei wirkliche Clubs in Ehrenfeld. Die muss man dringend schützen.

Im Januar hat die Klubkomm ihre neue Agenda für die nächsten zwei Jahre aufgestellt. Was sind die wichtigsten Punkte?

Rduch: Es sind allein schon deshalb neue Themen aufgekommen, weil der Vorstand fast komplett gewechselt und sich dabei verjüngt hat. Wir sind jetzt zwischen Ende 20 und Mitte 30 – und zum ersten Mal auch paritätisch besetzt. Ein wichtiger Punkt ist das Thema „Safer Nightlife“, ein anderer das Thema Nachhaltigkeit Es bleiben aber auch viele alte Themen wie der Kulturraumschutz, also die Frage: Wie erhalte ich Kulturstätten, wie fördere ich die Clubszene?

Stefan Charles

Stefan Charles

Warum ist sexuelle Belästigung im Club denn erst jetzt ein großes Thema?

Rduch: Ich glaube, Belästigungen gab es immer schon, aber es wird heute endlich thematisiert. Einen weiteren Grund sehe ich in der Verbreitung und Vermischung von Musikgenres, anders als früher. wo jeder Club häufig seine Nische hatte und eine bestimmte Musikrichtung gespielt wurde. Es gibt heute unterschiedliche Clubnächte und Veranstaltungen, es ist alles viel diverser, was erstmal positiv ist. Aber dadurch hat sich das Publikum verändert, ehemalige Safespaces haben sich geöffnet. Damit gehen leider häufig auch mehr Belästigungen einher. Deshalb ist die Thematisierung und vor allem das Schaffen von Lösungen wichtig.

Herr Oberhaus, Sie haben vor 20 Jahren die c/o pop gegründet. Damals hatte Köln gegenüber Berlin noch einen anderen Stand. Wie würden Sie die Entwicklung von Köln als Popkultur-Standort beschreiben?

Oberhaus: Ich würde gerne noch weiter zurückgehen: Meine berufliche Laufbahn in der Musikwirtschaft hat 1992 begonnen, ich habe also die Hochzeit der PopKomm und der Musikstadt Köln noch voll miterlebt. Und auch den schleichenden Niedergang. Der lag einerseits an dem Sog nach Berlin, andererseits ist in Folge der Digitalisierung die ganze Musikwirtschaft in sich zusammengebrochen. Wir haben die c/o pop gegründet, nachdem die Popkomm nach Berlin gezogen war. Das war recht lokalpatriotisch.

Inwiefern?

Oberhaus: Wir wollten mit all denen, die hiergeblieben sind, etwas Neues schaffen. Köln sollte nicht Provinz werden. Dazu reicht es aber nicht, nur ein Festival zu machen, wir mussten an die Strukturen ran, uns organisieren und politisch agieren. Das haben wir getan und ich glaube, wir haben zumindest den Ruf der Stadt gerettet, und auch ein Stück weit im Vergleich zu Berlin und Hamburg wieder aufgeholt, durch das Festival, aber auch durch die Schaffung von Institutionen wie die Klubkomm, wo eine jüngere Generation ganz selbstverständlich den Platz der älteren übernimmt. Wie sind wieder auf Augenhöhe oder in Schlagdistanz.

Aber Abwanderungsbewegungen gibt es noch immer.

Oberhaus: Das stimmt. Die bekannteste Band aus Köln, AnnenMayKantereit, ist jetzt zur Hälfte nach Berlin gezogen. Das hat Gründe. Und auch Roosevelt, der vielleicht international bekannteste Pop-Elektronik-Künstler, flüchtet immer mal wieder aus der Stadt oder schimpft auf sie. Wir müssen Köln noch mehr zum Schwingen bringen, es muss noch mehr ausstrahlen und junge Musiker und Musikerinnen anziehen.

Was genau muss passieren?

Oberhaus: Wir brauchen ein besseres Zusammenwirken der verschiedenen Akteure. Alleine in der Stadt Köln gibt mindestens vier verschiedene Dezernate, mit denen wir reden müssen, Kultur, Wirtschaft, Bauamt und Ordnungsamt. Nehmen wir nur mal die auch von der Politik geforderte Schaffung neuer Open-Air-Räume. Es gab Hilfsprogramme, es gab Workshops, es gab viele Konzepte: Alles scheiterte am Ende am Bauamt. Jetzt werden wieder neue Konzepte erprobt. Aber wir haben alle Plätze, an denen es möglich wäre, schon aufgezeigt. Die Inhalte sind da, die Akteure stehen in den Startlöchern, wir haben alle Lust, was zu machen. Aber es scheitert, weil es innerhalb einer Stadt nicht diesen Willen gibt, der einem gemeinsamen, übergeordneten Ziel folgt.

