Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Kommentar

Shani-Ausladung
Politik, die auf Reflexe statt auf Reflexion vertraut

Ein Kommentar von
3 min
Lahav Shani, zukünftiger Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, steht auf der Bühne.

Lahav Shani, zukünftiger Chefdirigent der Münchner Philharmoniker

Die Genter Ausladung der Münchner Philharmoniker unter ihrem Dirigenten, dem israelischen Staatsbürger Lahav Shani, ist so falsch wie die Reaktionen darauf.  

Die Kunst, Menschen in Gesinnungshaft zu nehmen, ist nicht auf das Feld der Kultur beschränkt, wird dort aber mit besonderer Hingabe betrieben. Das jüngste Beispiel dafür gibt das Flandern-Festival für klassische Musik in Gent. Seine Leitung lud die Münchner Philharmoniker aus, die dort unter ihrem designierten Chefdirigenten, dem israelischen Staatsbürger Lahav Shani, konzertieren sollten. Zur Begründung schreibt das Festival, Shani habe sich in der Vergangenheit zwar mehrfach für Frieden und Versöhnung ausgesprochen, „aber angesichts seiner Rolle als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra“, sei „keine ausreichende Klarheit über seine Haltung gegenüber dem völkermörderischen Regime in Tel Aviv“ zu gewinnen. Die Ausladung, heißt es weiter, sei in Einklang mit Stadtrat und Kulturminister erfolgt.

Die deutsche Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) sprach von einem Skandal, Kulturstaatsminister Wolfram Weimer von einer „Schande für Europa“; beide nannten die Ausladung antisemitisch. Tatsächlich ist der Vorgang ein Affront unter Nachbarn, wie es ihn selten gab – zumal, wenn er tatsächlich mit dem Segen einer befreundeten Regierung geschah. Trotzdem wird Berlin vermutlich nicht den belgischen Botschafter einbestellen. Denn es ist keine neue Erkenntnis, dass die deutsche Haltung gegenüber Israel von der Mehrzahl der westlichen EU-Staaten nicht geteilt wird. Die Absage erfolgte am selben Tag, an dem Ursula von der Leyen, formell oberste Europäerin, als Reaktion auf den Gaza-Krieg einen Israel-Boykott durch die Europäische Union in Aussicht stellte. Allerdings sprach sie anders als die Verantwortlichen des Flandern-Festivals nicht von einem „völkermörderischen Regime“.

In Deutschland stehen Boykotte gegen Israelis unter Generalverdacht

Mit dem Genozid-Vorwurf gegen Israel, der als Gewissheit formuliert wird, hat das Genter Musikfestival einen Ton gesetzt oder vielmehr übernommen, der vor allem die verhärteten Fronten der Debatte bezeugt. Auf deutscher Seite wurde sogleich eine ähnlich unversöhnliche Tonlage angeschlagen; wo die einen nur Mitschuldige am Völkermord sehen, erkennen die anderen nur Antisemitismus. Das ist Politik, die auf Reflexe statt auf Reflexion vertraut. 

Lahav Shani für die israelische Politik in Haftung zu nehmen, ist falsch – die Ausladung folgt dem Muster früherer Kampagnen, etwa gegen das Apartheid-Regime Südafrika. Man versucht, politische Ziele über den Umweg kultureller Boykotte zu erreichen. Staaten boykottieren die Wirtschaft eines Landes, die Kulturwelt boykottiert die eigenen Leute, weil sie keine anderen „Waffen“ hat.

In Deutschland stehen Boykotte gegen Israelis unter Generalverdacht. Das hat gute Gründe, historische und zeitgenössische; heute vergiften sie wieder das gesellschaftliche Klima und erzeugen böses Blut. Politisch motivierte Kulturboykotte schließt das jedoch nicht aus. Ein Beispiel dafür sind gerade die Münchner Philharmoniker – sie trennten sich von ihrem russischen Chefdirigenten Waleri Gergijew, weil dieser als Freund Putins und Repräsentant eines zahlreichen Kriegsverbrechens schuldigen Regimes gilt. Und Künstlerinnen wie Laurie Anderson sollten wegen ihrer Haltung zum Gaza-Krieg eine Prüfung in deutscher Staatsräson ablegen.

Dass sich die beiden Münchner Dirigenten-Personalien schlecht vergleichen lassen, schon weil sich die Kriege, an denen sie sich entzündeten, unterscheiden, braucht das Genter Festival nicht zu scheren; es kennt keine deutsche Staatsräson. Allerdings scheint es auf eine andere „Vernunft“ zu hören: den Druck von Aktivisten, die mit Störaktionen drohen. Mit seinem Boykott gegen Shani verrät es seinen eigenen Anspruch, die Menschen mithilfe der Musik zusammenzuführen.