Die Journalistin Yasmine M'Barek darüber, wie Social Media und die kriselnde Weltlage uns unempathisch machen und warum wir trotz allem auch Empathie für AfD-Wähler brauchen.
Kölner Autorin Yasmine M'Barek„Du musst nicht zu jedem Thema eine starke Meinung haben“

Autorin und „Zeit“-Journalistin Yasmine M'Barek hat ein Buch über Empathie geschrieben
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Frau M’Barek, Ihr neues Buch über Empathie heißt „I feel you“ und ist trotzdem kein Aufruf, sich in andere einzufühlen. Worum geht es?
Wir sagen zu Freundinnen oft „das fühle ich voll“ und halten uns damit schon für empathisch. Wir denken, wenn alle Menschen empathischer wären, wäre alles toll in der Politik und mit den Großeltern an Weihnachten. Daher kam die Idee, im Politischen, aber auch in der Popkultur zu schauen: Was bedeutet Empathie wirklich? Nämlich nicht dieses große „I feel you“, aber am Ende dann doch ein bisschen, weil wir mit richtiger Empathie versuchen, nachzuempfinden, um uns nicht so konfrontativ zu begegnen.
Sie heben statt dem „sich einfühlen“ besonders die kognitive Empathie hervor. Was ist darunter zu verstehen?
Kognitive Empathie meint, dass ich eine Situation und ihre Beweggründe rein logisch nachvollziehen kann, auch wenn ich sie selbst noch nie erlebt habe und deshalb nicht selbst fühlen kann. Diese Form von Empathie hilft, zu verstehen, warum Dinge passieren. Deshalb ist sie auch so wichtig, wenn es um Politik geht, weil ich meinen politischen Gegner ja nicht unterstütze und nicht wie er sein will, aber ich muss für die Debatte immer nachvollziehen können, was der andere tut und warum.
Sollten wir also auch Empathie für AfD-Wähler aufbringen?
Das ist ein sehr schwieriges Thema, deswegen habe ich dafür Hannah Arendt zu Rate gezogen, denn sie trifft eine wichtige Unterscheidung zwischen dem wurzellosen Bösen und bösen Personen. Wer noch eine Person ist, ist in der Lage, sich selbst zu reflektieren. Mit ihr kann ich noch in Kommunikation treten.
Wir müssen versuchen, nachzuvollziehen, warum es dem AfD-Wähler so geht, damit wir wieder gemeinsam in einen demokratischen Diskurs treten können.
Diese Unterscheidung übertragen Sie auf Rechte in Deutschland?
Ja, Alice Weidel und Björn Höcke sind für mich beispielsweise keine verwurzelten Personen mehr, die Teil des Diskurses sind, sondern antidemokratische, menschenverachtende politische Positionen. Aber wenn – nehmen wir mal ein krasses Klischee – der Ostdeutsche, der 1400 Euro netto verdient, im Dorf in der Nähe vom Bautzen wohnt und stark vom Strukturwandel betroffen ist, die AfD wählt, weil er politisch unzufrieden ist, ist er nicht per se ein Nazi – aber gerade dabei sich zu entwurzeln.
Und dann sollten wir Empathie für ihn aufbringen?
Dann habe ich journalistisch, aber auch gesellschaftlich die Pflicht zu versuchen, nachzuvollziehen, warum es ihm so geht, damit wir wieder gemeinsam in einen demokratischen Diskurs treten können. Wenn zum Beispiel jüdische oder Schwarze Personen sagen, sie können nicht mit einem AfD-Wähler in Kontakt treten, ist das völlig valide. Die Frage ist eher, wer hat die Deutungshoheit? Die haben marginalisierte Communities oft nicht. Es muss also Menschen geben, die dafür sorgen, dass diese Gefahr nicht größer wird.
Haben die Medien in den letzten Jahren versäumt, in diesen Diskurs zu treten?
Ich glaube, das war eine Form von Angst. Wie geht man mit etwas um, bei dem man persönlich eine starke Meinung hat? Denn ich persönlich kann nicht verstehen, dass anderen Menschen in diesem Land so egal ist, was mit ihren Mitmenschen passiert, dass sie eine Partei wählen, die ihnen schadet. Aber genau das muss man überwinden und das ist äußerst schwierig. Der Journalismus hat sich damit schwergetan, wem geben wir eine Plattform, mit wem muss man wirklich reden und wie „holt man die zurück“; was heißt „zurückholen“ und ist das unsere Aufgabe?
Das gerade viel diskutierte ARD-Format „Klar“ hat diesen Versuch gestartet, Konservative bis Rechte zu den Öffentlich-Rechtlichen „zurückzuholen“ – eine gute Idee?