Norbert Oberhaus, Gründer und Geschäftsführer der c/o pop

Norbert Oberhaus, Gründer und Geschäftsführer der c/o pop

Herr Charles, für die Gastroszene wurde eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet, ein Gastro-Kümmerer. Kann das Referat für Popkultur eine ähnliche Scharnierfunktion übernehmen?

Charles: Die Clubs sind als Kulturstätten seit längerer Zeit anerkannt, Pop wird bei uns im Dezernat als gleichberechtigte Sparte geführt. Das läuft gut in Köln. Gerade, wenn es um die Flächen geht, ist es aber weiterhin sehr schwierig, das haben wir auch erkannt. Da sind viele Ämter mitbeteiligt. Wir haben 2022 im Dezernat ein Team gebildet, das heißt Kulturraum-Management. Das hat als Stabsstelle direkten Zugriff auf die jeweiligen Amtsleiter oder Dezernenten. Und das nicht mit der Frage, wo wer noch etwas unterzeichnen muss, sondern mit der Frage: Wie bekommen wir es gelöst?

Was hat das Team bislang bewirkt?

Charles: Es war bei der Suche nach Proberäumen schon sehr erfolgreich: Im März konnten wir das Probezentrum in Ehrenfeld mit 13 Räumen eröffnen, mit einer Bezuschussung von 200.000 Euro. Wir haben die Delmenhorster Straße, wo wir fast 130 Ateliers und Proberäume schaffen. Wir können da wahrscheinlich auch Open-Air-Konzerte veranstalten. Und auch was den Open-Air-Standort Südbrücke angeht, ist das Kulturraum-Management-Team im engen Austausch mit den involvierten Ämtern. Das ist unter anderem auch Teil des nachhaltigen Open-Air-Konzepts für die Stadt, das das Team für 2024 entwickelt.

Rduch: Mehr Open-Air-Flächen wären natürlich super und es ist sehr gut, dass es jetzt das Kulturraum-Management gibt. Jetzt geht es darum, gemeinsam Positivbeispiele zu schaffen. Ein neuer Ansatzpunkt wäre es, das Konzept um gemischte Nutzungen zu erweitern. Viele Clubs haben auch draußen eine Infrastruktur, könnte also auch ein Open-Air-Programm entwickeln. Und man könnte neu denken, was Umnutzungen angeht: Die Clubs wurden ja immer weiter aus der Innenstadt verdrängt, jetzt könnte sich die Club- und auch die Kulturszene generell wieder mehr in Richtung Innenstadt bewegen, leerstehende Geschäfte umnutzen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass es in bis zwei Jahren eine neue Open-Air-Fläche in Köln gibt?

Oberhaus: Ich denke auch, dass es eine Menge an Clubs oder Spielstätten gibt, die auf ihrem Gelände Open-Air-Veranstaltungen machen würden, sofern die Stadt das ermöglicht. Auch das Thema Open-Air-Gelände an der Südbrücke finde ich sehr wichtig. Das wäre eine einmalige Location am Rhein. Das muss genehmigt werden, auch dauerhaft. Das wäre ein Leuchtturm für Köln.

Und die größeren Visionen?

Oberhaus: Mittelfristig kann man darüber nachdenken, ob man etwas im Grüngürtel machen kann und auch am Offenbachplatz. Sonst würde ich eher Richtung Porz oder Butzweilerhof suchen. Festivals leben davon, dass man bis nachts Musik machen kann, also punktuell auch nach 22 Uhr.

Charles: Ich finde den Input richtig. Wir haben ja eine kulturelle Bespielung auf dem Ebertplatz und haben jetzt auch damit begonnen, den Neumarkt kulturell zu beleben. Das ist eine Form von Umnutzung. Auch der Offenbachplatz darf kein unbelebter Ort sein. Was ausgewiesene Open-Air-Spielflächen für Festivals und Musik-Veranstaltungen betrifft, kann es aber sein, dass wir uns auf Orte konzentrieren müssen, die nicht mitten im Stadtzentrum sind.

