Künstler in der Corona-KriseGähnende Leere im Kalender von Cembalistin Kemnitzer

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Sonja Kemnitzer beim "Stadt-Anzeiger"-Gespräch                     

Köln – „Man guckt in den Kalender – und der ist auf Wochen hinaus leer.“ Das sei der „größte Frust“ in der Corona-Krise, erzählt Sonja Kemnitzer im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die in Nippes wohnhafte Künstlerin ist freiberufliche Cembalistin und als solche zu „normalen“ Zeiten gut im Geschäft: nicht nur, aber vor allem als Generalbass-Spielerin in „Mucken“-Orchestern der vor Ort reichhaltigen Alte-Musik-Szene, etwa im „Concerto con Anima“.

Aber jetzt? Die gebürtige Wetzlarerin, die schon vor Jahren zum Cembalostudium bei Ketil Haugsand an die Kölner Musikhochschule kam, schildert, wie es in diesem Bereich so geht: „Da gab es eine mündliche Konzertanfrage für die Aufführung von Schütz’ Weihnachtshistorie in Hanau – mit einem Tag Probe. Dann rief immerhin noch sechs Wochen vorher der Ensemblechef an: Es fällt aus.“ Und Kemnitzer ist solches „inzwischen gewohnt – man stumpft ab.“ Wenn etwas reinkomme, frage man sich sofort: Findet das überhaupt statt? 15 Auftritte seien ihr auf diese Weise seit Beginn der Pandemie durch die Lappen gegangen – viele angesichts eines eh geringen Anfragevolumens.

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Corona mit seinen Restriktionen trifft viele Berufszweige hart, darunter eben auch die Musiker der Freien Szene, die auf regelmäßige Einnahmen aus ihrer Konzerttätigkeit oft existenziell angewiesen sind. Es gibt Berichte darüber, dass manche von ihnen bereits ihre Instrumente verscherbeln mussten und sich keine Klamotten mehr kaufen konnten – nur um noch die Miete bezahlen zu können.

Zu denen gehört Sonja Kemnitzer allerdings nicht. Sie ist – und das seien „dann doch viele in meinem Metier“ – beruflich breit aufgestellt, gibt Klavierunterricht an der Musikschule des Rheinkreises Neuss in Kaarst, leitet den Chor an der Dorfkirche in Bochum-Stiepel, hat einen Lehrauftrag für Cembalo und Generalbass an der Frankfurter Musikhochschule: „Nein, in ein schwarzes Loch bin ich nicht gefallen. Es gibt da schon viele Anker, die einen halten.“ Eher habe sich etwas wie ein „Chaos-Gefühl breitgemacht.“ Dabei zeitige die Situation auch positive Erfahrungen: „Der Klavierunterricht lief online weiter – da fiel keine einzige Stunde aus.“ Kemnitzer kaufte sich ein Mikrofon und eine Web-Kamera, „und alle machten mit“. Im September erfolgte die Rückkehr in den Präsenzunterricht.

Hilfreiches Stipendium

Hilfreich war darüber hinaus ein sechsmonatiges Stipendium aus dem Bundes-Hilfsprogramm „Neustart Kultur“, das 1000 Euro im Monat zusätzlich einbrachte. Kemnitzer hatte sich erfolgreich mit einem pädagogischen Projekt beworben: Sie nahm per Video Cembalowerke auf und erläuterte diese: „Ich habe erklärt, wie man das auf dem Cembalo realisieren kann oder muss.“ Und auch hier gab es einen positiven Nebeneffekt: „Ich bin im digitalen Bereich inklusive Youtube-Kanal so richtig auf Zack gekommen, das war eine echte Weiterbildung. Und ich habe mir das alles mehr oder weniger selbst beigebracht.“

Die oft zu hörenden Klagen, dass die Hilfen der öffentlichen Hand zu zögerlich kämen oder die Beantragung zu aufwändig und bürokratisch sei, kann Kemnitzer nicht teilen: „Das ging alles ziemlich schnell, und es war auch sehr motivierend.“ Immerhin sei sie kein Einzelfall: Viele freie Künstler mischfinanzierten von jeher ihren Lebensunterhalt. Und viele seien irgendwie auch an Stipendien und Überbrückungshilfen gekommen: „In meinem Metier muss man erfinderisch sein.“

„Wer nicht unterrichtet, hat es schwer“

Richtig sei allemal dies: „Wer nicht unterrichtet, hat es jetzt schwer.“ Und ganz unabhängig von ihrer eigenen Situation befürchtet die Cembalistin in the long Run und für den Fall, dass „wir mit der Pandemie noch lange leben müssen“, sehr wohl Einbrüche und Einbußen auf breiter Front: „Da werden sich viele dann doch was Neues gesucht haben, beim Metzger oder Bäcker arbeiten und wohl auch nicht zurückkommen.“

Möglicherweise werde auch, wenn, wie derzeit schon, Konzerte wieder möglich seien, das Publikum zuhause bleiben: „Die Leute gucken sich dann Youtube-Videos an – sie haben sich halt in der Zwischenzeit daran gewöhnt.“ Und das, obwohl Streaming-Konzerte das Live-Erlebnis keinesfalls ersetzen könnten. Eine „glatte Katastrophe“ für den Nachwuchs sei schließlich der Ausfall der Präsenz-Wettbewerbe bei „Jugend musiziert“.  

Zur Serie

Die Corona-Pandemie trifft  auch die  Freie Kunstszene hart. In unserer Serie stellen wir „Einzelschicksale“ vor – und beleuchten damit einen wichtigen Bereich jenseits der exklusiven Stars. Am Beginn steht ein Gespräch mit der Kölner Cembalistin Sonja Kemnitzer. (ksta)

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