Kölner KonzertWie die Staples Jr. Singers nach 50 Jahren von Gott bezahlt wurden

Lesezeit 4 Minuten

Vor fast 50 Jahren spielte Annie Caldwell mit ihren Brüdern ein sagenhaftes Gospel-Album ein. Jetzt wurde es wiederveröffentlicht und die Geschwister aus Mississippi geben ihr einziges Deutschlandkonzert im Kölner Stadtgarten.

Das Telefon im Flur klingelt schon eine ganze Zeit lang, als Annie Caldwell endlich abhebt. Der Mann am anderen Ende der Leitung stellt sich als Yale Evlev vor, Miteigentümer des New Yorker Plattenlabels Luaka Bop, das Ende der 1980er von Talking Head David Byrne gegründet wurde. Ob sie Annie Caldwell sei, Annie Brown Caldwell? Die den Song „We Got a Race to Run“ gesungen hat?, will Evlev wissen. „Ich versuche seit einer Woche, Sie zu erreichen!“

Annie Caldwell im Städtchen West Point im amerikanischen Bundesstaat Mississippi ist perplex. Warum sollte jemand nach ihr suchen? Ob sie ihm den Song vielleicht einmal vorsingen könne?, bittet der Mann am Telefon jetzt. „Sind sie sicher, dass sie richtig verbunden sind?“, fragt Annie Caldwell zurück.

Die Single „We Got a Race to Run“ hatte sie vor 50 Jahren mit ihren Brüdern aufgenommen, da war sie elf oder zwölf Jahre alt gewesen. Zwei Jahre zuvor hatten die jungen Browns aus Aberdeen, Mississippi angefangen Gospel zu singen. Inspiriert von den Predigten in den Gottesdiensten, zu denen ihre Eltern sie regelmäßig mitnahmen, und mehr noch von anderen Gospel-Künstlern wie den Williams Brothers, oder Mavis Staples aus Chicago, die zusammen mit ihrem Vater und ihren Geschwistern als The Staple Singers erfolgreich auf dem dünnen Seil zwischen Gospel und weltlicher Soulmusik balancierte. Ihnen zur Ehre nannten sich Annie und ihre Brüder Edward und A.R.C. The Staples Jr. Singers.

Alles zum Thema Konzerte in Köln

Landstriche, in denen die Rassentrennung nur theoretisch aufgehoben war

„Wir sangen in Schulen, in Kirchen und Vorgärten“, erzählt Caldwell, „oft gaben wir auch Konzerte zusammen mit meinem Vater, der hatte seine eigene Gospel-Gruppe.“ Ihr Vater war es auch, der sie in seinem alten Transporter von Auftritt zu Auftritt im Bibelgürtel der Südstaaten fuhr, manchmal waren es drei am selben Tag. Bald interpretierten die Browns nicht nur die Lieder ihrer Vorbilder, sondern begannen, selbst zu komponieren. „Die eigenen Songs kamen wie von selbst, die Worte fielen mir ein, wenn ich die Straße entlang ging“, erinnert sich Annie Caldwell.

„Mehr als drei Jahre lang haben die Staples hier unten gesungen“, heißt es in „When Do We Get Paid“, dem Titelsong des Albums, das die Junior-Staples 1975 in einem kleinen Aufnahmestudio in Tupelo einspielten. Er erzählt von den Nackenschlägen, denen die Geschwister in Landstrichen ausgesetzt waren, in denen noch Mitte der 1970er die Rassentrennung nur theoretisch aufgehoben war.

„Nach den Auftritten waren wir müde und hungrig“, berichtet Caldwell, „aber in Restaurants wurden wir oft nicht bedient. Wir mussten mit dem Essen warten, bis wir wieder zu Hause waren. Die eigentliche Frage des Lieds lautet aber, wann Gott uns bezahlen wird? Denn die Belohnung, die wir von Gott erwarten, kann uns sowieso kein Mensch geben. Weshalb ich mir auch keine Sorgen gemacht habe, wenn Leute uns ungerecht behandelten, mit Vorurteilen behaftet waren oder mit Hass. Weil ich wusste, dass Gott uns für unsere Arbeit bezahlen wird. Davon haben wir gesungen.“

Jetzt, glaubt Caldwell, habe Gott durch Yale Evlev gewirkt, der mit Luaka Bop das Album neu veröffentlicht hat, dessen Frohe Botschaft über ein aufs Allernotwendigste beschränktes Soul-Gerüst gespannt wurde und das wohl gerade deshalb direkt ins Herz trifft. Dank des späten Ruhms haben sich Annie und ihre Brüder wieder zu einer gemeinsamen Gospel-Gruppe zusammengefunden. Auf der Tour der Staples Jr. Singers spielen auch die eigenen Kinder mit.

Ihr einziges Deutschlandkonzert geben sie am 29. Januar im Kölner Stadtgarten. Wie sich das wohl anfühlt, vor einem urbanen, womöglich nicht besonders gläubigen Publikum aufzutreten? „Das ist das allerbeste Gefühl“, sagt Annie Caldwell. „Gott ist ja nicht nur in der Kirche zu finden, sondern auf Umwegen und Nebenstraßen. Das fühlt sich an, als würden wir ihm entgegengehen. Als wären wir schon im Himmel.“

Staples Jr. Singers spielen am 29.1. im Stadtgarten, 18 Uhr

KStA abonnieren