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Kölner PhilharmonieEin anregender Hauch von Auflösung und Dekadenz

2 min
Julia Lezhneva blickt den Betrachter an.

Die Sopranistin Julia Lezhneva trat in der Kölner Philharmonie auf.

Julia Lezhneva und Alexander Melnikov waren mit einem inspirierten Rachmaninow-Liederabend in Köln zu Gast.  

Um die 80 Lieder für Singstimme und Klavier hat Sergej Rachmaninow geschrieben. In Russland gehören sie zum Standard-Repertoire, in Deutschland hört man sie eher selten. Das hat vor allem idiomatische Gründe: Hierzulande kommen im Liedgenre meist deutschsprachige Sängerinnen und Sänger zum Zuge, die mit den Besonderheiten der russischen Sprache begreiflicherweise fremdeln. Auch vielleicht mit der zuweilen etwas eigenwilligen Stilistik dieser Lieder, in denen sich Opernpathos und Salonromantik mit der Glaubensinbrunst des orthodoxen Kirchengesangs mischen.

Julia Lezhnevas Timbre hat einen eher herben Reiz

Mit all diesen Einflusssphären sind Julia Lezhneva und Alexander Melnikov bestens vertraut, das war bei ihrem eindrucksvollen Rachmaninow-Abend in der Kölner Philharmonie durchgängig zu hören. Eigentlich sind beide eher im barocken und klassischen Repertoire zu Hause, was sich hier aber unerwartet als großer Vorteil erwies: Die Sopranistin (die man Ende des Monats an gleicher Stelle noch in einer konzertanten Aufführung von Händels „Flavio“ erleben wird) regulierte die häufig wechselnden Aggregatzustände der Musik über einen ausgesprochen flexiblen körperlichen Zugriff. Da gab es Phrasen, die in lichter Höhe schwerelos auf dem Atem lagen, aber auch leidenschaftliche Ausbrüche, bei der sich der im Grundcharakter eher leichte Sopran zu ungeahnter Klangprojektion verdichtete.

Der große lyrische Bogen ist Julia Lezhnevas Sache vielleicht nicht so sehr, auch hat ihr Timbre einen eher herben Reiz. Aber sie singt so inspiriert und technisch vorzüglich, dass sie ihrer Stimme jede Farbe, jede Facette des Ausdrucks abgewinnt, die sie sich vornimmt. Diese Intensität der Gestaltung bedarf natürlich einer entsprechenden pianistischen Unterstützung - und da hat Julia Lezhneva mit Alexander Melnikov fraglos den idealen Partner gefunden. Er zeigte, dass Rachmaninow auch in seinen Liedern stets vom Klavier her dachte und formte; da war eine enorme Differenzierung der Räumlichkeit zu hören, ein Spiel mit Schichten und Ebenen, mit verborgener Polyphonie.

Hier wie in den eingestreuten fünf Préludes und Études-Tableaux sorgte seine sensible Pedalisierung für ein raffiniertes Clair-obscur, das melodische Gestalten aus dem Schatten treten und wieder verschwinden ließ. Über dem ganzen Abend lag ein höchst anregender Hauch von Auflösung und Dekadenz. Den trugen Julia Lezhneva und Alexander Melnikov sogar in die Zugaben hinein, die eigentlich aus einer ganz anderen Klangwelt tönten: In Händels „Lascia la spina“ riskierten beide ein exzessives Pianissimo; Mozarts „Voi che sapete“ brach unter der Last von Julia Lezhnevas Verzierungskunst schier zusammen. Man mochte über diese ein wenig ins Kraut schießende Artistik schmunzeln - aber man musste zugleich doch auch den Ideenreichtum und das künstlerische Selbstbewusstsein des Duos bewundern.