Heinrich Breloer wird 80„Die größte Waffe ist das Schweigen“

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Heinrich Breloer

Heinrich Breloer in seinem Arbeitszimmer in der Kölner Südstadt

Köln – Als Kind wollte Heinrich Breloer Priester werden. Er bastelte aus Zigarrenkisten einen Altar, predigte vor der Familie. Doch seine Kanzel hat Breloer, der an diesem Donnerstag 80 Jahre alt wird, nicht in einer Kirche gefunden, sondern im Fernsehen. Und er ist auch kein Prediger geworden, im Gegenteil. Der Regisseur und Autor ist vielmehr ein Fragender, einer, der nicht vorgibt, von vorneherein eine Antwort auf alles zu haben.

„Ich will kein Behauptungsfernsehen, das sagt, die Bilder laufen daher wie eine Tapete und darauf kannst du alle Behauptungen setzen. Wir wollten das suchende Fernsehen, die Kamera begleiten mich dabei. Und die Zuschauer können mir dabei zusehen, wenn etwas bei meinem Gegenüber in Bewegung kommt, das ist authentisch. Dabei zu sein in dem Augenblick, wenn Dinge gesagt werden, die sonst nicht genannt werden“, so beschreibt er im Gespräch in seiner Kölner Wohnung.

Krieg und Kirche prägten ihn

Geboren im kalten Kriegswinter des Jahres 1942, kann er sich noch an Bombenangriffe und Angst im Bunker auf dem Schoß der betenden Mutter erinnern. Seine Eltern betrieben in Marl das Hotel Loemühle, dorthin sollte ihn sein Weg später noch oft zurückführen, war doch dieses Hotel für viele Jahre der Ort, wo alle diejenigen abstiegen, die zur Grimme-Preisverleihung gingen.

Weil die Eltern mit dem Hotelbetrieb nach dem Krieg vollauf beschäftigt waren, lebte er erst bei der Großmutter in Recklinghausen und kam dann auf ein katholisches Internat. Es war für ihn ein Kulturbruch, eine Katastrophe. „Ich kam in ein mieses dunkles Loch ohne Rechte. Ich war der Kleinste und Schwächste, mit mir konnten sie machen, was sie wollten. Wir waren bis obenhin voll von der Gottesvergiftung, vom falschen Gott natürlich“, erinnert er sich.

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Die drohende Hölle war allgegenwärtig. „Ich habe gebraucht, bis ich wusste, das kann es nicht geben, bis das Gefühl der Sünde nachgelassen hat. Es war Terror, die schönsten Sachen mit dem Bann der Sünde zu belegen." Später hat er das Erlebte in dem Film „Geschlossene Gesellschaft“ verarbeitet, dafür besuchte er auch das mittlerweile verlassene Internat erneut. Und zitterte noch immer beim Gang durch die Säle.

Umzug nach Hamburg wird zum Exorzismus

Krieg und Kirche. Es sind diese beiden frühen Erfahrungen, die ihn prägten. Als Student ging er zunächst nach Bonn, doch er musste raus aus dem katholischen Rheinland, der Wechsel nach Hamburg, in die große, protestantische Stadt war sein persönlicher Exorzismus.

Es war eine Zeit radikaler Umbrüche, gerade in Studentenkreisen. „Das war das Pulver, das explodiert ist, das Pulver der 50er Jahre, der Unterdrückung“, so Breloer. „Die Wut kam raus, es war nicht nur, dass wir erkannt hatten, dass unsere Eltern geschwiegen hatten über die Verbrechen der Nazis. Viele haben dann diese persönliche Wut gegen den Staat gelenkt. Das war zu erkennen. Aber da ich nun einmal eine Religion hinter mir hatte mit dem Katholizismus, bin ich auf die zweite mit ihrem roten Papst Stalin nicht mehr reingefallen, auch wenn es verführerisch war, plötzlich einen Schlüssel in der Hand zu haben, mit dem man angeblich die ganze Welt verstand.“

Breloer schrieb in dieser Zeit Film- und Fernsehkritiken, arbeitete auch für den Hörfunk. Dann lernte er Horst Königstein kennen, der ihn zum Fernsehen holte. Es war der Beginn einer langen, produktiven Zusammenarbeit. Als sie Anfang der 1980er Jahre den Film „Das Beil von Wandsbek“ nach dem Roman von Arnold Zweig vorbereiteten, kamen sie mit den bekannten Erzählformen nicht weiter.

Erfinder des Doku-Dramas

Es ist die wahre Geschichte eines Schlachters, der Mitte der 1930 Jahre den Henker vertreten musste und fünf Kommunisten mit dem Handbeil köpfen sollte, bevor Hitler in die Stadt kam. Doch viele wollten nicht glauben, dass so etwas in Hamburg möglich gewesen war.

