Konzert in der PhilharmonieAnna Depenbusch verschlägt es vor Rührung die Sprache

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Anna Depenbusch in der Philharmonie

Köln – Das erste Lied ist gespielt, aber jetzt geht es irgendwie nicht weiter. Anna Depenbusch verharrt stumm am Klavier, die Handflächen aufeinander gelegt wie zum Gebet. So lange, dass das Publikum in der Kölner Philharmonie die Stille schließlich mit nervösem Klatschen füllt. Sie sei, sagt Depenbusch als sie die Sprache wiedergefunden hat, schlicht überwältigt. Davon, wie gut sich das anfühle, wieder vor Menschen zu singen, wieder Gemeinschaft zu spüren.

Darauf kommt die Liedermacherin aus Hamburg im Laufe des Abends noch einige Male zu sprechen, dass es eben etwas völlig anderes sei, zusammen in einem Raum Kultur zu erleben, als alleine vorm Bildschirm. Eigens erwähnen müsste sie es nicht. Wir haben es ja auch gespürt, von Anfang an, und waren nicht minder gerührt. 

Der Funke springt sofort über: Depenbusch behauptet zwar, dass ihre Lieder durchkomponiert im Kosmos schweben und nur darauf warten, zu ihr zu kommen – insofern ist sie Platonikerin – tatsächlich ist sie jedoch sehr geschickt darin, ihre Liebes-und Alltags-Chansons so zu schreiben, dass sie sich erst in der Live-Performance, im Kopf des Zuhörers verfertigen.

Wie man Liebe buchstabiert

Wenn sie, wie in „Alphabet“ den Verlauf einer Beziehung durchbuchstabiert („A wie der Anfang, wo alles begann“), glaubt man zu wissen, wohin der Hase läuft – so furchtbar originell ist die Idee nicht. Und ist dann umso entzückter über die Begriffe, die Depenbusch im Stadt-Land-Liebe-Spiel gefunden hat: „S wie Sofa, auf dem du heut’ schläfst“.

Behauptete sie von sich „Alte Schule“ zu sein und dementsprechend das Wort mit „F“ oder mit „B“ niemals in den Mund zu nehmen, führt einen kurz darauf der Endreim unweigerlich auf die „Bitch“. Sie muss sie dann eben gar nicht mehr aussprechen. Verwendet stattdessen aus der Zeit gefallene Wörter wie „adrett“ – und klingt dabei herrlich kokett.

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Gelegentlich kann das schiefgehen: Mit „Tim 2.0“ will sie ihr Liebesreigenlied „Tim liebt Tina“ vom ersten Album weitererzählen – und landet bei einem müden und angejahrten Witz über Yuppies und Zumba-Kurse: Zwischen Leichtigkeit und Banalität gähnt ein Abgrund.

Wenn Anna Depenbusch schlussendlich aber immer auf der richtigen Seite landet, liegt das vor allem an ihrer sagenhaft sicheren Intonation, dank der sie im Flügelschlag vom verschwörerischen Parlando zum himmelhoch strebenden Sopran  wechselt. Pfeifen wie Ilse Werner kann sie zudem.

Ein Orgasmus als Refrain

Drei Zugaben muss sie geben, die lustigste davon heißt „Benjamin“ und handelt vom kurzen Liebesabenteuer mit dem Nachbarn, dass sich erst rächt, als der eine Neue hat, die seinen Namen durch die dünnen Wände in orgiastischer Verzückung jodelt: Das ist der Refrain. Bitte alle mitsingen, fordert die Chansonnière.

Es wird wohl das erste Mal gewesen sein, dass ein paar hundert Menschen durch FFP2-Masken gleichzeitig einen Orgasmus simuliert haben.   Anna Depenbusch hat schon recht: Es ist etwas völlig anders, so etwas gemeinsam zu erleben.

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