Oberhaus: Ich würde noch gerne etwas zum Offenbachplatz sagen. Eines unserer besten Jahre mit der c/o pop war 2009: Da waren wir mitten in der Stadt, am Offenbachplatz, im Schauspielhaus, im heutigen Britney, vor der Oper und in der Philharmonie. Das war damals ein langer Kampf. Ich finde, da müssen wir wieder hinkommen. Wir müssen den Offenbachplatz und die städtischen Bühnen mehr für diese Bereiche, für dieses Publikum öffnen. Das sollten wir jetzt schon mitdenken, auch wenn es zur Eröffnung noch ein wenig dauert.

Charles: In allen großen institutionellen Kultureinrichtungen ist das die Tendenz. Auch in London, Paris und anderen Städten fragt man sich: Wie können wir diese teuren Gebäude in prominenter Lage im Sinne der kulturellen Teilhabe noch zusätzlich bespielen? Da wird es auf jeden Fall eine Offenheit geben. Wir müssen diesen Weg auch gehen, wenn wir über Museums-Konzepte nachdenken.

Oberhaus: Häuser wie die Philharmonie und die Oper müssen sich noch mehr öffnen, allein schon, um jüngere Menschen anzulocken. Das ist auch dringend notwendig, damit sich diese Milliarde Euro an Sanierungskosten lohnen. Alles andere lässt sich doch niemandem mehr vermitteln in Zeiten knapper Ressourcen!

Paulina Rduch

Paulina Rduch

Es bleibt ein eklatanter Höhenunterschied zwischen der Förderung der sogenannten Hochkultur und der sogenannten Popkultur…

Oberhaus: Die freie Szene bekommt nicht ein Prozent von dieser Milliarde. Wenn sie die hätte, ginge es ihr auf Jahre besser. An diese Diskussion gehen wir noch gar nicht ran, aber die muss geführt werden.

Charles: Die Mittel, die wir für die bauliche Infrastruktur ausgeben, können wir aber auch nicht in Programme investieren. Wenn man genau hinguckt, was Schauspiel oder Oper wirklich an Mitteln für ihre Programme zur Verfügung steht, müssen wir uns in Vergleich zu anderen Städten oder Häusern anstrengen. Wenn wir wirklich wollen, dass sich Köln als Musikstadt weiterentwickelt, dann brauchen wir zwei Dinge vor allem für junge Künstlerinnen und Künstler: Sie müssen hier überleben, also irgendwie die Miete zahlen können, und sie müssen eine Perspektive haben.

Wie kann die aussehen?

Charles: Hochschulen sind total wichtig, gute Aufführungsorte und auch tolle Festivals, damit die Künstler gesehen und wahrgenommen werden. Wir müssen das aus der Perspektive der Kulturschaffenden denken: Wenn ich Künstler wäre, würde ich dann nach Köln kommen wollen? An diesen Schrauben müssen wir drehen.

Rduch: Noch ist es aber doch so, dass junge Kreative doppelt in die Zange genommen werden. Wenn man sich zum Beispiel das Wohnprojekt mit geplanten Mikroappartements anschaut, das in Ehrenfeld genau zwischen Bumann & Sohn und dem Artheater gebaut werden soll: Das sind Wohnungen, die man sich nicht wird leisten können, und dieses Projekt gefährdet dann zusätzlich noch die drei letzten hinterbliebenen Clubs.

Charles: Das Problem haben wir nicht nur in Köln. Wir engagieren uns mit dem Kultur-Management auch in Ehrenfeld. Aber auf lange Sicht müssen wir strategisch vorgehen. Es gibt ja auch schon ein Kataster, wo wir festgelegt haben, welche Kulturflächen wir haben und in welcher Qualität. Und wir wollen ja nicht nur erhalten, wir wollen Kulturflächenentwicklung. Wir müssen also in die Stadtplanung hinein und belegen, dass wir tatsächlich Kulturraum verlieren, wo wir den verlieren, in welcher Qualität und wo wir den auch wieder entwickeln können.

Wo denn zum Beispiel?