Deshalb suchten und interviewten Breloer und Königstein Menschen, die damals dabei waren, parallel sichtete Breloer historische Aufnahmen von Hitler-Besuchen in Hamburg und entzauberte so den Mythos der liberalen Stadt, die dem Diktator die kalte Schulter gezeigt hatte.

Plötzlich funktionierte der Film und ein Genre war geboren, als dessen Erfinder Breloer heute gilt: Das Doku-Drama, also die Verknüpfung von dokumentarischen Materialien, Interviews und Spielszenen. In „Todesspiel“ (1997), „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ (2001), „Speer und Er“ (2004) und vor drei Jahren in „Brecht“ hat Breloer, der seit langem in der Kölner Südstadt wohnt, diese Erzählform immer weiter verfeinert.

Er nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise

Breloer nimmt die Zuschauer in seinen Filmen mit auf eine Reise. Von Albert Speers gewinnender Art, der um sich herum den Mythos des unwissenden Hitler-Vertrauten gesponnen hatte, ließ er sich zunächst einnehmen. „Mehr und mehr kam ich dahinter, dass er mich auch belogen hatte. Mein Film sollte wie eine Folie über diese Lügen gelegt werden. Wir haben das systematisch aufgebrochen.“

Er recherchiert bei jedem Projekt im Vorfeld lange, sein Büro quillt über von Büchern, Materialien und Erinnerungen.  Aber vor die Kamera holte er keine Professoren, sondern die Kinder des Architekten, die direkt mit der Geschichte zu tun hatten und damit rangen, die Wahrheit an sich heranzulassen. „Das ist viel intensiver und erzählt auch viel über meine Generation, die ja mit ihren Eltern auch nicht sprechen konnte. Da kann Fernsehen etwas anders leisten, das einen dauerhaften Wert hat.“

Breloer arbeitet immer mit einem kleinen Team. Kein zusätzliches Licht, bloß nicht die Wohnung in ein Studio verwandeln. „Das ist schrecklich. Dann fallen die Leute sofort in einen staatstragenden Ton.“ Wenn er mit Golo Mann für „Die Manns“ zusammen war, saß der Tonmann unter dem Tisch, bei der Kamera hatten sie das rote Licht überklebt. „Wir haben über das Wandern und Baden im See gesprochen und im selben Tonfall dann über den Vater. Dann hatte Golo Mann vielleicht ganz vergessen, dass die Kamera lief. Er war ganz bei sich, bei uns und der Geschichte. So hatte man ihn noch nie gesehen“, erinnert er sich.

Auf Menschen einlassen ohne Vorurteile

Empathie sei der Schlüssel, man müsse sich auf die Menschen einlassen, ohne Vorurteile. Er tat es, bei den Speer-Kindern ebenso wie bei denen von Thomas Mann, bei Willy Brandt und Helmut Schmidt. „Man hat eine Verantwortung für den, den man interviewt, darf ihn nicht vorführen. Ich habe bei den Interviews gelernt, dass nicht das arrogante, freche Hereinfragen irgendwas bringt, die größte Waffe ist das Schweigen. Ich habe die Leute erzählen lassen, aus ihren Erinnerungen. So kommt man ihnen nahe.“

Die Spielszenen dienen dann der Anschauung des Erzählten. „Das hat seine eigenen Qualitäten, weil die Schauspieler einen Subtext mitspielen. Wir haben das aufeinander prallen lassen: Starke Spielszene und starke Emotion. Wenn man diesen Aufprall genau kalkuliert, entsteht etwas Drittes, Neues im Auge des Zuschauers, was weder das Spiel noch das Dokument leisten kann. Etwas Unberechenbares, das ich auch nicht berechnen kann, weil der Film immer nur im Auge des Zuschauers lebendig ist.“

Auch mit nun 80 Jahren denkt der vielfach ausgezeichnete Breloer noch nicht an Ruhestand. Er arbeitet an einem sechsteiligen Projekt für den WDR. Verraten darf er noch nichts. Nur eines steht jetzt schon fest. Er wird wieder versuchen, die Geschichte Deutschlands und damit auch die eigene Geschichte besser zu verstehen: „Es geht immer darum, den Mantel des Schweigens wegzuziehen und darunter die wahre Geschichte zu erkennen. Es geht darum, das falsche, irreführende Narrativ aufzubrechen und neu zu erzählen. Gegen den faulen, dunklen Zauber den hellen Zauber zu setzen, die Aufklärung.“

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