Schwierig ist allein schon, dass alle so tun, als gäbe es keine konservativen Journalisten beim NDR. Das finde ich für die Kollegen dort auch hart. Und man hat nur gesagt, Julia Ruhs moderiert das nicht mehr, das Format läuft weiter. Das Ganze wurde jetzt zu einem politischen Skandal aufgeblasen. Dabei war die Sendung gar nicht so rechts. Corona abzudecken, eine Familie zu besuchen und zu fragen, wie es Ungeimpften geht – seit wann ist das rechts? Da muss man auch vorsichtig sein, welches Narrativ man setzt. Wenn jemand aus politischen Gründen abgesetzt wird, sollte man empathisch bleiben, denn es betrifft immerhin auch die Karriere einer jungen Kollegin.
Wir gehen in den Sozialen Medien davon aus, dass die anderen alle nur extreme Meinungen hören wollen.
Welche Rolle spielen die Sozialen Medien in dieser Dynamik?
Social Media ist gemacht, um schnell komprimierte Inhalte zu konsumieren. Dadurch haben wir uns daran gewöhnt, dass nur absolute Meinungen oder schnelle Takes funktionieren, weil das ja auch interessant ist. Wenn sich dann aber etwas dazwischen befindet, haben wir nur wenig Verständnis dafür oder merken, wir sehnen uns eigentlich danach, aber gehen davon aus, dass die anderen alle nur extreme Meinungen hören wollen. Das schärft uns ein, dass Hass und Anti-sein eine Form von Charakterbildung ist, was in der Lösungsfindung natürlich nicht weiterhilft. So gerät gerade in politischen Diskursen schnell in eine Sackgasse. Das kann man nur mit einer ganz langsamen Rückerarbeitung von empathischen Verhältnissen wieder aufdröseln.
Halten Sie das noch für möglich?
Ja, denn die meisten Leute sehnen sich danach. Nur weil wir daran gewöhnt sind, heißt es nicht, dass es so bleiben muss. Das alles macht ja müde. Die meisten Menschen arbeiten Vollzeit, leisten vielleicht Care-Arbeit, haben Familien, und gar nicht die Zeit, sich jeden Tag zwei Stunden differenziert mit der Weltlage auseinanderzusetzen. Eigentlich brauchen gerade diejenigen jemanden, der sie an die Hand nimmt und sagt: Es ist okay, wenn du nicht zu jedem Thema eine starke Meinung hast.
Meinungstreiber bauen genau darauf, dass die Menschen so überfordert sind mit der Komplexität der Themen.
Die Weltlage führt bei vielen zu einem Gefühl von Dauerkrise, unter dem auch unsere Kapazität leidet, sich mit Problemen anderer zu befassen.
Natürlich macht dieser Zustand uns unempathischer, denn, wenn ich selbst sechs Krisen am Laufen habe, fällt es mir schwer, noch Verständnis für alle anderen Lebensrealitäten und Krisen zu haben. Da kann man – Stichwort Empathie – nachvollziehen, warum man dann zur einfachen Antwort greift. Meinungstreiber bauen genau darauf, dass die Menschen so überfordert sind mit der Komplexität der Themen.
Sie schreiben, die empathische Haltung sei nicht die Lösung, sondern der Anfang. Wie können wir uns als Gesellschaft wieder in mehr Empathie üben?
Gesellschaftliches Miteinander und Menschsein hat sehr viel damit zu tun, dass alle an sich selbst arbeiten. Empathie – Bell Hooks beschreibt das sehr schön – ist deshalb auch der Versuch, Menschen und Gemeinschaft zu lieben. Das halte ich für einen schönen Grundgedanken. Dazu gehört auch kommunikative, gesellschaftliche Arbeit. Mir ist insbesondere wichtig, nicht so zu tun, als wären äußere Unterschiede oder Altersunterschiede, ein Hindernis, einander zu verstehen. Das ist genau das, was dieses Buch sagt: Es gibt so viele verschiedene Formen davon, einander zu verstehen, dass es nicht diese eine Lösung gibt, von der ich behaupte: wenn du das machst, bist du empathisch und auf der Welt ist alles in Ordnung. Empathie ist für mich der Versuch im Kleinen. Niemals im Großen. Wenn das Klein-Klein empathischer wird, ist auch das Gesamtbild empathischer.
Yasmine M'Barek, geboren 1999 in Köln, ist Journalistin, Podcasterin und Autorin. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und ist Redakteurin bei der „Zeit“. Regelmäßig ist sie in politischen Talkshows zu Gast und hostet den Podcast „Ehrlich jetzt“.
„I feel you“ von Yasmine M'Barek ist im Eichborn Verlag erschienen. 144 Seiten kosten 20 Euro.