Charles: Wenn wir große neue Stadtteile erschließen, wie den Deutzer Hafen mit Wohnungen für 6900 und Büros für 6000 Menschen, dann müssen wir einen Riesenschuh in die Tür stellen und sagen: Da muss ein Kultur-Baustein her, da muss auch Kultur stattfinden. Ich finde interessant, was Paulina Rduch gesagt hat: Dass der Handel sich in einer großen Krise befindet, weil niemand mehr einkaufen geht, muss ja nicht heißen, dass die Innenstädte aussterben sollen. Jetzt haben wir Gelegenheit, mit kulturellen Nutzungen in die Innenstadt zu gehen. Das machen wir ja mit dem Interim des Stadtmuseums und der Zentralbibliothek. Wir können mitten in die Fußgängerzone. Das wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen. Dann haben wir hier auch wieder Abend- und teilweise auch Sonntagsbespielung. Das macht aus der Innenstadt noch mal etwas komplett Neues.

Rduch: In Düsseldorf gab es schon einen Club über dem Kaufhof. Das ist ein guter Ansatz. Was ich ein bisschen anders sehe, ist die Situation in Ehrenfeld. Sie haben ja das Club-Kataster erwähnt, Herr Charles, aber das wurde in dem Fall Ehrenfeldgürtel 125 gar nicht angewendet. Das so geplante Gebäude brauchen wir in Ehrenfeld nicht. Wenn wir Proberäume brauchen, warum bauen wir die nicht direkt dahin? Und der Parkplatz? Das wäre die perfekte Außenfläche.

Oberhaus: Es ist jetzt leider schon verkauft, ohne die Auflage aus dem Club-Kataster. Wir konnten da in letzter Minute noch reingrätschen, weil wir das über die Presse erfahren haben. Es gibt jetzt einen Dialog. Aber das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Ich hoffe nur, dass zumindest jetzt bei der Bebauung des Thyssen-Geländes in Ehrenfeld das Club-Kataster angewendet wird. Dort hätten wir die Chance, ein altes Industriegelände kulturell zu nutzen und mit dem Ambiente da ein Stück weit das zurückholen, was Ehrenfeld leider verloren hat.

Wie könnte man das popkulturelle Pfund der Stadt Köln nach außen noch besser verkaufen? Sie haben ja erwähnt, Herr Charles, dass Sie in der Schweiz den Sound of Cologne wahrgenommen haben.

Charles: Heute müsste man eher vom Spirit of Cologne sprechen. Marketing hat immer etwas mit finanziellen Ressourcen zu tun. Die goldene Regel lautet: Je mehr man investiert, desto mehr Sichtbarkeit hat man. Es gibt Städte, die sich in der Kultur ganz klar positionieren:  Wien beispielsweise, auch Hamburg, das sich als Musikstadt definiert hat, aber das hatte wohl eher etwas mit der Elbphilharmonie zu tun.

Oberhaus: Da muss ich korrigieren, das begann schon vorher. Vor acht oder zehn Jahren gab es bei Köln-Tourismus das Schwerpunktthema Musik. Und womit wurde damals geworben? Mit den Bläck Fööss. Hamburg hatte das Reeperbahnfestival als Markenzeichen genommen…

Stefan Charles, Norbert Oberhaus und Paulina Rduch

Stefan Charles, Norbert Oberhaus und Paulina Rduch

… das sich anfangs ja an der c/o pop orientiert hat…

Oberhaus: Genau. Und die plakatieren mit dem Geld vom Stadtmarketing Hamburg seit zehn Jahren immer zur c/o pop in Köln. Das ärgert mich jedes Mal. Warum macht das Köln nicht umgekehrt? Da geht es nicht nur um Geld, sondern auch um ein Bekenntnis zur Musikstadt Köln und um Strategie.

Charles: Köln-Tourismus hat eine Tiefenanalyse gemacht und festgestellt, dass sie sich vor allem auf Milieus fokussieren wollen, die ein hohes Kulturinteresse haben. Wir wollen innerhalb des Dezernats ein Kulturmarketing-Team aufstellen und einfach mal exemplarisch ein paar Themen setzen, zusammen mit Partnern, die wir brauchen, damit das eine Schlagkraft hat. Man muss aber sagen, dass man nicht für alle Sparten oder für alle Interessierten gleichermaßen Werbung machen kann. Man stärkt mit solchen Aktionen eher die Starken.

Gehört die Popkultur dann zu den Stärken der Stadt, oder fällt die hinten ab?

Oberhaus: Zumindest in der Studie von Köln Tourismus ist das Publikum Pop-affin hoch 10.

Charles: Ja, das ist so.

Wie geht es eigentlich den Kölner Clubs nach der Pandemie? Kommt das Publikum, ist der Existenzkampf vorbei?

Rduch: Die Pandemie ist vorbei. Bei Konzertveranstaltungen ist das Publikum aber anfangs ausgeblieben. Jetzt stehen wir vor ganz anderen Herausforderungen. Stichwort Fachpersonalmangel: Was bringt es mir, wenn ich sehr viele Besucher habe, aber keine Leute, die diese Besucher bewirten? Und wir sind ja gleichzeitig in die nächste Krise gerutscht, die Energiekrise. Wir sind also aus dem Krisenmanagement noch nicht heraus, in den Köpfen herrscht noch keine Normalität.

Also wird der eine oder andere Club die nächsten Jahre nicht überleben?

Rduch: Das ist sehr gut möglich. Es kommen ebenfalls immer wieder Probleme im Tagesbetrieb auf, die ebenfalls gelöst werden müssen. Manchmal ist es schwierig Tagesbetrieb und zukunftsorientierte Planung - z.B. Nachhaltigkeit - unter einen Hut zu bringen!

Oberhaus: Die Rücklagen sind alle aufgebraucht. Die müssten erstmal wieder gebildet werden. Visionen zu entwickeln ist da schwierig. Da braucht es Investitionsprogramme für Nachhaltigkeit.

Charles: Das ist ein ganz wichtiges Thema. Wir können Zuschüsse für bauliche Maßnahmen geben. Wir können auch nochmal über zusätzliche Mittel für ökologisch nachhaltigen Maßnahmen sprechen. Da darf nicht die Angst vor den Ausgaben im Vordergrund stehen. Das ist auch eine tolle Chance. Wenn wir CO2-neutrale Konzerte oder Theateraufführungen machen, dann können wir diese Themen wirklich an die Menschen heranbringen. Das ist politisch und gesellschaftlich interessant, dass wir da vorangehen [c1] mit der Kultur.

Noch einmal zurück zur c/o pop: Wie sehen die Zukunftspläne aus?

Oberhaus: Wir haben uns immer verändert. Hatten als elektronisches Musikfestival angefangen, das war damals auch die Stärke von Köln. Jetzt sind wir eher zu einem popkulturellen Festival geworden. Popkultur ist heute mehr als noch vor zehn oder 20 Jahren. Das wollen wir in Zukunft auch noch mehr abbilden. Und gemessen an den Besucher:innenzahlen scheinen wir auf dem richtigen Weg zu sein. Und wir würden uns gerne von Ehrenfeld aus weiter in der Stadt ausbreiten, an den Offenbachplatz, in die Oper. Aber wenn Ehrenfeld in Sachen Clubs und Spielstätten fällt, dann hat die c/o pop ein großes Problem.

Frau Rduch, wo sehen Sie die Clubszene in zehn Jahren?

Rduch: Ich würde mir wünschen, dass es wieder eine bunte Mischung gibt und die Innenstadt mit dabei wäre. Ich habe das Gefühl, dass sich die Leute seit der Corona-Pandemie über Sachen beschweren, die früher normal waren. Wenn man in der Innenstadt lebt, kann man nicht erwarten, dass es um 22 Uhr mucksmäuschenstill ist. Ich fände es schön, wenn es diese Koexistenz wieder gäbe.

Haben Sie einen Kölner Lieblingsclub, Herr Charles?

Charles: Das darf ich als Kulturdezernent doch gar nicht sagen. Zunächst mal: Ich finde das Festival c/o pop großartig. Und es freut mich sehr, dass unglaublich viele Künstlerinnen gezeigt werden. Ich finde es auch gut, dass die Clubs heute nicht mehr nur einen Stil haben, sondern viel breiter programmieren können. Wenn ich in die Zukunft gucke, fällt mir ein kleines Zitat von Daft Punk ein: Vielleicht ist die Musik ja doch ein besserer Ort als die Welt. Das gefällt mir total gut.

Oberhaus: Stimme ich zu. Clubs waren und sind ja auch immer Orte, die einen starken sozialen Charakter haben. Orte, an denen Dinge ihren Ausgang genommen haben, Orte, an denen sich gesellschaftlich Relevantes entwickelt hat.

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